Nacht für Nacht wie auf dem Mount Everest

Das älteste Schlaflabor Deutschlands steht auf den Marburger Lahnbergen. Hier werden jede Nacht Patienten und ihr Schlaf beobachtet. Die Marburger sind Vorreiter in der Schlafmedizin: Bereits in den 1980er Jahren entwickelten sie den "Marburger Koffer".

Von Gesa Coordes Veröffentlicht:
Mit Maschinen und Kabeln ins Klinikbett: Der Schlaf von rund 1500 Patienten pro Jahr wird im Marburger Schlaflabor beobachtet.

Mit Maschinen und Kabeln ins Klinikbett: Der Schlaf von rund 1500 Patienten pro Jahr wird im Marburger Schlaflabor beobachtet.

© Coordes

MARBURG. Der Patient auf Zimmer eins ist ein typischer Fall von Schlafapnoe: Mehrmals in der Nacht setzt sein Atem ganz aus. Dann schnappt er rasselnd nach Luft und schnarcht laut - aber ungestört - weiter.

Um das zu wissen, muss Professor Ulrich Koehler nur einen Blick auf den Monitor werfen, der im Überwachungszimmer steht. Nacht für Nacht werden im Marburger Uni-Schlaflabor elf Patienten "verkabelt", um ihren Schlafproblemen auf die Spur zu kommen.

Die Monitore zeigen die Sauerstoffsättigung des Blutes, Herzschlag, Schnarchgeräusche, Blutdruck, Atemdehnung, Muskelspannung und viele weitere Parameter.

Auf Zimmer vier liegt ein besonders schwerer Fall: Der Atem des 50-Jährigen steht in der Nacht rund 60-mal still.

Wenn er in die Tiefschlafphase kommt, sinkt der Sauerstoffgehalt seines Blutes auf 60 Prozent: "Das ist wie auf dem Mount Everest", erklärt Koehler.

Marburger Koffer für Zuhause

Das Schlafmedizinische Zentrum auf den Marburger Lahnbergen ist das älteste und eines der renommiertesten Schlaflabore in Deutschland.

Anfang der 1980er Jahre, als die Schlafapnoe hierzulande noch fast unbekannt war, erkannten die Marburger Experten bereits die Bedeutung der nächtlichen Atemaussetzer.

Sie entwickelten den so genannten "Marburger Koffer", mit dem die Patienten ihren Schlaf zu Hause untersuchen konnten.

"Damals sind wir abends zu den Patienten gefahren, um ihnen die Geräte anzulegen", erinnert sich Koehler, der das Schlafmedizinische Zentrum heute leitet.

Den Marburger Koffer gibt es im Prinzip bis heute - er ist allerdings viel kleiner geworden. Und die Handhabung wird den Patienten in der Klinik erklärt.

Bestätigt sich der Verdacht, verbringen die Betroffenen zwei Nächte im Schlaflabor, wo sie gründlich untersucht werden.

Sekundenschlaf am Tag

Inzwischen ist auch klar, welche Brisanz die Krankheit hat: Zwei bis vier Prozent der Bevölkerung - vor allem übergewichtige Männer - leiden unter Schlafapnoe. Das bedeutet, dass die Atmung nachts immer wieder aussetzt, wodurch die Sauerstoffversorgung des Blutes einbricht.

Der Körper reagiert auf die Atemstörung, indem er sich selbst aus der Tiefschlafphase herausholt. Das führt zu enormem Stress - Bluthochdruck ist eine häufige Folge. Aber auch Schlaganfälle und Herzinfarkte können folgen.

Besonders gefährlich ist das für Lkw- oder Busfahrer. Denn die Krankheit führt dazu, dass die Patienten tagsüber oft in einen Sekundenschlaf fallen.

Viele tödliche Unfälle gehen darauf zurück. Deshalb sagt Koehler: "Jede unklare Tagesschläfrigkeit gehört im Grunde im Schlaflabor abgeklärt."

Wer unter der Krankheit leidet, muss aber auch als Lkw-Fahrer seinen Beruf nicht aufgeben. Die Patienten tragen nachts eine Atemmaske, mit der die Schlundmuskulatur durch Luftdruck gedehnt wird.

Die nächtlichen Aussetzer hängen nämlich damit zusammen, dass die Muskulatur im Rachen so erschlafft, dass der Atemweg blockiert wird.

Mit der Maske können die Patienten wieder gut schlafen: "Viele fühlen sich wie neu geboren", erzählt Koehler. Schwierig sei die Maske allerdings für diejenigen, die trotz Schlafapnoe tagsüber nicht müde sind.

3500 Patienten pro Jahr

Das Marburger Schlaflabor ist heute das Interdisziplinäre Schlafmedizinische Zentrum für Hessen. Die Patienten kommen aus ganz Deutschland in die Klinik auf den Lahnbergen: Jedes Jahr werden 1500 Menschen stationär und mehr als 2000 ambulant versorgt.

Die meisten Hilfesuchenden leiden unter Schlafapnoe. Aber auch neurologische Erkrankungen, falsche Schlafgewohnheiten, Erkrankungen der Wirbelsäule oder Herzschwäche können die Ursache für schlechten Schlaf sein.

Das Schlaflabor ist auch eine "Kaderschmiede für technische Neuentwicklungen", sagt Professor Koehler: Preisgekrönt wurde die "Marburger-Atem-Antwort-Messung", die den Zusammenhang von Atmung und Blutgasen überprüft.

Neu entwickelt wurde das "Lung Sound Monitoring", das vor allem der Diagnostik von Kindern mit asthmatischen Symptomen dient, und die Nasale Langzeit Inhalation, mit der Medikamente während des Schlafes langsam in die Atemwege der Patienten eingebracht werden.

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