Schumacher vor Koma-Ende

Nur Spekulation über Dauerschäden

Michael Schumacher soll aus dem künstlichen Koma erweckt werden. Sein Hirnödem ist damit offenbar weitgehend zurückgegangen. Über bleibende Schäden lässt sich nur spekulieren: Das lange Koma deutet aber auf keine sehr gute Prognose.

Von Thomas Müller Veröffentlicht:
Künstliche Beatmung auf der Intensivstation: Michael Schumacher könnte mit etwas Glück bald davon loskommen.

Künstliche Beatmung auf der Intensivstation: Michael Schumacher könnte mit etwas Glück bald davon loskommen.

© Mathias Ernert

WÜRZBURG. Formel-1-Rekordweltmeister Michael Schumacher wird offenbar aus dem künstlichen Koma geholt. Das bestätigte seine Managerin Sabine Kehm am Donnerstag in einem schriftlichen Statement.

"Michaels Narkosemittel werden seit Kurzem reduziert, um ihn in einen Aufwachprozess zu überführen, der sehr lange dauern kann", schrieb sie. Schumacher hatte bei seinem Skiunfall am 29. Dezember 2013 in Méribel ein schweres Schädel-Hirn-Trauma erlitten. Seit dem Sturz liegt er im Universitätskrankenhaus von Grenoble.

In welchem Zustand Schumacher aufwachen wird, lässt sich ohne detaillierte Kenntnis der Befunde zwar nicht sagen, aber die Ärzte vor Ort wissen vermutlich, ob er dabei wieder das Bewusstsein erlangt. Messungen von evozierten Potenzialen könnten darüber gut Auskunft geben, sagte Professor Wolfgang Müllges vom Uniklinikum Würzburg zur "Ärzte Zeitung".

Wie stark seine kognitiven Fähigkeiten nach dem Absetzen der Narkosemittel beeinträchtigt sind, lasse sich anhand der evozierten Potenziale aber nicht im Voraus feststellen, so der Neurologe und Intensivmediziner.

Aus der mehrwöchigen Narkose lasse sich allenfalls schließen, dass es sich um ein recht schweres Schädel-Hirn-Trauma handelt. "Und ein schweres Trauma bleibt in der Regel nicht ohne Folgen", lautet die Erfahrung des Intensivmediziners.

Über das künstliche Koma werden Hirnstoffwechsel und Sauerstoffbedarf reduziert. Dies soll - oft zusammen mit einer Kühlung - Hirnschäden minimieren und die Schwellung gering halten. Normalerweise holt man die Patienten erst aus dem Koma zurück, wenn die Hirnschwellung weit abgeklungen ist, so Müllges, und das hat bei Michael Schumacher offenbar sehr lange gedauert.

Viel Geduld nötig

Werden Patienten aus dem künstlichen Koma geholt, setzen Ärzte die Narkosemittel langsam ab. Mit der Zeit kehren dann die Reflexe zurück und schließlich das Wachbewusstsein. Bei dem Prozess wird der Hirndruck in der Regel genau überwacht.

Es kann dann schon einige Zeit dauern, bis der Patient seine verbliebenen kognitiven Funktionen zurückerlangt hat. "Bei allen Hirnverletzungen ist es wichtig, viel Geduld zu haben. Da verändert sich nichts von jetzt auf gleich", so Müllges.

Schumacher war nach seinem Skiunfall lange Zeit in einem kritischen Zustand und ist zweimal operiert worden. Dabei wurden Hämatome ausgeräumt und die Schädelkalotte gefenstert, um den Hirndruck zu mindern.

Bislang ist lediglich bekannt, dass Schumacher multiple Hirnverletzungen hat, darunter Prellungen, Quetschungen und offenbar auch Einblutungen ins Hirngewebe sowie subdurale und/oder epidurale Hämatome.

Die Phase der Beatmungsentwöhnung eines beatmeten Patienten vom Beatmungsgerät wird bekanntlich als weaning (englisch: to wean = entwöhnen) bezeichnet. Probleme kann es dabei gerade bei Patienten mit pulmonalen Vorerkrankungen geben wie einer COPD.

"Nach unserer Erfahrung kommt es bei zehn Prozent aller beatmeten Patienten zu einem prolongierten Weaning", berichtet Professor Bernd Schönhofer vom Klinikum Region Hannover. "Das sind dann die Patienten, die ein spezielles Know-how erfordern", hat Schönhofer kürzlich beim 13. Kongress der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin, in Leipzig berichtet.

Frühtracheotomie womöglich ohne Vorteile

Für ihn hängt der Erfolg des Weaningprozesses vom konsequenten Einsatz nichtinvasiver Verfahren (zum Beispiel Masken-CPAP) nach der Extubation ab. "Etwa 30 Prozent der Patienten mit prolongiertem Weaning sprechen auf diese Technik an."

Als besonders problematisch erweisen sich die Patienten, bei denen die Entwöhnung vom Respirator länger als 14 Tage dauert. "Im Grunde wissen wir nicht, was wir mit diesen Patienten machen sollen", so Schönhofer in Leipzig.

Denn für diese Fälle existierten keine empirisch abgesicherten Handlungsanweisungen. "In diesen Fällen bleibt man auf die Intuition und das spezialisierte Wissen von Experten angewiesen". Erschwertes Weaning ist ein komplexes Problem.

Eine für Januar 2014 zur Publikation geplante S2-Leitlinie versucht, praxisrelevante, individuelle Lösungswege aufzuzeigen. Auf dem DIVI-Kongress wurde die neue Leitlinie der Fachöffentlichkeit vorgestellt. Kritisch bewertet Schönhofer den Nutzen der frühen Tracheotomie. "Wir haben ganz aktuelle Studien, die zeigen, dass die Frühtracheotomie keine Vorteile bringt", so der Experte.

Er bezieht sich auf eine aktuell veröffentlichte Multizenterstudie, in der 909 Patienten randomisiert entweder früh- oder spät tracheotomiert wurden. Im Langzeitverlauf zeigte sich kein Effekt des Tracheotomiezeitpunkts auf den klinischen Verlauf (etwa Intensivdauer).

Als neue Perspektive dagegen erweist sich nach Angaben von Schönhofer der passagere Einsatz eines modifizierten Verfahrens zur extrakorporalen CO2-Elimination (PECLA). In 90 Prozent der Fälle ließ sich hiermit bei COPD-Patienten eine hyperkapniebedingte Intubation umgehen.

Das Verfahren erfordert weder Beatmung noch Sedierung. "Ein vielversprechender Ansatz, um Weaningprobleme erst gar nicht entstehen zu lassen", so Schönhofer.

Mit Material von Dr. Horst Gross

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