Landarzt aus Leidenschaft

"Unser System ist saumäßig gut"

Das Leben als Landarzt kann nicht erfüllend sein? Eine TV-Reportage über Landarzt Dr. Dachsel aus Schlaitdorf in Baden-Württemberg zeigt das komplette Gegenteil.

Von Pete Smith Veröffentlicht:
Dr. Günter Dachsel, Landarzt aus Schlaitdorf: "Mich interessieren nicht die Krankheiten, mich interessieren die Menschen."

Dr. Günter Dachsel, Landarzt aus Schlaitdorf: "Mich interessieren nicht die Krankheiten, mich interessieren die Menschen."

© SWR

Ein Mann betritt die Bühne. Gegeltes Haar, Schnurrbart, Frack, weißes Hemd, weiße Fliege und einen schimmernden Heesters-Schal um den Hals. "In den 20-er Jahren gab es einen russischen Arzt", erzählt er dem Publikum, "der hat Affen gezüchtet und den Männern Affenhoden implantiert."

"Doktor Dachsel: Dorfarzt mit Leib und Stimme"

TV-Doku läuft am Montag, 6. Mai 2013, um 23 Uhr im SWR-Fernsehen

Seine Praxis liegt in Schlaitdorf, einer kleinen Gemeinde zwischen Nürtingen und Tübingen.

Schlaitdorf hat rund 1600 Einwohner.

Er gibt der Gitarristin und dem Bassisten ein Zeichen und fängt an zu singen: "Mein Großpapa will auf die Bäume steigen, es gibt keinen Wipfel, den er nicht erklimmt…"

Der nächste Morgen. Die Gitarristin sitzt hinterm Empfangstresen und der Sänger im Behandlungsraum. Während sie Termine vereinbart, kümmert er sich um seine erste Patientin.

"Es war wunderschön gestern", schwärmt jene und lobt das "Trio Cappuccino" in den höchsten Tönen. Das freut den Arzt. "Wenn Sie lachen, ist das ja auch gut für Ihre Gesundheit."

Schon die beiden Eingangsszenen der einstündigen Dokumentation "Doktor Dachsel. Dorfarzt mit Leib und Stimme", die am Montag um 23 Uhr im SWR ausgestrahlt wird, lassen keinen Zweifel daran, dass Annegret und Günther Dachsel sowohl auf der Bühne als auch in ihrer Hausarztpraxis ein gut eingespieltes Team sind.

Beruf und Hobby haben viel gemein, wie im Verlauf des Filmes deutlich wird. Beide Gaben bringen die Dachsels in Schlaitdorf, ihrer Heimatgemeinde oberhalb des Neckartals, ein.

Steht der "Supergau" bevor?

"Mich interessieren nicht die Krankheiten", sagt Dr. Dachsel, "mich interessieren die Menschen."

Gerade sitzt ein Hypertoniker vor ihm, dem man im Krankenhaus gesagt hat, "dass der Supergau unmittelbar bevorsteht". Dachsel misst den Blutdruck und kommt auf 185:95.

Zu hoch, befindet er und erläutert anhand einer Zeichnung, wie so etwas entsteht: Entweder ist die Pumpe defekt oder die Schläuche sind zu eng - das versteht sein Patient und gelobt nach eindringlicher Bitte des Arztes, künftig an seine Fettsenker zu denken. "Je intensiver das Gespräch", so Dachsel, "desto eher nimmt er seine Medikamente."

Schon wartet der nächste Patient im Behandlungsraum, ein junger Mann mit Schmerzen in Folge eines Unfalls. Dachsel setzt seine Nadeln. Akupunktur habe er gelernt, um Narkosemittel zu sparen.

Bei Fettleber hilft Sport, gegen Depressionen helfen gemeinsame Aktivitäten. Manchmal genügt es schon, wenn er einer Patientin, der gerade gekündigt wurde, sein Ohr leiht.

"Wenn ich weiß, meine Frau ist da vorn", sagt der Arzt, "dann weiß ich, das läuft gut. Das ist nicht in allen Praxen so."

Annegret Dachsel ist eigentlich Lehrerin, aber die Arbeit in der Praxis macht ihr großen Spaß. "Außerdem ist es schön, wenn man mit dem Partner seine Arbeit teilen kann." Und seine Hobbys.

Beim Singen gibt sie den Takt vor. Annegret Dachsel leitet zwei Chöre. Das gemeinsame Singen sei ein fester Bestandteil ihres Lebens, sagt die Arzthelferin. "Das ist ein Kraftquell für uns."

Ohne Hausbesuche fehlt etwas

Immer wieder gelingt es den Dachsels, auch andere von ihrer Quelle kosten zu lassen. Einer ihrer Patienten ist ein ehemaliger Verkaufsleiter, der nach seiner Pensionierung in ein tiefes Loch fiel. Nach vier Monaten stationärer Behandlung wegen seiner Depression kam er in die Praxis seines Hausarztes.

Der erklärte ihm, dass sie im Chor dringend Tenöre bräuchten. Das eröffnete dem Mann eine völlig neue Perspektive. "Das Singen ist jetzt für mich ein Lebenselixier."

Natürlich gehören auch Hausbesuche zum Alltag des Dorfarztes Dr. Dachsel. Vor allem sieht er nach alten Menschen - zu Hause oder im Heim. Manchmal sage er nach solchen Besuchen zu seiner Frau: "Das war heute fast wieder vergnügungssteuerpflichtig."

Ohne Hausbesuche würde ihm etwas fehlen, auch wenn sich jene betriebswirtschaftlich nicht rechneten.

Dann ist Samstag. Blumen, Dorfstraßen, Felder. Über Schlaitdorf geht gerade die Sonne auf. Ein Idyll, das man sich schöner nicht denken kann. Dr. Dachsel empfängt einen jungen Mann, der früher eine Leukämie hatte, aber als geheilt gilt. "Das ist einfach toll", freut sich der Arzt.

"Unser System hier ist so saumäßig gut." Wozu braucht es eine Millionen Euro teure Imagekampagne, wenn es Ärzte wie Dr. Dachsel gibt? Nur schade, dass die Doku von Susanne Bausch so spät im Fernsehen gezeigt wird.

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