Unterwegs mit der Luftrettung

Im Einsatz gegen die Zeit

Wenn die Zeit drängt, der Notarzt schnell am Unfallort gebraucht wird oder der Patient rasch in die Klinik muss, dann sind Hubschrauber oft das Rettungsmittel der Wahl. Ein Tag im Einsatz mit dem ADAC-Helikopter Christoph 32.

Von Johanna Dielmann-Berg Veröffentlicht:
Schnell geht es in den Rettungshubschrauber.

Schnell geht es in den Rettungshubschrauber.

© Johanna Dielmann-von Berg

Ein grelles Trillern durchbricht die Stille, jetzt muss alles ganz schnell gehen. Piepser vibrieren, Schuhe an, Jacken an, auf die Rampe und in den Hubschrauber. In gerade einmal zwei Minuten ist Christoph 32 fertig zum Abheben.

Das sonore Summen der Rotoren wird lauter. "Left and right over head clear", surrt es über die Kopfhörer des Bordfunks - was so viel heißt wie: Luftraum frei für den Abflug. Sträucher, Baumwipfel, das Stationsdach ziehen am Fenster des Rettungshubschraubers vorbei.

"9:23 Uhr" notiert sich Anästhesistin Dr. Astrid Köstler mit einem blauen Kuli auf dem linken Unterarm. Was genau sie in wenigen Minuten erwartet, weiß sie noch nicht.

Seit vier Jahren fliegt Astrid Köstler regelmäßig mit dem Hubschrauber des ADAC in Ingolstadt. Zuvor hat sie wie jeder Notarzt der Luftrettung jahrelang Erfahrung im bodengebundenen Rettungsdienst gesammelt. Vorgeschrieben sind beim ADAC mindestens drei Jahre.

Anders als am Boden beginnt für die "gelben Engel" die Rufbereitschaft erst mit Sonnenaufgang und endet mit Sonnenuntergang. "Die Luftrettung war schon immer ein Traum von mir", erzählt die 43-Jährige. "Aber ich hatte lange großen Respekt davor, weil wir die letzten in der Rettungskette sind."

Aus dem Cockpit reicht Pilot Peter Döring einen bedruckten Zettel nach hinten. Darauf stehen Angaben der Leitstelle, etwa zum Einsatzort, Unfallhergang und Verletzung oder Erkrankung des Patienten und ob bereits der Rettungsdienst vor Ort ist.

Landung auf der Wiese

Arzt bei der ADAC Luftrettung werden

Qualifikation „Notarzt” nach jeweiligem Landesrecht, das heißt Fachkunde Rettungsdienst oder Zusatzbezeichnung Notfallmedizin

Facharztqualifikation in einem Gebiet mit intensivmedizinischem Anteil (Innere Medizin, Chirurgie, Anästhesiologie)

Einschätzung durch den für die Station verantwortlichen leitenden Hubschrauberarzt als „geeignet“

Zusatzweiterbildung „Intensivtransport” nach den Vorgaben der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin e.V. (DIVI) für die Durchführung von Intensivtransporten

Acht Minuten später hat die Crew ihr Ziel im Visier: Vor einem Bauernhof in einem bayerischen Dorf parkt bereits der Rettungswagen. Direkt daneben eine Wiese, so groß wie ein halbes Fußballfeld, umrandet von Bäumen. "Wir gehen auf der Wiese runter", entscheidet Co-Pilot Jens Jasper.

Behutsam schraubt sich die gelbe Maschine in engen Kreisen nach unten. Mit jedem Meter Richtung Boden nimmt die Anspannung der Besatzung zu. Laub wirbelt durch die Luft, lange Gräser biegen sich im Wind der Rotoren.

Ein paar Meter über dem Boden öffnet Rettungsassistent Tom Weiss mit einem Ruck die Seitentür, streckt den Kopf hinaus, sucht Untergrund und Umgebung auf Hindernisse für die Landung ab. Dazu zählen abschüssiger Boden oder Äste, die in die Rotoren geraten könnten.

Sanft setzt der Helikopter auf. Mit zwei Schritten hat Weiss festen Boden unter den Füßen. Ärztin Köstler greift den Rucksack mit der Notfallausrüstung. Unter den laufenden Rotoren hinweg sprintet sie mit eingezogenem Kopf zum Bauernhof.

Die Anästhesistin vom Klinikum Ingolstadt und der Rettungsassistent sind ein eingespieltes Team. Tom Weiss arbeitet bereits seit acht Jahren für die Luftrettung. Beim Einsatz sind die Aufgaben klar verteilt, das spart im Ernstfall Minuten, die über Leben und Tod mit entscheiden.

