Pädiater im Dienste der Nazis

Der Kinder wird gedacht, die Täter werden beim Namen genannt. Eine Ausstellung der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin (DGKJ) erinnert an den vieltausendfachen Mord an Kindern im Nationalsozialismus.

Philipp Grätzel von GrätzVon Philipp Grätzel von Grätz Veröffentlicht:
Die Fröhlichkeit der Kinder, die nichts von ihrem Schicksal wissen, beklemmt.

Die Fröhlichkeit der Kinder, die nichts von ihrem Schicksal wissen, beklemmt.

© DGKJ/Institut für Geschichte der Medizin, Charité

BERLIN. Es sind die Fotos, die bei der Ausstellung "Im Gedenken der Kinder" als erstes in Auge springen. Auf einem Bild sind fünf Kinder zu sehen, offensichtlich behindert und genauso offensichtlich gut gelaunt.

Das Bild stammt aus der "Brandenburgischen Idiotenanstalt Lübben", aufgenommen in den 1930er Jahren. Kurze Zeit später wurden von dort Kinder, die vermutlich genauso fröhlich aussahen, zu Forschungszwecken in das Krankenhaus Görden zu dem Kinderpsychiater Hans Heinze verlegt. Nach den Experimenten wurden sie dort vergast.

Georg Bessau, bis 1944 Direktor der Kinderklinik an der Berliner Charité, testete Tb-Impfstoffe an Kindern.

Georg Bessau, bis 1944 Direktor der Kinderklinik an der Berliner Charité, testete Tb-Impfstoffe an Kindern.

© DGKJ/Institut für Geschichte der Medizin, Charité

Georg Bessau ist auch abgebildet, bis 1944 Direktor der Kinderklinik der Charité Berlin. Er testete Tb-Impfstoffe an als lebensunwert begutachteten Kindern.

Dann gibt es das Foto von Ernst Wentzler, niedergelassener Kinderarzt. Er war Gutachter im so genannten Reichsausschuss-Verfahren, das dazu diente, die Ermordung von über 5000 außer ihrer Behinderung oft kerngesunden Kindern in dreißig (oder mehr) "Kinderfachabteilungen" deutschlandweit umzusetzen.

Wentzler hat sich nie selbst die Hände schmutzig gemacht. In seiner Praxis in Berlin-Friedenau gab es keine "Kinderfachabteilung". Nach 1945 praktizierte er weiter in Hannoversch-Münden.

"Wir nennen nicht alle Kinder beim Namen, aber wir haben versucht, die Täter zu benennen", betonte der Medizinhistoriker Privatdozent Thomas Beddies von der Charité Berlin anlässlich der von ihm für die DGKJ kuratierten Wander-Ausstellung.

Viele Dutzend Einträge aus dem Reicharztregister füllen eine große Wand. "Insgesamt gehen wir heute davon aus, dass die Zahl der ermordeten Kinder mindestens fünfstellig ist", so Beddies.

Mehr als ein Brief war nicht nötig

Neben dem Reichsausschuss-Verfahren betraf auch die Aktion "T4" teilweise Kinder. Außerhalb dieser beiden vergleichsweise gut dokumentierten Aktionen wurde vor allem in den letzten beiden Kriegsjahren eine heute kaum mehr rekonstruierbare Zahl an Kindern an pädiatrischen Einrichtungen überall im Land umgebracht.

Die Kinder wurden teils vergiftet, teils ließ man sie verhungern. Dafür wurden in großem Umfang Krankenakten gefälscht und Angehörige belogen.

Die Wander-Ausstellung geht zurück auf eine Begleitausstellung der DGKJ-Jahrestagung 2010 in Potsdam. Wer die zahlreichen Texte auf den Stellwänden liest, dem wird erschreckend bewusst, warum sich die deutsche Ärzteschaft mit der Aufarbeitung ihrer Vergangenheit so schwer getan hat.

Es gab kein Euthanasie-Gesetz und auch keinen Erlass zur systematischen Kindstötung. Ein kurzer Brief Adolf Hitlers anlässlich eines Präzedenzfalls, in seiner Formulierung vage, fast zurückhaltend, stand am Anfang. Mehr war nicht nötig. Der Führer konnte sich auf seine Ärzte verlassen.

Nach der Ausstellung im Berliner Dokumentationszentrum der "Topographie des Terrors", wurden die Fotos auch in Leipzig gezeigt.

Ab 3. September kommt die Ausstellung bis zum 11. November nach Hamburg. Ort: Medizinhistorisches Museum am UKE, Fritz-Schuhmacher-Haus, Eingang Frickestr. / Ecke Schedestr.; geöffnet mittwochs, samstags und sonntags

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