Klinikclowns

Humor mit ernsten Absichten

Humor tut gut, aber es gibt ihn nicht auf Rezept. Klinikclowns wollen das ändern und ziehen dafür mit einer Parade durch Berlins Regierungsviertel. Eine Reportage aus dem bunten Treiben.

Von Susanne Werner Veröffentlicht:
Schräger Protest: Klinik-Clowns ziehen mit Gesang und Klamauk vom Berliner Hauptbahnhof zum Kanzleramt.

Schräger Protest: Klinik-Clowns ziehen mit Gesang und Klamauk vom Berliner Hauptbahnhof zum Kanzleramt.

© Christoph Schmidt / dpa

BERLIN. Vermutlich geht der Zauber von dieser roten Nase aus. "Du hast da was", sagt Siba, Klinikclown aus Hamburg, und geht auf eine Mittfünfzigerin zu, die das Treiben der Klinikclowns vor dem Berliner Hauptbahnhof beobachtet.

Siba greift in den Haarschopf der Frau und zieht einen roten Schaumstoffball hervor. Flugs landet er auf der Nase der Zuschauerin und der Kontakt ist da. Sie lacht und fragt: "Um was geht es hier eigentlich?" Siba klärt auf.

Rund 70 bunt gekleidete Klinikclowns haben sich an diesem Mittwoch vor dem Berliner Hauptbahnhof versammelt (wie kurz berichtet).

Manche von ihnen haben riesige unförmige Schuhe an, einzelne haben Schirmchen dabei, schräge Hüte, schrille Täschchen oder auch Gitarren, Akkordeone, Klarinetten und Schlagzeuge.

Viele halten Plakate mit Aufschriften wie "Mehr Clowns in Medizin und Pflege" oder "Clowns in jeder Klinik" hoch. Und alle von ihnen tragen rote Clowns-Nasen.

Mehr Anerkennung für Clownerie

Klinikclowns aus ganz Deutschland sind am vergangenen Mittwoch nach Berlin gekommen, um auf sich und ihre Arbeit aufmerksam zu machen. Bald schon werden viele der Passanten zwischen Hauptbahnhof und Brandenburger Tor mit roten Schaumstoffnasen geschmückt sein. Für den ersten Kontakt reicht die kleine Zauberei mit der Clowns-Nase völlig aus.

Das große Ziel des bunten Protestmarsches aber ist: Möglichst viele Menschen in Berlin und anderswo sollen wissen, was Klinikclowns in Krankenhäusern, Seniorenheimen, Behinderteneinrichtungen und Hospizen leisten.

Schließlich helfen Klinikclowns bereits an vielen Orten in Deutschland, dass Patienten für eine Weile Krankheit und Schmerzen vergessen und mit dem Humor wieder Lebenskraft sammeln.

Hier in Berlin aber geht es darum, die Politik aufmerksam zu machen. Denn sie soll die Arbeit der Klinikclowns künftig fördern. Das erste Ziel heißt also: Bundeskanzleramt.

"Halt", ruft Peter Spiel. Der Klinikclown aus München hat sich das Megaphon geschnappt. Er möchte die schräge Truppe vor dem Berliner Hauptbahnhof nochmals versammeln, bevor der Protestzug losgeht.

"Wo sind die Hamburger Klinikclowns? Wo die Rostocker RotzNasen? Die Tübinger Clowns im Dienst?" Siba steht nun wieder inmitten des Getümmels mit Pimpinella, Chilly, Flitze, Kiki, Fifi, Lolle und all den anderen.

Eine Clowns-Band hat sich formiert und stimmt so etwas wie die Klinikclowns-Hymne an: "Ob bei Regen oder Sonne, wir verzaubern diesen Augenblick", heißt es darin. "Die Melodie stammt aus dem gängigen Clowns-Repertoire, aber der Text von mir", erzählt Nicola Streifer. Als Hella Propella ist sie bei den Potsdamer Klinikclowns aktiv und heute mit ihrer Klarinette dabei.

Lukas, den 6-Jährigen aus dem Berliner Norden, haben die Klinikclowns längst verzaubert. Der Junge steht staunend da, eine rote Schaumstoffnase im Gesicht. Seine Mutter fotografiert ihn gemeinsam mit den soeben gewonnenen Freunden. "Er ist von Clowns begeistert, deswegen sind wir hier hergekommen", sagt sie.

Ehefrau mit roter Nase

Die Truppe zieht los und nicht nur Siba stülpt jetzt immer wieder rote Schaumstoffbälle über Zuschauer-Nasen. Wie zum Beispiel auf jene von Bärbel Ohmsen aus Dithmarschen, die mit ihrem Mann gerade Berlin besucht.

"Ich kenne Klinikclowns aus dem Westküstenklinikum. Da habe ich mal jemanden besucht, hörte ein Kinderlachen und blieb stehen. Die Kinder waren danach wie ausgewechselt", erzählt sie.

Die Jung-Seniorin wendet sich wieder ihrem Mann zu. Der macht mit dem Handy einen Schnappschuss - Ehefrau mit roter Nase vor dem Berliner Hauptbahnhof.

