Häme statt Ruhm

Warum Castingshows depressiv machen

Castingshows füllen das Programm im Privatfernsehen. Die Teilnehmer hoffen auf eine Musikerkarriere und Ruhm. Doch für einige endet das TV-Abenteuer als Albtraum.

Von Jonas Tauber Veröffentlicht:
Casting bei "Deutschland sucht den Superstar": Die Jury entscheidet, ob die Kandidatin die nächste Runde erreicht.

Casting bei "Deutschland sucht den Superstar": Die Jury entscheidet, ob die Kandidatin die nächste Runde erreicht.

© dpa

ESSEN. Die bei Kindern und Jugendlichen beliebten Musik-Talentshows bergen Risiken für die psychische Gesundheit der Teilnehmer bis hin zur Depression. Das ist das Ergebnis einer Befragung von 59 ehemaligen Kandidaten bei Shows wie "Deutschland sucht den Superstar" (DSDS) oder "X-Factor".

"Ein Fünftel der Kandidaten empfindet die Erfahrung im Nachhinein als negativ", sagte Dr. Maya Götz, eine der Studienautorinnen, bei der Vorstellung der Ergebnisse in Essen. Betroffene berichteten von psychischer Überforderung oder nachhaltiger Rufschädigung.

Rund 20 Prozent der Kandidaten bei sogenannten Castingshows bereuen ihre Teilnahme. Das zeigt die Studie "Sprungbrett oder Krise? Das Erlebnis Castingshow-Teilnahme", eine Kooperation der Landesanstalt für Medien Nordrhein-Westfalen (LfM) und des Internationalen Zentralinstituts für das Jugend- und Bildungsfernsehen.

Castingshows locken junge Menschen mit dem Versprechen von Ruhm und Prominenz zur Teilnahme. Die Kandidaten üben den Gesangspart zu bekannten Liedern ein und müssen sich dann im Wettkampf gegen ihre Konkurrenten behaupten. Wer in die nächste Runde kommt, entscheidet eine Jury.

Im Extremfall leiden ehemalige Kandidaten noch Jahre nach der Show unter den Folgen, berichtete Götz. Eine namentlich nicht genannte einstige DSDS-Kandidatin wurde in der Show als besonders unfähig dargestellt und musste anschließend mit der Häme aus dem sozialen Umfeld leben.

Weil die Sendung mehrmals wiederholt wurde und Ausschnitte im Internet angeschaut werden können, wird sie immer wieder damit konfrontiert.

"Ich hätte mich niemals dort beworben, wenn ich gewusst hätte, was die mit den Leuten da alles machen, nur um sie blöd darzustellen, nur damit die Leute was zu lachen haben", wird sie in der Studie zitiert.

Die Autorinnen betonen, dass die gezielte Abwertung bestimmter Kandidaten bei mancher Sendung Teil des Konzepts sei. Dies ermögliche den Zuschauern, sich über die Betroffenen lustig zu machen und sich überlegen zu fühlen.

Handlungsbedarf, aber keine neuen Gesetze

Die Wissenschaftlerinnen fordern von den Show-Produzenten, auf die "Stilisierung von Teilnehmern zu Freaks" zu verzichten. Überhaupt sollten die Macher Verantwortung für die teilweise minderjährigen Kandidaten übernehmen und sie, wenn nötig, vor sich selbst schützen.

"Die professionelle psychologische Betreuung der Kandidaten während der Show ist ein Schritt in die richtige Richtung", sagte Götz. Vorgemacht hat das die Show "The Voice of Germany".

Götz hält es für wünschenswert, dass die Betreuung auch nach Beendigung der Show für eine gewisse Zeit fortgeführt wird. Außerdem sollten den Teilnehmern professionelle Medienberater zur Seite gestellt werden, damit sie an der eigenen Inszenierung mitwirken könnten.

Die Wissenschaftler wollen generell die Medienkompetenz junger Menschen fördern. Denn: Die parallele Befragung von 1230 Kindern und Jugendlichen zwischen sechs und 17 Jahren zu ihrer Einschätzung des Erlebnisses Castingshow-Teilnahme ergab, dass Wahrnehmung und Realität der Shows deutlich auseinander gehen.

So stimmten 80 Prozent der Befragten der Aussage zu, dass die Kandidaten genau so sind, wie die Sendung sie zeigt.

Dagegen beobachteten die Forscher eine Typisierung der Wettbewerber. So berichtete eine DSDS-Teilnehmerin, dass sie in die stereotype Rolle der "sexy Zicke" gedrängt wurde, ohne dass sie sich dagegen habe wehren können.

Aus jugendschutzrechtlicher Sicht gibt es bei Castingshows Handlungsbedarf, glaubt Holger Girbig, bei der Landesanstalt für Medien Nordrhein-Westfalen zuständig für Jugendschutzrecht.

Neue Gesetze seien aber nicht unbedingt nötig, wenn die TV-Verantwortlichen die richtigen Schlüsse ziehen. "Wir glauben, dass die Show-Verantwortlichen selbst weg wollen von der Welle des Vorführens von Kandidaten", sagt Girbig.

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