Darm mit Charme

Ein Schätzelchen, dieser Darm!

Kann der Darm wirklich Charme haben? Und wie - besonders, wenn Medizinstudentin Giulia Enders über den Darm, das Furzen oder die Schließmuskeln berichtet. Bekannt wurde sie auf Science-Slams, nun hat sie über ihr Lieblingsorgan ein Buch geschrieben.

Von Pete Smith Veröffentlicht:
Medizinstudentin und Autorin Giulia Enders: Mit ihrem Buch "Darm mit Charme" und den dazugehörigen Vorträgen macht sie derzeit Furore.

Medizinstudentin und Autorin Giulia Enders: Mit ihrem Buch "Darm mit Charme" und den dazugehörigen Vorträgen macht sie derzeit Furore.

© privat

Ihr Darm ist ihr "Schätzelchen". Um ihn zu verwöhnen, füttert ihn Giulia Enders täglich mit gesunder und verträglicher Kost. Wenn sie ihm doch einmal Pommes oder Pizza zumutet, entschuldigt sie sich und gelobt Besserung.

"Er hält zwar viel aus", sagt die 24-jährige Medizinstudentin, "ist aber nicht doof." Ihr Respekt wächst, je mehr sie über ihn erfährt. "In letzter Zeit habe ich fast schon ein kollegiales Verhältnis zu ihm."

Manchmal holt sie sich bei ihm Rat. "Was hältst du eigentlich von Probiotika?", fragt sie ihn. Oder: "Wie wirken deine Bakterien auf meine Psyche?"

Giulia Enders ist ein Internetstar. Auf YouTube wurde ihr ebenso heiterer wie erhellender Vortrag "Darm mit Charme" bis heute sagenhafte 500.000 Mal angeklickt.

Neulich hat sie die NDR-Talkshow "3 nach 9" gerockt, in der sie ein Plädoyer zur Ehrenrettung des Pupses hielt - Moderator Giovanni di Lorenzo schwärmte nachher, sie habe sein Leben verändert. Jetzt widmet Giulia Enders ihrem Schätzelchen ihr erstes Buch. Es trägt denselben Titel wie ihr Vortrag und verspricht "Alles über ein unterschätztes Organ".

Nach Selbstversuchen das Studium

Giulia Enders ist neugierig. "Von der Natur fürs Leben lernen" will sie und hat dazu bereits als Schülerin ihren eigenen Körper erforscht. Mönchspfeffer beispielsweise steigert ihre Aggressivität, fand sie im Selbstversuch heraus, eine Überdosis Zink ihren Geruchssinn. Später stellte sie ihre Ernährung um. Indem sie auf Weizen verzichtete, verbesserte sich die Konsistenz ihres Stuhls.

"Zur Medizin hat mich meine Neurodermitis gebracht", erzählt die in Mannheim geborene angehende Ärztin. Die Texte, die sie als Schülerin über ihre Krankheit studierte, hätten sie derart fasziniert, dass sie immer mehr erfahren wollte und immer mehr las.

Nach einem einjährigen Aufenthalt in den USA und bestandenem Abitur schrieb sie sich in Frankfurt am Main für Medizin ein. Schon in den ersten Semestern entwickelte sich ihre Begeisterung für den Darm.

Dass "wir nur ganz wenig von ihm wissen", führt sie auf seinen anrüchigen Ruf zurück. Der weit verbreiteten Scham setzt sie nun ihren jugendlichen Charme entgegen, und das mit großem Erfolg.

Erfolgreich bei Science-Slams

Giulia Enders: Darm mit Charme. Alles über ein unterschätztes Organ. Ullstein, 288 Seiten, Hardcover, ISBN-13 9783550080418

Zu ihrer zweiten Leidenschaft, dem Schreiben, sei sie während der ersten Semester selten gekommen, bedauert Giulia Enders, die viele Multiple-Choice-Fragen beantwortete, doch nur wenige Texte schrieb. Eines Tages habe ihr eine Freundin den Link zu einer Veranstaltung geschickt, bei der sie ihre beiden Talente verknüpfen könne.

In Science-Slams treten Jungwissenschaftler gegeneinander an. Vor einigen Hundert Zuhörern präsentieren sie in populärwissenschaftlichen Kurzvorträgen neue Forschungsergebnisse - auf möglichst verständliche und unterhaltsame Weise. Das Publikum entscheidet mit seinem Applaus darüber, wer den Wettstreit gewinnt.

Gemeinsam mit ihrer älteren Schwester Jill, die in Karlsruhe Kommunikationsdesign studiert und ein Talent für lustige Zeichnungen hat, entwickelte Giulia Enders einen zehnminütigen Power-Point-Vortrag über jenes Organ, das sie seiner außerordentlichen Größe und seines "Wahnsinnspotenzials" wegen am meisten fasziniert. "Darm mit Charme" gewann auf dem 6. Freiburger Science-Slam im Januar 2012 den ersten Preis.

Rasant verbreitet sich das Video des Vortrags seither im Netz, was sie, sagt Giulia Enders, vor allem den Bloggern zu verdanken habe, die bei ihrem zweiten Science-Slam in Berlin im Publikum saßen.

Der Erfolg habe sie überrascht und ein wenig auch geängstigt. "Weil mir das Ganze plötzlich entglitt und ich nichts mehr beeinflussen konnte."

Als dann eine Literaturagentin auf sie zukam und sie fragte, ob sie sich vorstellen könne, ein Buch über den Darm zu schreiben, habe sie das als einmalige Chance begriffen.

Pups "leise raustwitschen" lassen

Nicht um den Menschen Morbus Crohn oder Colitis ulcerosa zu erklären - dazu, gibt sich Giulia Enders bescheiden, habe sie noch lange nicht die nötige Kompetenz. Vielmehr um bei den Menschen eine Begeisterung für den Darm zu wecken und aufzuzeigen, "wie edel der menschliche Körper gebaut ist".

Vergnügt schreibt die Jungautorin mit ihrem Buch die Erfolgsgeschichte ihres Vortrags fort. Beispielsweise wenn sie die Frage ihres ehemaligen Mitbewohners - "Giulia, du studierst doch Medizin - wie geht kacken?" - beantwortet oder das Zusammenspiel zwischen äußerem und innerem Schließmuskel erläutert, deren Sensorzellen den Darminhalt auf seinen Aggregatzustand hin prüfen und bei der Entscheidung helfen, ob man einen Pups "leise raustwitschen" lässt oder aufgrund einer festeren Konsistenz der Verdauungsreste doch lieber dicht macht.

Derzeit forscht Giulia Enders für ihre Dissertation am Institut für Mikrobiologie der Goethe-Universität. In ihrer Doktorarbeit geht es, wen wundert's, um ein Bakterium, speziell um Acinetobacter baumannii, das womöglich noch "ausgefuchster" sei als MRSA.

Gastroenterologin will sie werden, irgendwann mit eigener Praxis. Und sie hofft, dass man in absehbarer Zeit den positiven Einfluss spezieller probiotischer Bakterien auf das Wohlbefinden des Menschen erforscht haben wird. Ihr Schätzelchen hat ihr den längst bestätigt.

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