Odile Almuneau, eine 38 Jahre alte Französisch-Lehrerin aus Berlin, trägt den roten Punkt im Gesicht bereits mit einer gewissen Gelassenheit. Sie ist offensichtlich überzeugt: "Lachen unterstützt die Gesundheit."

Siba ist nun wieder an der Spitze des Zuges: Die Hamburgerin arbeitet als Klinikclown im Kinderkrankenhaus, in der Unfallklinik, im Seniorenheim mit Demenzkranken und auch im Kinderhospiz. "Das Leben ist für viele Menschen voller Sorgen", sagt sie, "wir Klinikclowns wollen für sie die Momente verzaubern und damit die Menschen entspannen und ein wenig ablenken."

Damit liegt sie ganz nahe an dem, was Elisabeth Makepeace als das Besondere der Klinikclownerie beschreibt: "Wir wecken die Emotionen und aktivieren die gesunden Anteile der Patienten", sagt sie.

Makepeace ist die Vorstandsvorsitzende des Dachverbandes Clowns in Medizin und Pflege, der diesen Protesttag organisiert hat. Die Schauspielerin mit dem ungewöhnlichen Namen - "kein künstlerisches Attribut, nur angeheiratet" - hat jahrelang nicht nur als Nora oder Iphigenie auf großen Bühnen gestanden, sondern ist auch als Pimpinella in Patientenzimmer gegangen.

Heute ist sie die Einzige, die ohne rote Nase auskommt. Schließlich hat sie eine wichtige Mission. "Wir möchten für unsere Arbeit mehr Anerkennung und öffentliche Unterstützung", sagt sie.

Wer Klinikclown werden will, braucht nicht nur Talent und eine hohe Wahrnehmungsgabe, sondern auch eine handfeste Qualifizierung. Grundlegend ist eine künstlerische Ausbildung, dazu kommen Trainings und Coaching, um sich auf den Einsatzort am Krankenbett vorzubereiten.

Großer Auftritt am Seiteneingang

Am Seiteneingang des Kanzleramtes übergibt Elisabeth Makepeace dann einen Stapel Info-Material, 4000 Unterschriften und einen Petitions-Entwurf an André Klein-Wiele, Referent für Gesundheitspolitik im Bundeskanzleramt. Denn das zentrale Problem der Klinikclowns ist: "Wir sind im großen Maße auf Spenden von Privatleuten, Firmen, Fördervereinen oder Stiftungen angewiesen".

Ihr größter Wunsch: "Ein Clown für jede Klinik, jedes Seniorenheim, jedes Hospiz." Wie beispielsweise in den Niederlanden. Dort wird der Einsatz von Klinikclowns staatlich gefördert. Das kann Ineke Ottburg, Touristin aus dem holländischen Hengelo, nur bestätigen: "Ja, wir kennen das. Die gibt es bei uns überall."

Die 63-jährige Jung-Seniorin, die sich ohne rote Nase unters Clownsvolk gemischt hat, beschäftigt vor dem Zaun am Kanzleramt nur eine Frage: "Glauben Sie, dass Angela Merkel wirklich rauskommt?" Nein, so viel Aufmerksamkeit gibt es für die Spaßtruppe, die es mit ihren Anliegen sehr ernst meint, heute nicht.

Schnell formiert sie sich zu einer Polonaise, bietet dem Wachpersonal rote Clowns-Nasen an und zieht weiter.

Mit dem bislang Erreichten zeigen sich die Clowns aus Süd, Nord, West und Ost indes recht einverstanden. Kaum einer von ihnen ist schon mal die breite Scheidemannstraße hin zum Brandenburger Tor entlang flaniert, eskortiert von gut einem Dutzend Polizisten.

Und so genießt die Truppe ihre Parade und verteilt munter jene Einzelteile ihrer Berufskleidung, rote Schaumstoffnasen eben.

Die Zuschauer sind freundlich, interessiert und begeistert. Melisa Acikgöz, 24 Jahre, und Tanja Breetzke, 22 Jahre, aus Sigmaringen kommen sozusagen vom Fach. Sie machen gerade eine Ausbildung zur Operationstechnischen Assistentin am Krankenhaus.

Mit ihrer Klasse besuchen sie derzeit Berlin, haben gerade den Bundestag besichtigt und spazieren in Richtung Spree.

Ob Klinikclowns auch in ihrem Hause willkommen sind? Die beiden zucken mit den Schultern. Dann meinen sie: "Wir sind halt ein kleines Haus, das sich so etwas vermutlich nicht leisten kann. Aber etwas zum Lachen zu haben, ist sicherlich gut."

Im Blaumann ins Seniorenheim

Vielleicht sollten die beiden jungen Frauen mal bei Franziska Steidler nachfragen. Sie kommt aus Schwäbisch-Gmünd und gehört zu den Klinik-Clowns in Baden-Württemberg. Als Chilly geht sie ins Kinderkrankenhaus und als Sanella Margarina von Butter ins Seniorenheim.

