Glosse zum Karneval

Leber oder Magen? Das muss jeder Narr sich fragen

Wer glaubt, Medizin und Forschung könnten helfen, die tollen Karnevalstage besser zu überstehen, der irrt gewaltig. Mit etwas Restverstand kann aber jeder ein paar pragmatische Entscheidungen treffen.

Von Thomas Müller Veröffentlicht:

Von Thomas Müller

Wenn das "kollektive verordnete Besäufnis mit viel Erotik und nacktem Fleisch", wie es ein Münchner Psychologe auszudrücken pflegt, in den nächsten Tagen seinem Höhepunkt entgegensiedet, sind immer wieder Ansätze gefragt, das Spektakel zu verstehen oder es wenigstens halbwegs zu überstehen.

Die Forschung behandelt den Fasching jedoch eher stiefmütterlich, was schon bei den Etymologen beginnt, die immer noch nicht geklärt haben, ob der Begriff "Fastnacht" die anstehende Fastenzeit meint oder doch eher die vielen nachts geleerten Fässer.

Nicht besser sieht es mit medizinischen Erkenntnissen aus, zumal hier fast nur die alkoholbedingten Nebenwirkungen im Fokus stehen. Den Forschern ist zwar längst klar, dass sich ein Promille Blutalkohol anfühlt wie eine Nacht ohne Schlaf.

Doch was ist mit einem Promille Restalkohol am Morgen nach einer komplett durchzechten Nacht? Entspricht dies zwei Promille oder einer ganzen schlaflosen Woche? Hier schweigt die Wissenschaft, und diejenigen, die in der Lage wären, uns darüber zu berichten - sie wollen oder können sich an diese dunklen Minuten nicht mehr erinnern.

Denkt man jedoch daran, was Klinikärzte während einer 36-Stunden-Schicht leisten müssen, dann ist zumindest eines klar: Wer am Mittwochmorgen aus dem Mund riecht wie aus dem Abluftrohr einer Schnapsbrennerei, der hat zwar einen guten Grund, die Straßenbahn zu nehmen, nicht aber der Arbeit fernzubleiben.

ASS oder Paracetamol?

Längst nicht geklärt ist auch der beste Weg zur Reanimation nach erfolgreicher Intoxikation. Lassen sich die trommelnden Narren im Kopf besser mit einer halben Packung Paracetamol oder ein paar Gramm Aspirin vertreiben? "Leber oder Magen?", mag man da ganz pragmatisch fragen.

Ein Leberschaden schmerzt deutlich weniger als ein blutender Magen - das spricht eindeutig für Paracetamol. Doch wer schon eine halbe Flasche Tequila ohne Magengeschwür überstanden hat, darf gerne am nächsten Morgen einen Liter Kaffee und zwei ASS hinterherschicken.

Immerhin hat die US-Behörde FDA eine ähnliche Kombination als Katermedizin zugelassen - den Protonenpumpenhemmer sollte man bei dieser Magengranate aber besser nicht vergessen.

Natürlich wäre es schlauer, mit effektiven Präventionsmaßnahmen das Unwohlsein am nächsten Tag zu vermeiden. Das wurde durchaus versucht. So haben Forscher Bier mit Koffein angereichert, um den Kater in statu nascendi zu verjagen.

Genützt hat es jedoch nichts. Auch Nikotin bringt präventiv wenig, ganz im Gegenteil, das Elend ist bei rauchenden Jecken am nächsten Tag nur noch größer.

Fang das Schwein rechtzeitig wieder ein

Nicht von der Hand, dem Mund und anderen Körperteilen zu weisen sind auch die vielen Viren und Bazillen, die sich auf Agglomerationen alkoholgeschwächter Immunsysteme in miefigen Spelunken stürzen. Könnte ein Pandemie-Erreger strategisch planen, er würde genau jetzt seinen Angriff beginnen.

Nun hat der Keim kein Gehirn, der Mensch schon, benutzt es in diesen Tagen aber kaum. So führt die intellektuelle Waffengleichheit dann doch, wie immer, zu einem übervollen Wartezimmer.

Das alles zu begreifen, bedarf es eines Psychologen. Der hat zwar meist auch keine Ahnung, aber immer eine passende Erklärung. Der Kölner Karnevalsphilosoph Wolfgang Oelsner nennt die Narretei einen "Identitätswechsel im 20-Minuten-Rhythmus - ohne den Anspruch einer psychischen Störung" (news.de).

Dabei darf sich der Jeck so ziemlich jeden Unsinn erlauben, ohne am nächsten Morgen mit Schamgefühlen aufzuwachen. Auch von einer Ventilfunktion ist die Rede, von einem kultivierten Über-die-Stränge-Schlagen, von einem Ausleben unterdrückter Bedürfnisse, wobei "der Wikinger stets weiß, wann er wieder am Sparkassenschalter anzustehen hat" (Oelsner).

Was wohl nichts anders heißt als: Lass die Sau ruhig mal raus, fang das Schwein aber wieder rechtzeitig ein.

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