Sie trägt die medizinische Verantwortung, er die technische. Dafür durchlaufen alle Rettungsassistenten der Luftrettung eine spezielle Ausbildung zum sogenannten HEMS-Crew-Member (Helicopter Emergency Medical Service).

Helfer für Pilot und Arzt

Die Crew von Christoph 32: Co-Pilot Jens Jasper (hinten v.l.), Notärztin Astrid Köstler sowie Pilot Peter Döring (vorne v.l.) und Rettungsassistent Tom Weiss.

Die Crew von Christoph 32: Co-Pilot Jens Jasper (hinten v.l.), Notärztin Astrid Köstler sowie Pilot Peter Döring (vorne v.l.) und Rettungsassistent Tom Weiss.

© Johanna Dielmann-von Berg

Einerseits unterstützen sie den Piloten bei der Navigation und übernehmen den Funkverkehr mit der Leitstelle. Andererseits assistieren sie den Notärzten bei der Versorgung der Patienten, kümmern sich um medizinische Geräte, Arzneimittel und Verbrauchsmaterial. "Meine Aufgabe ist es aber auch, den Ablauf des Einsatzes zu organisieren", erklärt Weiss.

Bei Unfällen mit mehreren Verletzten koordiniert er etwa die Zusammenarbeit mit anderen Rettungskräften, plant den Rettungsweg und lässt über die Leitstelle die ideale Zielklinik für den Patienten organisieren.

Dumpfes Stöhnen tönt aus dem Stall. Im Laufschritt biegen Astrid und Tom auf den Bauernhof ein. Im Schweinestall zwischen Mistgabel und Holztrog kauert Landwirt Fritz* auf einem Holzbrett am Boden. Die Augen zugekniffen, der Körper gekrümmt vor Schmerz.

"Astrid Köstler, hallo. Was ist passiert?", fragt die Notärztin und kniet sich neben ihn. "I hob ausgemistet. Do bin i auf'm Holzbrettl ausg'rutscht." Auftreten kann er nicht mehr, vor allem der rechte Fuß tut ihm höllisch weh. Köstler tastet vorsichtig den Fuß ab. "Wahrscheinlich gebrochen."

Auf den ersten Blick scheint Fritz nicht zwingend ein Fall für die Luftrettung zu sein. Die Leitstelle entscheidet auf Basis der Informationen des Anrufers, ob generell die Indikation für einen Notarzteinsatz besteht. Dies ist grundsätzlich bei allen Formen einer Vitalbedrohung der Fall, aber auch bei stärksten Schmerzen.

Die Luftrettung wird vor allem bei komplexen Verletzungen und Erkrankungen benötigt, wenn Patienten schnell vom Notfallort in eine geeignete Klinik transportiert werden müssen.

Darüber hinaus ist ihr Einsatz gerechtfertigt, wenn der Notarzt am Boden für einen Einsatz nicht zeitgerecht verfügbar ist - wie bei Fritz - oder er den Unfallort nur schwer oder gar nicht erreichen kann.

51.000 Einsätze für den ADAC-Rettungshubschrauber im Jahr 2013

Unterdessen schiebt Tom Weiss mit den Rettungsassistenten des Rettungswagens bereits die Trage in den Stall. Das Team lagert den Bauern auf die Trage um. Astrid Köstler zieht schon eine Spritze mit Schmerzmittel auf. Fritz jammert.

"Jetzt fühlen's sich gleich, als hätten's zwei Weißbier gezischt", erklärt sie ihrem Patienten. Nach gut 15 Minuten geht es für Fritz ins Krankenhaus. Zeit zum Verschnaufen bleibt der Notärztin aber nicht. Der Piepser vibriert zum zweiten Mal an diesem Morgen.

2013 verzeichnete der ADAC knapp 51.000 Einsätze seiner Rettungshubschrauber. Tendenz steigend. In der Hälfte davon handelte es sich um internistische Notfälle wie Herzinfarkt oder Schlaganfall. Rund zehn Prozent machten Verkehrsunfälle aus.

Die großen Betreiber der Luftrettung in Deutschland, der ADAC und die DRF Luftrettung, rechnen damit, dass die Einsatzzahlen weiter zunehmen werden und Rettungshubschrauber künftig nicht mehr überwiegend komplexe Notfallsituationen, sondern zunehmend auch eine akutmedizinische Grundversorgung mit übernehmen müssen. Denn Kliniken schließen sich zusammen, spezialisieren sich. Dadurch verlängert sich im Notfall der Weg in die passende Zielklinik.

