Buchmesse: Island voller Schriftsteller und Bücherwürmer

Das bisher kleinste Gastland der Frankfurter Buchmesse hat eine große literarische Tradition. Die Isländer gelten als lesewütig mit rekordverdächtiger hoher Schriftstellerdichte.

Von Thomas Maier Veröffentlicht:
Heiße Quellen und unglaubliche Naturschauspiele: Island kann nicht nur mit seiner Natur überzeugen - auch ist es ein Land der Buchliebhaber.

Heiße Quellen und unglaubliche Naturschauspiele: Island kann nicht nur mit seiner Natur überzeugen - auch ist es ein Land der Buchliebhaber.

© Xaver Klauvüner / fotolia.com

REYKJAVíK. Wer in Island stirbt, dem wird von Freunden oder Verwandten in öffentlichen Nachrufen gehuldigt. "Wenn über jemanden nichts geschrieben wird, dann hat er praktisch umsonst gelebt", sagt der isländische Autor Hallgrímur Helgason ("Vom zweifelhaften Vergnügen, tot zu sein"). Am besten ist es natürlich, wenn einer zu Lebzeiten selbst schreibt.

Limerick-Verse gehören zum Nationalsport

Was in dem erzählfreudigen Land viele tun: Limerick-Verse gehören zum Nationalsport. Der Schriftstellerverband zählt sogar 400 Mitglieder - in einem Land mit 320.000 Einwohnern. So groß ist auch die Stadt Bonn.

Auch die Leselust der Isländer ist beeindruckend. Jeder kauft im Schnitt acht Bücher im Jahr - das ist weltweit Spitze. Rund 1500 Neuerscheinungen pro Jahr und 40 Verlage sind ebenfalls stolze Zahlen. Und ausgerechnet die Buchbranche hat 2008 vom Kollaps des Finanzsystems profitiert.

Der isländische Autor Hallgrímur Helgason in der Hauptstadt Reykjavík.

Der isländische Autor Hallgrímur Helgason in der Hauptstadt Reykjavík.

© dpa

Es wird in Island noch mehr gelesen, sagt Halldór Gudmundsson, der seit vier Jahren den Auftritt seines Landes auf der Frankfurter Buchmesse mit einem Etat von 2,7 Millionen Euro akribisch vorbereitet. "Die Menschen besinnen sich wieder auf ihre Traditionen."

 "Sagas" auf präparierten Kalbshäuten

Es sind nicht nur die ewig-langen Winternächte, die in der am Polarkreis gelegenen Insel zum Lesen verführen. Es gibt dafür auch historische Gründe. Die Isländer haben im Mittelalter die harte Besiedlung der Vulkaninsel, die zu fast 95 Prozent unbewohnbar ist, in den "Sagas" auf präparierten Kalbshäuten niedergeschrieben.

Seitdem hat die isländische Sprache, die sich seit dem Mittelalter auf dem isolierten Eiland nicht verändert hat, die Kultur des Volkes geprägt. "Wir drücken uns schon immer in Büchern aus", sagt Gudmundsson, der eine große Biografie über den isländischen Literaturnobelpreisträger Halldór Laxness (1902-1998) verfasst hat.

Wer schreibt, macht oft auch Musik oder malt

Die Isländer-Sagas haben zur Identität des Landes, das erst 1944 seine Unabhängigkeit von Dänemark durchsetzte, eine wichtige Rolle gespielt. Kultur wird zugleich ganzheitlich verstanden: Wer schreibt, macht oft auch Musik oder malt.

Auch der als "Popliterat" bekannt gewordene Helgason hat in jungen Jahren Kunst in München studiert. In Island, wo viele Menschen mehrere Karrieren haben, sind solche Biografien fast die Regel.

Es gibt aber genug Schriftsteller, die ihren Beruf zum Haupterwerb gemacht haben. Dazu gehören Einar Kárason, der in der amerikanischen Erzähltradition seine großen Island-Epen verfasst, oder der Romancier Einar Már Gudmundsson.

Er wurde international über die Geschichte eines Geisteskranken ("Engel des Universums") bekannt. Unter den Frauen ragt Steinunn Sigurðardóttir hervor, die sich auf die großen - oft unerwiderten - Gefühle spezialisiert hat.

In Deutschland sind Island-Krimis am bekanntesten

Es gibt auch eine junge experimentelle Lyrikszene wie den originellen Poeten Eiríkur Örn Norðdahl. Am bekanntesten sind aber in Deutschland die Island-Krimis, mit dem Bestseller-Autor Arnaldur Indriðason an der Spitze. Sie beleuchten gerne - ähnlich wie andere Skandinavien-Krimis - die dunklen Seiten des Wohlfahrtsstaates.

