Den "Engel der Armen" plagten Glaubenszweifel

Vor 100 Jahren in der mazedonischen Stadt Skopje geboren, wurde die Ordensschwester Mutter Teresa weit über ihre Wahlheimat Indien hinaus bekannt. Auch 13 Jahre nach ihrem Tod lebt ihr Werk für die Armen fort.

Von Ruth Pons Veröffentlicht:
Ordensschwester Mutter Teresa bei der Arbeit im indischen Kalkutta im Jahr 1975.

Ordensschwester Mutter Teresa bei der Arbeit im indischen Kalkutta im Jahr 1975.

© imago/ZUMA

Im September 1946 saß eine junge Nonne in einem Eisenwaggon dritter Klasse auf dem Weg von Kalkutta in die indische Provinzstadt Darjeeling. Die lange Reise verbrachte sie mit Beten des Rosenkranzes und dem Bibelstudium. "Herr, wann haben wir dich hungrig und nackt gesehen", las sie im Matthäus-Evangelium. "Ich spürte, wie sich diese heiligen Worte bis in die hintersten Nischen meines Herzens bohrten", schrieb sie später über die Stunde, in der sie den "Ruf Jesus" vernahm, in Armut zu leben und den Armen zu dienen.

Was danach folgte, war eine ganz ungewöhnliche Karriere: Die in der mazedonischen Stadt Skopje als Agnes Donxha Bojaxhiu geborene Ordensschwester wurde als Mutter Teresa weit über ihre Wahlheimat Indien hinaus bekannt. "Engel der Armen", "Apostel der Liebe" und "größte Sozialarbeiterin aller Zeiten" wurde sie ehrfürchtig genannt.

Die Tochter eines albanischen Bauunternehmers erblickte vor hundert Jahren am 26. August 1910 das Licht der Welt. Schon als Zwölfjährige wollte sie Missionarin werden. Mit 18 trat sie in den Orden der "Schwestern der Jungfrau von Loreto" in Irland ein und ging kurz darauf nach Indien. In Darjeeling am Fuße des Himalaja-Gebirges begann sie ihr Leben als Novizin und erhielt in Erinnerung an die Heilige Thérèse von Lisieux den Ordensnamen Teresa. Später wurde sie nach Kalkutta geschickt, wo sie 17 Jahre lang Lehrerin und Leiterin einer Klosterschule für bengalische Mädchen war.

Im Krankenhaus lernte sie mehr über die Pflege Kranker

Mutter Teresa, aufgenommen 1981 bei einer Rede in Washington.

Mutter Teresa, aufgenommen 1981 bei einer Rede in Washington.

© dpa

Nach ihrer "Berufung" entschloss sich die damals 36-Jährige, ihre Stellung als Direktorin sowie die Schule und den Orden aufzugeben. Zwei Jahre lang kämpfte sie um die Erlaubnis, als "freie" Nonne außerhalb ihres Konvikts zu leben. Am 16. August 1948 verließ sie das Kloster mit einem kleinen Kreuz, einem Rosenkranz und einem Sari aus weißer Baumwolle mit blauer Borde. In einem Krankenhaus in Patne lernte sie mehr über die Pflege von Kranken und Sterbenden. Im Dezember 1948 kehrte sie nach Kalkutta zurück, um in den Slums der 15-Millionen-Metropole zu leben und zu arbeiten. Sie nahm die indische Staatsbürgerschaft an und begann, sich um ausgesetzte Säuglinge, Leprakranke, Hungernde und Sterbende auf der Straße zu kümmern. Unterstützt wurde sie von ehemaligen Schülerinnen und vielen anderen Frauen, die unentgeltlich ihre Hilfe anboten.

Mit einem "Besitz" von drei Saris und fünf Rupien gründete die zierliche Ordensschwester 1950 schließlich ihre eigene Kongregation "Missionarinnen der Nächstenliebe". Aus Schwester Teresa wurde Mutter Teresa. Der weiße Sari mit der blauen Borde wurde zur Ordenstracht.

Erstes Sterbehaus wurde im Jahr 1952 eröffnet

Die anfänglich zwölf Ordensschwestern verpflichteten sich, niemals für Geld oder für Wohlhabende tätig zu sein. Ohne medizinische Ausrüstung, aber mit dem Ziel, durch menschliche Nähe zu helfen, machten sie sich an die Arbeit. Mit Zähigkeit und praktischem Verstand gelang es Mutter Teresa, Geld für ihre Arbeit aufzutreiben. 1952 eröffnete sie ihr erstes Kranken- und Sterbehaus - hunderte weitere Heime für Lepra- und Aidskranke, Obdachlose und Behinderte, Waisenkinder und junge Kriminelle, Drogensüchtige und Alkoholiker sollten in den folgenden Jahrzehnten überall auf der Welt folgen.

Mit dem Orden verbreitete sich auch die Nachricht von der barmherzigen Arbeit der zierlichen Nonne mit dem starken Willen. Bald genoss Mutter Teresa weltweite Aufmerksamkeit und reiste unermüdlich umher, um für ihr Lebenswerk zu werben. Ihr Einsatz wurde 1979 mit dem Friedensnobelpreis geehrt. Das Galadiner zu ihren Ehren nach der Verleihung lehnte sie ab und ließ sich den Wert auszahlen.

Die "Missionarin der Nächstenliebe" bei einer Audienz von Papst Johannes II im Mai 1997.

Die "Missionarin der Nächstenliebe" bei einer Audienz von Papst Johannes II im Mai 1997.

© dpa

Doch bei aller Bewunderung für ihren unermüdlichen Einsatz gab es auch kritische Stimmen. Auf Unverständnis stieß vielerorts ihre rigide Ablehnung von Verhütung und Abtreibung als die "größte Bedrohung des Weltfriedens". Auch warf man ihr eine "Vorliebe für Diktatoren" vor. Ärzte bemängelten, dass Hygienevorschriften in den oft primitiven Unterkünften nicht beachtet und ansteckende Kranke nicht isoliert wurden. Auf den Vorwurf, nicht zu versuchen, die Wurzeln der Armut zu bekämpfen, antwortete sie: "Wir sind keine Krankenschwestern, wir sind keine Sozialarbeiter, wir sind Nonnen."

Nach ihrem Tod 1997 im Alter von 87 Jahren erhielt Mutter Teresa in Indien ein Staatsbegräbnis. Bereits sechs Jahre nach ihrem Tod wurde sie seliggesprochen. Die dafür notwendige Wunderheilung bezeugte die arme Inderin Monica Besra, die von einem Tumor im Bauch geheilt worden sein soll, nachdem ein von Mutter Teresa gesegnetes Amulett darauf gelegt worden war. Dass Mutter Teresa gar nicht die unerschütterlich glaubensfeste Ordensfrau war, die die ganze Welt in ihr sah, belegen Tagebuchaufzeichnungen und Briefe, die zehn Jahre nach ihrem Tod unter dem Titel "Komm, sei du mein Licht! Die geheimen Aufzeichnungen der Heiligen von Kalkutta" erschienen. "In mir ist kein Gott", "in meinem Innern ist es eiskalt" ist darin zu lesen. Mutter Teresa zweifelte angesichts des maßlosen Elends um sie herum an der Existenz Gottes. Doch an ihrem Lebenswerk, der Hilfe für Arme und Ausgestoßene, hatte sie niemals Zweifel.

Heute arbeiten rund 5100 Schwestern der "Missionarinnen der Nächstenliebe" in über 700 Einrichtungen des Ordens in fast 150 Ländern.

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