Zudem führt der Ärztemangel gerade in ländlichen Gebieten zu Engpässen im Notarztdienst. Doch auch die Luftrettung kommt an ihre Grenzen. Nicht bei jedem Wetter kann geflogen werden, erklärt Pilot Jens Jasper. Ausschlusskriterien sind etwa Gewitter, Nebel, heftiger Wind (mehr als 100 Kilometer pro Stunde) und gefrierender Niederschlag.

Medizinisch fällt ein Hubschraubertransport aufgrund der engen Kabine flach, wenn Patienten eine extreme Adipositas aufweisen. Auch bei Infektionstransporten gibt es Einschränkungen, etwa weil das Cockpit nicht abgetrennt ist und die Piloten keinen Mundschutz tragen dürfen.

Ein weiteres Problem sind die Kosten: Zwar kommen die Krankenkassen für den Einsatz auf, die Kostenerstattung deckt jedoch nur die Versorgungsleistungen ab. Gerade die Luftrettung hat aufgrund der notwendigen Technik und des Personals in Bereitschaft sehr hohe Vorhalte- und Investitionskosten.

Da das Rettungswesen Ländersache ist, variiert die Vergütung bundesweit sehr stark. Die Betreiber zahlen meist drauf. So verzeichnete die ADAC Luftrettung 2012 einen Fehlbetrag des operativen Geschäfts von 4,2 Millionen Euro.

Die DRF Luftrettung erhält im Bundesschnitt 45 bis 75 Euro pro Flugminute von den Kassen. Um neue Geräte zu kaufen oder Personal zu schulen sei sie aber auf Spenden angewiesen, diese beliefen sich 2012 auf 21,7 Millionen Euro.

"Nasenspray" gegen die Schmerzen

Mobile Ausstattung: Die Crew kann alle medizinischen Geräte entnehmen.

Mobile Ausstattung: Die Crew kann alle medizinischen Geräte entnehmen.

© Johanna Dielmann-von Berg

Der zweite Einsatz führt die Besatzung von Christoph 32 in den Süden von Ingolstadt. Die 7-jährige Marie* ist in der Pause von einem Seil gefallen und hat sich den Arm gebrochen. Dicke Tränen kullern der Erstklässlerin die Wangen hinunter, als die Notärztin das Sekretariat der Grundschule betritt.

Während sich Tom Weiss erkundigt, ob die Eltern bereits informiert sind, streicht Astrid Köstler dem Mädchen über den braunen Haarschopf. "Kannst du mir an meinem Arm zeigen, wo es dir weh tut?", fragt sie. Marie deutet auf unterhalb des Ellenbogens. Ein schwarzes Tuch versteckt die Bruchstelle an ihrem Arm.

"Viele Ärzte haben Vorurteile gegenüber der Luftrettung", berichtet die Ärztin aus ihrer Erfahrung. "Viele denken, wir sind arrogant oder wissen alles besser. Das stimmt aber nicht. Wir schätzen die Arbeit der Kollegen und sind froh, wenn vor Ort schon die Notfallbehandlung begonnen wurde", bekräftigt sie.

Ein gutes Verhältnis sei wichtig, denn schließlich sei der Patient darauf angewiesen, dass Haus- oder Fachärzte und der Rettungsdienst perfekt zusammenarbeiten, ergänzt Tom Weiss.

Seiner Kollegin reicht er eine kleine Ampulle mit einem Stopfen-Aufsatz. "Marie, du kriegst jetzt erstmal ein Nasenspray. Dann gehen die Schmerzen weg", erklärt die Ärztin. Zwei Mal tief schniefen. Laut schluchzend schlingt Marie ihren rechten Arm um den Hals ihrer Mutter, die inzwischen eingetroffen ist.

"Am besten wäre es, wenn Sie Ihre Tochter selbst zum Rettungswagen tragen", sagt Astrid Köstler. Gesagt, getan. Mit der Ärztin fahren die beiden ins Klinikum Ingolstadt, Christoph 32 fliegt separat zurück.

Wie bei Bauer Fritz handelt es sich bei Marie um einen sogenannten Primäreinsatz. Ziel ist es, Patienten im Notfall schnell zu versorgen. Rettungshubschrauber dienen hier oft als Notarztzubringer.

Parallel wird bei Primäreinsätzen immer ein Rettungswagen alarmiert, um dann das jeweils besser geeignete Transportmittel für den Weg in die Klinik wählen zu können. Nachdem die kleine Patientin an die Klinikärzte übergeben ist, macht sich Astrid Köstler zu Fuß auf den Weg zur nahe gelegenen Hubschrauberstation.