Im kleinen Island sind die Schriftsteller mehr als in anderen Ländern noch eine intellektuelle Avantgarde, wie der Zusammenbruch des Finanzsystems im Jahr 2008 bewiesen hat. Nachdem die größenwahnsinnigen "Finanzwikinger" der drei großen Privatbanken das eigene Land mit tausenden ausländischen Anlegern in die Tiefe gerissen haben, haben Autoren den öffentlichen Protest angeführt.

Die Banken sind inzwischen verstaatlicht, die neoliberale Regierung vertrieben. Jetzt regiert eine Allianz aus Sozialdemokraten und links-grüner Bewegung, allerdings unter den Auflagen des Internationalen Währungsfonds (IWF).

"Wir haben unsere Unschuld verloren"

"Wir haben vielleicht nicht so viel erreicht, aber wir haben gezeigt, dass ein Wandel möglich ist", sagt Einar Már Gudmundsson, der zu den Wortführern des Protests gehörte. Seine Abrechnung mit den Haien des Finanzsystems ist unter dem Titel "Am Abgrund" im vergangenen Jahr auch auf Deutsch herausgekommen.

Den Crash hat Island, das in Statistiken vor wenigen Jahren noch als reichstes Land der Land geführt wurde, trotz der wirtschaftlichen Erholung noch nicht überwunden. "Wir haben unsere Unschuld verloren", stellt Helgason fest.

Die Isländer sollten sich wieder auf die Literatur als ihre eigentliche Stärke besinnen, um ihr von den Finanzmaklern angekratztes Image aufzupolieren, forderte Einar Kárason im September ironisch beim Literaturfestival in Reykjavik.

 "Wir haben Elfenverbot"

Auf der Buchmesse legt sich Island schwer ins Zeug: Allein etwa 100 Belletristik-Titel und Anthologien erscheinen in deutschen Verlagen. Kein Gastland in den vergangenen Jahren hat es auf mehr Titel gebracht.

Dabei will Island auf der weltweit bedeutendsten literarischen Bühne seine ganze Bandbreite präsentieren. Die üblichen Klischees von den Trollen und Elfen sollen vermieden werden. "Wir haben Elfenverbot", sagt Halldór Gudmundsson. (dpa))

Fakten zur Buchmesse

Die weltgrößte Bücherschau wird am 11. Oktober eröffnet, die Tore für Fachbesucher öffnen sich am Mittwoch, den 12. Oktober. Das Publikum kann am Wochenende vom 15. bis 16. Oktober durch die Messehallen schlendern. Es werden insgesamt 280.000 Besucher erwartet, die sich außer bei den Ausstellern auch auf rund 3300 Veranstaltungen über neue Autoren, Bücher und Trends informieren können.

Denn die Messe wandelt sich immer mehr zum Börsenplatz für Inhalte aller Art. Das Buch ist nur noch einer der Bausteine in einer immer breiter gefächerten Verwertungskette.

"Wir müssen alles machen - Print, digital, Social Media und die Vernetzung vorantreiben", heißt das Credo von Buchmessen-Chef Juergen Boos. Die alte Kette im Buchgeschäft - vom Autor über Verleger und Händler zum Leser - ist passé.

Als global wichtigster Treff will die Buchmesse, organisiert vom Dachverband der deutschen Buchbranche, den unaufhaltsamen digitalen Wandel vorantreiben. Es bleibt der Messe auch keine Wahl, wenn sie nicht über kurz oder lang überflüssig werden will.

Mit 7500 Ausstellern aus 110 Ländern hat die Leistungsschau nach eigenen Angaben in etwa wieder so viel Fläche vermietet wie im Vorjahr - dabei dominieren in den Hallen aber weiter- hin die Regale mit den ausgestellten Büchern.

Innovativ soll es dagegen in den quer verstreuten "Hotspots" zugehen oder dem neuen Zentrum "StoryDrive", das die "crossmedialen Plattformen" der unterschiedlichen Verwerter der Inhalte (Content) zusammenbringen soll.

Das neue Rechte-Zentrum wurde erneut stark ausgebaut - jetzt hat es eine eigene Messehalle erhalten. 527 Agenten aus der ganzen Welt haben einen der begehrten Tische ergattert, wo um globale Lizenzen im Multimedia-Zeitalter gefeilscht wird. Mit 70 Agenturen sind die USA am stärksten vertreten. (dpa / bee)

Sie finden Springer Medizin, der Verlag, in dem auch die "Ärzte Zeitung" erscheint, in Halle 4.2., G 402

www.buchmesse.de

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