Forschung

Eine Gummihand, die Schmerz empfindet

Bei der Behandlung von Patienten mit Komplexem Regionalem Schmerzsyndrom muss offenbar die gestörte Körperwahrnehmung eine wesentliche Rolle spielen. Das zeigen Erkenntnisse aus den Untersuchungen mit einer Gummihand.

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"Gummihand-Illusion": Die Gummihand in der Mitte des Bildes wird nach mehrmaliger Stimulation der echten und der falschen Hand immer mehr wie ein Teil des eigenen Körpers wahrgenommen.

"Gummihand-Illusion": Die Gummihand in der Mitte des Bildes wird nach mehrmaliger Stimulation der echten und der falschen Hand immer mehr wie ein Teil des eigenen Körpers wahrgenommen.

© Prof. Dr. Christoph Maier

BOCHUM. Für ihre Forschungen zum Komplexen Regionalen Schmerzsyndrom (CRPS) wurde Dr. Annika Reinersmann, frühere Mitarbeiterin des Forschungsteams um Professor Dr. Christoph Maier von der Abteilung für Schmerzmedizin im Berufsgenossenschaftlichen Universitätsklinikum Bergmannsheil in Bochum, mit dem Förderpreis für Schmerzforschung 2013 ausgezeichnet.

Ihre Untersuchungen zur "Gummihand-Illusion" zeigen, dass die gestörte Körperwahrnehmung von Schmerzpatienten eine wesentliche Rolle für die Behandlung des CRPS spielen muss, teilt das Uniklinikum Bergmannsheil mit.

Bei diesem Testverfahren erleben Probanden eine Gummihand als Teil ihres Körpers und reagieren sogar mit physiologisch nachweisbaren Angstreaktionen, wenn die Gummihand vermeintlich mit einer Nadel verletzt wird.

Die Ergebnisse der Studie erlauben Rückschlüsse auf die Funktionalität neurophysiologischer Prozesse bei Patienten, die unter dem seltenen Komplexen Regionalen Schmerzsyndrom leiden. Der Preis wurde im Rahmen des Deutschen Schmerzkongresses in Hamburg von der Deutschen Schmerzgesellschaft verliehen. Reinersmann erhielt den ersten Preis in der Kategorie "Klinische Forschung".

Wenn die eigene Hand fremd wird

Seit längerem ist bekannt, dass Veränderungen im Gehirn bei Patienten mit CRPS wesentlich für die Schmerzaufrechterhaltung sind. Immer bekannter wird auch, dass diese Patienten unter einer Störung der Körperrepräsentation leiden. Sie berichten etwa von dem Gefühl, die betroffene Hand gehöre nicht zum eigenen Körper, wirke fremd oder wie abgestorben.

"Wir wollen verstehen, auf welcher Ebene im Gehirn die Körperrepräsentation konstruiert wird und wie diese Konstruktion beim CRPS erfolgt", wird Reinersmann in der Mitteilung zitiert. "Denn dann können wir bereits existierende Therapieinterventionen hinsichtlich ihrer Effektivität verbessern oder weiterentwickeln und möglicherweise neue, nicht-medikamentöse Verfahren entwickeln."

Im Rahmen ihrer Studie, die sie in Kooperation mit der Biopsychologie in Bochum sowie dem Forscherteam des Bergmannsheils Bochum durchgeführt hat, ging es darum, die "Gummihand-Illusion" auf ihre klinische Anwendbarkeit beim CRPS zu prüfen, um die Entstehungsursachen der gestörten Körperrepräsentation besser nachvollziehen zu können.

In die Studie wurden Probanden mit CRPS (Typ 1) an der oberen Extremität, Patienten mit anderen Schmerzen an der Hand und gesunde Probanden einbezogen. Die Wissenschaftler stimulierten die Hand des jeweiligen Probanden und eine passend platzierte Gummihand mit einem Pinsel.

Immer mehr empfand der Proband die Gummihand als einen Teil des eigenen Körpers. Wurde die Gummihand dann mit einer Spritze bedroht, erschrak er sogar. Die Illusionsstärke wurde einerseits erfasst durch standardisierte Fragebögen, andererseits durch die Messung des Hautwiderstandes der Probanden - denn dieser verändert sich häufig in Schreck- und Bedrohungssituationen, wie sie durch die Spritze herbeigeführt wurden.

Ein Schlüssel zu neuen Therapien?

"Völlig überraschend für uns war, dass Patienten mit CRPS die Illusion genauso intensiv erlebten wie gesunde Probanden oder Patienten mit anderen Schmerzen an der Hand", so Reinersmann. Dabei erlebten die Probanden die Illusion an der linken Hand stärker als an der rechten. "Das ist vermutlich ein Hinweis darauf, dass die rechte Gehirnhälfte an der Konstruktion der Körperrepräsentation maßgeblich beteiligt ist."

Auch konnten die Forscher zeigen, dass Patienten, die unter einer starken Verzerrung des Körperbildes litten, die Illusion an der betroffenen Hand weniger stark erlebten. Das intakte Erleben der "Gummihand-Illusion" lege nahe, dass die komplexen, höheren Prozesse der Integration visueller und taktiler Reize beim CRPS intakt ist: "Daraus können wir wichtige Rückschlüsse ziehen hinsichtlich der kortikalen, also auf die Großhirnrinde bezogenen Beeinträchtigung des zentralen Nervensystems", so die Psychologin.

"Offensichtlich sind nicht alle Hirnregionen von den pathophysiologischen Veränderungen beim CRPS betroffen und das bietet neue Ansätze zur Entwicklung und Verbesserung nicht-medikamentöser Therapieoptionen."

Reinersmann sieht auch konkrete Anwendungszwecke der "Gummihand-Illusion" für die klinische Diagnostik bei CRPS-Patienten. Mit diesem Verfahren könnte etwa die Funktionalität multisensorischer Prozesse bei Schmerzpatienten, also die Verarbeitung und Integration verschiedener Reize in bestimmten Hirnregionen geprüft werden.

Auch zur Überprüfung möglicher Verzerrungen des Körperbildes ließe sich dieses Instrument nutzen. Dabei scheinen die Daten darauf hinzudeuten, dass das Körperbild für die Behandlung des CRPS von großer Bedeutung ist. (eb)

Weitere Informationen im Internet: www.dgss.org

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