Die meisten sind direkt an eine Klinik angeschlossen, da die Notärzte - oft Anästhesisten, Internisten, Chirurgen - aus dem Krankenhaus stammen. Maximal 15 Ärzte teilen sich den Dienst pro Station. Die Piloten sind direkt beim ADAC angestellt.

Etwa jeder zehnte Patient ist ein Sekundäreinsatz

"Wir sollen einen Patienten von Eichstätt nach München verlegen", begrüßt Stationsleiter Peter Döring die Notärztin. Gut zehn Minuten später landet die HEMS-Crew in der Nähe des Klinikums Eichstätt. Ein Rettungswagen wartet bereits. Denn wie in vielen städtischen Gebieten gibt es hier keinen Landeplatz, der unmittelbar an die Klinik anschließt.

Martin* ist aufgeregt. Drei Rettungsassistenten, zwei Ärzte und einige Krankenschwestern wuseln durch das Zimmer der Intensivstation: Überprüfen Sauerstoffsättigung und Herzrhythmus des Mannes Mitte 60 und packen seine persönlichen Sachen zusammen.

"Er hatte einen Herzinfarkt, sein Zustand ist stabil", informiert der Intensivmediziner Astrid Köstler. Zusätzlich erhält sie eine Mappe mit seinen Werten und Behandlungsverlauf, die sie später an die Ärzte im Deutschen Herzzentrum weiterreichen wird. Dort sollen die Spezialisten Martin einen doppelten Bypass legen.

"Ich fliege zum ersten Mal", gesteht Martin der Notärztin. "Sie müssen keine Angst haben", beschwichtigt sie und legt ihm ein schwarzes Kästchen auf den Bauch. "Können Sie des Kasterl festhalten?", lenkt sie ihn von seinen Sorgen ab.

Das "Kasterl" ist der drahtlose Sender des Patienten-Monitors, mit dem Köstler während des Flugs etwa Sauerstoffsättigung und Herzfrequenz überwacht. Auch die laufende Nitrolösung wird in eine Spritzenpumpe des Rettungshubschraubers eingespannt.

Anders als bei Marie oder Fritz handelt es sich bei Martin um einen sogenannten Sekundäreinsatz. Dabei werden vital bedrohte oder intensivpflichtige Patienten von Klinik zu Klinik verlegt. Etwa jeder zehnte Patient ist ein Sekundäreinsatz für die ADAC-Luftrettung.

"Klack, klack, klack". Die Türen am Heck des Helikopters schwingen auf. Astrid Köstler und Tom Weiss schieben Martin auf der Trage in die Kabine. Der stämmige Mann hat gerade so Platz im Heck des Hubschraubers.

Zwei handbreit über seinem Bauch hängt bereits ein Beatmungsgerät von der Decke. Am Kopfende sitzt Tom Weiss, links von Martin Astrid Köstler. Sein Arm streift fast ihr Schienbein. "Sie bekommen Kopfhörer, damit es nicht so laut ist. Wenn es Ihnen nicht gut geht, rütteln Sie an meinem Bein", sagt die Ärztin und setzt Martin den Lärmschutz auf.

Mit surrenden Rotoren schraubt sich Christoph 32 in die Luft. Während die Ärztin immer wieder Martins Werte prüft, kündigt Tom Weiss über Funk den Patienten im Deutschen Herzzentrum an. Gut 20 Minuten später übergibt die Notärztin den sichtlich erleichterten Mit-Sechziger auf dem Dachlandeplatz an die Münchner Spezialisten.

Bis Sonnenuntergang wird ihr Piepser still bleiben. Für Christoph 32 heißt es erst am nächsten Tag wieder: "Gegen die Zeit - und für das Leben".

*Namen aller Patienten geändert

EU-Regelungen: Luftrettung unter Druck

Blick ins Cockpit von ADAC-Rettungshubschrauber Christoph 32.

Blick ins Cockpit von ADAC-Rettungshubschrauber Christoph 32.

© jvb

Hubschrauber sind aus dem deutschen Rettungswesen nicht mehr wegzudenken - doch die Betreiber geraten zunehmend unter Druck. Die Finanzierung und jüngste EU-Regelungen bereiten den Organisationen Sorgen. Dabei geht es vor allem um die beiden großen Betreiber in Deutschland: die ADAC Luftrettung (36 Stationen) und die DRF Luftrettung (30 Stationen).

In Deutschland hat jeder einen Anspruch auf den Einsatz eines Rettungshubschraubers, wenn dies medizinisch erforderlich ist. Gesetzlich müssen die Krankenkassen die Versorgungsleistungen der Luftrettung bezahlen.

