Der Tag, der Berlin Trennung und Leid brachte

Das bisherige Leben im geteilten Berlin bekam mit dem Mauerbau am 13. August 1961 eine jähe Wendung. Die Einschnitte in das Leben vieler Familien wirken bis heute nach.

Angela MisslbeckVon Angela Misslbeck Veröffentlicht:
Stacheldraht in Berlin als Zeichen der Trennung: Das Provisorium zeigte ab dem 13. August die Aufteilung der Stadt. Später entstand hier die Mauer.

Stacheldraht in Berlin als Zeichen der Trennung: Das Provisorium zeigte ab dem 13. August die Aufteilung der Stadt. Später entstand hier die Mauer.

© Interfoto/braun

BERLIN. In der Studentenbude von Rita Kielhorn in der Schlossstraße im West-Berliner Stadtteil Steglitz war in dieser Nacht einiges los. Die Allgemeinmedizinerin hatte zu ihrer Examensfeier eingeladen. Der Nachhauseweg wurde für die Freunde aus Ost-Berlin zu einem befremdenden Erlebnis.

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Es war die Nacht zum 13. August 1961, einem Sonntag. "Mehr als 10.000 Volks- und Grenzpolizisten, unterstützt von einigen tausend Kampfgruppen-Mitgliedern, rissen am frühen Morgen mitten in Berlin das Straßenpflaster auf, errichteten aus Asphaltstücken und Pflastersteinen Barrikaden, mauerten Türen und Fenster von Häusern zu, die auf der Grenze standen, und zogen Stacheldrahtverhaue", heißt es beim Internetauftritt des Bundestages über diesen Tag.

 SED-Chef Walter Ulbricht hatte den Befehl zur Abriegelung der Sektorengrenze nach Westberlin erteilt. Der Mauerbau begann.

"Ein schreckliches Gefühl des Eingesperrtseins"

"Als wir mittags in den Nachrichten davon erfuhren, sind wir sofort zum Brandenburger Tor gegangen, um zu protestieren", berichtet die Ärztin Kielhorn. Doch bald machte sich ein "Gefühl der Ohnmacht" breit und "Enttäuschung, dass die Westmächte uns nicht halfen." Die Trennung zwischen Ost und West war besiegelt.

Der Bericht über den Besuch des damaligen Bundespräsidenten Heinrich Lübke im Notaufnahmelager Marienfelde zeigt die Familie Haase mit Lübke.

Knapp 30 Jahre lange hat die Mauer West-Berliner Alltag bestimmt, auch den von Ärzten. Der ehemalige Chef der Kassenärztlichen Bundesvereinigung, Dr. Manfred Richter-Reichhelm, ging mit seinen Kindern oft an der Mauer entlang spazieren.

Sein Haus lag 800 Meter von der Außenmauer entfernt. "Wir haben uns mit dem Inseldasein arrangiert und wussten den Wert dieser schönen Stadt trotzdem immer zu schätzen", sagt der Urologe heute. Anders der frühere Vorsitzende von Medi Berlin, Pneumologe Dr. Wolfgang Mitlehner. "Es war grässlich, jede Reise an der Grenze zu beginnen und nicht zu wissen, wie lange es dauert", sagt er.

Er schildert "ein schreckliches Gefühl des Eingesperrtseins. Ich habe immer gehofft, dass alles dicht gemacht wird, wenn wir in Urlaub waren, so dass wir nicht mehr zurückkommen." Die Tage unmittelbar nach dem Mauerbau hat der damals 13-jährige mit Protestaktionen an der Grenze verbracht.

"Ich stand heulend in Düppel und wurde mit Tränengas beworfen, lange vor den Studentenprotesten", berichtet er.

Ernst wurde es für die Krankenschwester Marie-Luise Haase, ihren inzwischen verstorbenen Mann, den Orthopäden Dr. Erwin Haase, und ihre beiden Töchter. Die Familie lebte in Potsdam-Babelsberg.

Vater Erwin arbeitete an der Charité. Daher war er im Besitz eines Passierscheins, der erlaubte, durch West-Berlin zur Arbeit zu fahren - die Möglichkeit für eine Flucht in letzter Minute.

In der Nacht des Mauerbaus hörte die Mutter plötzlich Panzer. Erwin Haase war mit Freunden in West-Berlin. Aus Sorge ging sie zum S-Bahnhof, wo das Auto abgestellt war. "Um das Auto standen mehrere Blaumänner mit Schäferhunden und sagten mir, dass ich nicht auf die S-Bahn warten solle, sie habe den Betrieb eingestellt, West-Berlin sei abgeriegelt.

Als sie mitbekamen, dass ich nur nach dem Auto geschaut habe, an dessen Windschutzscheibe das Arztzeichen klebte, sagten sie mir voller Hass, dass nun die guten Zeiten für Ärzte vorbei seien und man denen die Hosen mit der Kneifzange anziehen würde. In dem Moment begriff ich, dass etwas Furchtbares geschehen sein musste", berichtet Marie-Luise in einem Brief an ihre Tochter, der der "Ärzte Zeitung" vorliegt.

Glückliche Flucht in den Westen in letzter Minute

Am 14. August fährt der Orthopäde wieder durch West-Berlin zur Charité. Seine Frau und Tochter Cornelia fahren mit und bleiben in West-Berlin bei Bekannten. "Dort wollte uns Vater wieder abholen", schreibt Marie-Luise Haase. Stattdessen erfährt Erwin Haase, dass er im Osten bereits gesucht wird und organisiert, dass auch das Baby nach West-Berlin kommt.

"Der Umzug von Ost nach West war geglückt und ich war todunglücklich. Wenige Kilometer entfernt stand unser Haus im schönen Garten voller Sachen." Die Familie musste sich im Notaufnahmelager Marienfelde melden. Dort erlebte sie den Besuch von Bundespräsident Heinrich Lübke mit.

Schließlich ließen sich die Haases in Essen nieder. Um Westgeld zu verdienen, hatte er bereits früher dort Praxisvertretungen gemacht. Tochter Cornelia lebt als Pharmazeutisch-technische Assistentin noch heute dort.

Wenn die Mauer nicht gebaut worden wäre, verbrächte Rita Kielhorn diesen Sommer wohl kaum im kleinen Ort Wurz im Bayerischen Wald. Ohne Mauer gäbe es wohl die Wurzer Sommerkonzerte nicht, die die Ärztin ins Leben gerufen hat. Dort hat sie eine Gruppe von tschechischen und polnischen Ärzten zu Gast.

Das wiederum wäre ohne den Mauerfall nicht möglich. Rita Kielhorns Lektion aus der Mauer: "Man soll die Hoffnung nie aufgeben."

Lesen Sie dazu auch die Buchtipps: Abenteurer und Fluchthelfer Eine Liebe über Grenzen hinweg

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