"Für die Senioren", sagt sie, "ziehe ich einen Blaumann oder ein Dirndl an. Da geht es darum, deren Erinnerungen zu wecken. Bei den Kindern können es bunte, schräge Kleider sein. Zauberei und Fantasie für den einen Moment ist dann das zentrale Thema des Spiels."

Vor dem Brandenburger Tor schließlich folgt auch bei diesem Protestzug die Kundgebung. Elisabeth Makepeace, noch immer ohne Clowns-Nase, verkündet die wichtigsten Forderungen übers Mikrofon.

Mit einem Petitions-Entwurf soll die Politik aufgefordert werden, mehr Ideen für eine staatliche Unterstützung der Klinikclownerie zu entwickeln und bessere Rahmenbedingungen schaffen.

Während der Kundgebung ziehen Siba, Kiki, Lolle, Elsa, Pampelmusina, Matti, Hörnch'n und Röslein eine Girlande hoch, an der Dutzende von Kinderzeichnungen hängen. Die kleinen Patienten haben bunte Clownsgesichter für die Protestdemo gemalt. Die einzige Vorgabe auf dem Blatt: eine knallrote, runde Clownsnase.

"Der Patient spielt mit"

Peter Spiel geht ein Mal pro Woche als Klinikclown "Piccolo" in eine Kinderkrebsklinik. Alle 14 Tage ist er auf einer onkologischen Station für Erwachsene und regelmäßig in Seniorenheimen.

Peter Spiel ist Schauspieler und Regisseur. Er arbeitet seit 16 Jahren als Klinikclown und unterrichtet an der Clownsschule "Kunst des Stolpern".

Peter Spiel ist Schauspieler und Regisseur. Er arbeitet seit 16 Jahren als Klinikclown und unterrichtet an der Clownsschule "Kunst des Stolpern".

© Stefan Gloede

Ärzte Zeitung: Professionelle Schauspieler suchen die große Bühne. Was reizt Sie am Auftritt im Krankenhaus?

Peter Spiel: Es ist der Kontakt zwischen mir und dem Patienten. Dieser ist sehr viel unmittelbarer und intensiver als auf einer großen Bühne.

Aber es geht wie auf der großen Bühne vor allem um Unterhaltung und Ablenkung?

Spiel: Es geht um mehr als das. Wir wollen den Patienten Momente des Lachens schenken. Wir führen kein Kasperl-Theater auf und haben auch kein vorgefertigtes Theaterstück, das wir abspulen. Der Patient ist daher auch nicht nur Zuschauer, sondern er steuert in der Regel das Geschehen entscheidend mit.

Wie läuft so ein Klinikbesuch konkret ab?

Spiel: Bei unseren Clowns-Visiten - so nennen wir das - sind wir in der Regel zu zweit. Ich beispielsweise komme mit meiner Clown-Partnerin als "big friends", als supergute Freunde, die durch Dick und Dünn gehen und gute Freunde im Krankenhaus besuchen. Wir spielen aber nicht auf dem Gang oder in der Cafeteria, sondern wir gehen zu den Patienten in die Krankenzimmer. Das verändert auch das Geschehen, denn wir beziehen alles mit ein, was vor Ort geschieht - wenn Ärzte vorbeikommen oder die Krankenpfleger, auch die Eltern oder Freunde. Die clownesken Situationen ergeben sich so Schritt für Schritt.

Wie lange dauert so ein Besuch am Krankenbett?

Spiel: In den Zimmern vielleicht so fünf bis zehn Minuten. Wir sind insgesamt einen halben Tag vor Ort. Bevor wir beginnen, machen wir eine Übergabe auf der Station, bei der wir all das erfahren, was für unsere Arbeit wichtig ist: Gibt es besondere Hygienevorschriften? Sind einzelne Patienten sehr instabil oder traurig? Wir erhalten zwar keinen medizinischen Befund, unterliegen aber der Schweigepflicht. Danach gehen wir von Zimmer zu Zimmer.

Wird der Besuch des Clowns auch mal abgelehnt?

Spiel: Ja, das kommt vor, aber sehr selten. Vielleicht ein Mal bei 20 Besuchen. Die Patienten - egal ob jung oder alt - dürfen zu uns "Nein" sagen. Wir bieten uns an, aber wir wollen nichts vom Patienten. Und dass sie frei wählen dürfen, entspannt und erleichtert sie und gibt ihnen ihre Würde zurück. Schließlich müssen sich sonst in einen Klinikalltag einfügen, der sehr durchorganisiert und getaktet ist.

An welche berührenden Momente erinnern Sie sich?

Spiel: Da gibt es viele. Etwa ein Sechsjähriger, der in der Begegnung mit uns seine Schmerzen vergisst und sofort mitspielt. Oder der Vater, der uns bittet nochmals zu kommen, weil er weiß, dass sein Kind jede Woche auf die Klinikclowns wartet. Oder die an Demenz erkrankte Seniorin, die tagelang nicht mehr gesprochen hat. Sie stimmt in das Lied ein, das wir singen, und kennt mehr Strophen auswendig als wir. Es sind viele gute Momente, die wir gemeinsam mit den Patienten erleben.

Das Interview führte Susanne Werner

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