Im Jahresbericht der DRF Luftrettung von 2012 heißt es, die "Kosten der Luftrettung werden im bundesweiten Durchschnitt zu rund 80 Prozent von den Kostenträgern erstattet." So sieht es auch die ADAC Luftrettung: "Die Erstattungen der Krankenkassen für Rettungsflüge sind nach wie vor nicht kostendeckend."

In ihrem Jahresbericht 2012 weist sie daher einen Fehlbetrag im operativen Geschäft von 4,2 Millionen Euro aus. Diesen gleicht die Organisation aus Sach- und Finanzanlagen sowie Spenden des ADAC, etwa Mitgliedsbeiträgen, aus.

Auch die DRF Luftrettung ist auf Spenden angewiesen. Laut Bilanz beliefen sich die "Erträge aus gemeinnützigen Mitteln" für 2012 auf rund 21,7 Millionen Euro.

Das entspricht annähernd einem Fünftel der gesamten Erträge. Die Mittel fließen bei beiden Organisationen vor allem in die Fortbildung von Ärzten, Rettungsassistenten und Piloten sowie in die Anschaffung neuer medizinischer Geräte - diese Posten werden aus Betreibersicht noch zu wenig in den Verhandlungen mit den Krankenkassen berücksichtigt.

Vergütung regional sehr verschieden

Hinzu kommt, dass die Länder zuständig für das Rettungswesen sind. Daher unterscheidet sich die regional ausgehandelte Vergütung von Bundesland zu Bundesland sehr stark. Der DRF Luftrettung zufolge bezahlen ihr die Kassen bundesweit zwischen 45 und 75 Euro pro Flugminute. Durch neue Regelungen auf EU-Ebene steigt der Kostendruck weiter.

Diese sehen etwa vor, dass die Flotten modernisiert werden müssen oder es bald für Europa einheitliche Flugdienst- und Ruhezeitregelungen geben könnte. Allein für den gesetzlich vorgeschriebenen Hubschrauberaustausch werde die ADAC Luftrettung in den kommenden vier Jahren 135 Millionen Euro investieren müssen, machte Susanne Matzke-Ahl, Geschäftsführerin der ADAC Luftrettung, bei einer Tagung in Mainz deutlich.

"Die Vorgaben bedeuten vor allem mehr Bürokratie in den Bereichen Operation/Flugbetrieb und in der Technik. Dies resultiert in personellem Mehraufwand und zusätzlichen Kosten", teilt eine Sprecherin der DRF Luftrettung auf Nachfrage der "Ärzte Zeitung" mit.

Zusätzlich brauchen die Betreiber dringend Nachwuchs an Piloten. Ursache dafür ist unter anderem die sogenannte "Age-60-Rule", die seit April 2013 in Deutschland in Kraft getreten ist. Demnach dürfen Piloten, die älter als 60 Jahre sind, nicht mehr allein im Cockpit sitzen.

Bis 2020 müssten dadurch 40 von 140 Piloten der ADAC Luftrettung fünf Jahre früher in den Ruhestand gehen als geplant, erläuterte Frédéric Bruder, Geschäftsführer der ADAC Luftrettung, in Mainz. Es dürfte sehr schwierig werden, für sie Ersatz zu finden. Der ADAC bildet selbst keine Piloten aus, die meisten absolvieren ihre Ausbildung bei der Bundespolizei oder Bundeswehr. "Im schlimmsten Fall werden wir einzelne Standorte schließen müssen", sagte Bruder.

Betreiber streben Ausnahmeregelung an

Zusammen mit dem Bundesverkehrsministerium setzen sich DRF Luftrettung und ADAC Luftrettung für eine Ausnahmeregelung von der "Age-60-Rule" ein. Dem Ministerium zufolge weichen nur wenige Staaten weltweit von der Altersbegrenzung ab.

In Deutschland gelte seit 2003, dass Piloten bis zu 65 Jahre allein innerhalb Deutschlands fliegen dürfen. "Diese Änderung der Altersbegrenzung hat zu keinerlei messbarem Anstieg der Unfallzahlen geführt", schreibt das Ministerium.

Untermauern wollen dies die drei Antragsteller gegenüber der EASA mit einer Studie. Diese kam zu dem Ergebnis, dass Piloten über 60 Jahre jüngeren Kollegen in Reaktionsvermögen, fliegerischer Kompetenz und kognitiven Fähigkeiten in nichts nachstehen. Die Autoren der Ludwig Maximilians Universität München weisen jedoch auch auf eine schlechte Datenlage hin.

Bisher hat die EASA über den Antrag für eine Ausnahmeregelung nicht entschieden. Eine temporär bewilligte Aussetzung der "Age-60-Rule" galt nur bis Anfang April dieses Jahres. (jvb)

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