Medizin vor 100 Jahren

Ärztinnen - geduldete Außenseiterinnen

Rund 100 Jahre ist es her, als die Medizin langsam begann, auch weiblich zu werden. Eine Ausstellung im Medizinhistorischen Museum Hamburg richtet den Fokus auf die ersten Ärztinnen am Uniklinikum Eppendorf.

Dirk SchnackVon Dirk Schnack Veröffentlicht:
Vorsichtiger Blick aus der Distanz, die Herren Ärzte diskutieren das weitereVorgehen bei einem Patienten, UKE, 1926.

Vorsichtiger Blick aus der Distanz, die Herren Ärzte diskutieren das weitereVorgehen bei einem Patienten, UKE, 1926.

© Medizinhistorisches Museum Hamburg

HAMBURG. Es sind 20 gestandene Mannsbilder, die sich im Hamburger Ärztecasino vor der Kamera postiert haben. Zigarren und Bierkrüge zeigen, dass der Feierabend schon eingeläutet ist. Binder, steifer Kragen und Weste machen deutlich, dass sie Wert auf Etikette legen. Ihr Gesichtsausdruck zeugt von Zufriedenheit, vielleicht auch Stolz, dazuzugehören.

Es ist ein stimmiges Bild, das die Mediziner auf dem um 1910 herum geschossenen Foto abgeben. Wäre da nicht diese Frau ganz links außen.

Fast verschwindet sie im Dunkel des schlecht ausgeleuchteten Hintergrunds und halb hinter dem Bierseidel stemmenden Arm ihres Nachbarn verdeckt. Schelmisch lächelnd steht sie da, einen ganzen Kopf kleiner als ihr Nachbar und irgendwie fehl am Platz wirkend.

Ob die männlichen Kollegen Dr. Lilli Meyer-Wedell ihr dieses Gefühl tatsächlich vermittelt haben, ob sie vielleicht nur geduldet oder doch anerkannt war, ist nicht überliefert. Es ist auch nur eine Vermutung, dass es sich um Meyer-Wedell handelt, die zu der Zeit im chemischen Laboratorium arbeitete.

Viel Auswahl gab es allerdings nicht - denn es gab kaum Ärztinnen zu der Zeit am UKE. Mit ihrer Geschichte beschäftigt sich eine im Medizinhistorischen Museum Hamburg unter dem Titel "Spurensuche - erste Ärztinnen in Hamburg und am UKE" eröffnete Ausstellung.

Es sind Fotos wie das aus dem Ärztecasino, die auf den ersten Blick zeigen, wie stark die Außenseiterrollen waren, die Ärztinnen wie Meyer-Wedell bereit waren, für ihren Beruf anzunehmen.

Sie hatte zuvor 1905 als zweite Frau überhaupt in München promoviert. Später war sie über 20 Jahre lang als Ärztin in Hamburg niedergelassen und in der Hamburger Säuglings- und Kleinkinderfürsorge tätig. Wie besonders das war, zeigen die in der Schau genannten Zahlen: 1910 waren in Hamburg nur vier Ärztinnen niedergelassen, im Deutschen Reich praktizierten gerade einmal 168 Ärztinnen.

Die von Professor Eva Brinkschulte geleitete Ausstellung zeigt, "wie schwierig es war, uns an Frauen in der Medizin zu gewöhnen", wie Dekan Professor Uwe Koch-Gromus es zur Eröffnung ausdrückte.

Die Frage, ob ein solches Thema in Zeiten eines überdurchschnittlich hohen Frauenanteils bei Studienanfängern, Absolventen und Promovierenden überhaupt Relevanz habe, wurde zur Eröffnung durchweg bejaht. Denn von Gleichstellung kann keine Rede sein, solange wie in Hamburg die Professorenstellen nach wie vor zu 85 Prozent von Männern besetzt werden.

Eine bemerkenswerte Persönlichkeit

Die Fortschritte allerdings sind immens. Mentoring-Programme, spezielle Stipendien, Ausgleichsstellen für jede eingestellte Ärztin und gezielte Seminarreihen helfen, den Frauenanteil in der Medizin zu stärken.

Hilfreich wären weitere Maßnahmen zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf, hieß es zur Eröffnung durch die Gleichstellungsbeauftragte Professor Hertha Richter-Appelt - Maßnahmen, von denen beide Geschlechter profitieren würden.

Ein anderes Foto aus der Ausstellung, wieder im Ärztecasino aufgenommen: Die steifen Kragen sind verschwunden, auch Bierkrüge und Zigarren sind nicht mehr zu sehen. Die Gruppe, die sich vor der Kamera versammelt hat, zeigt die Vereinigung außerplanmäßiger Professoren und Privatdozenten in Hamburg.

50 Jahre nach dem ersten Foto ist es aufgenommen worden und wieder hat es nur eine Frau in die Gruppe geschafft. Es ist Hedwig Wallis, die später Direktorin der Psychosomatischen Abteilung der Kinderklinik werden sollte. 50 Jahre hat es gebraucht, dass die Frau immerhin nicht mehr am Rand dieses exklusiven Zirkels, sondern - zumindest auf dem Foto - in die Mitte gerückt ist. Aber: Sie war noch immer die einzige Ärztin.

Wallis war eine bemerkenswerte Persönlichkeit, deren Meilensteine im Lebensweg in der Ausstellung nachzulesen sind. Eine andere solche Persönlichkeit war Hermine Heusler-Edenhuizen, die noch unter ganz anderen Umständen 1902 inkognito als "Schwester Hermine" arbeiten musste.

Die Medizinstudentin verpflichtete sich damals als Aushilfsschwester, um praktische Erfahrungen sammeln zu können. Sie erfuhr, wie körperlich anstrengend, geprägt von Putzarbeiten und von Herablassungen durch Ärzte diese Tätigkeit damals war.

Gegen Äußerungen von Professoren, ein Medizinstudium von Frauen sei "grober Unfug", weil sie "körperlich und geistig viel zu zart und schwach" seien, konnte sie nicht aufbegehren, um ihre Tarnung nicht zu gefährden.

Es hat fast ein Jahrhundert gedauert, bis Frauen in der Medizin die meisten der mit solchen Vorurteilen verbundenen Hindernisse und Folgen aus dem Weg räumen konnten. Damit auch die verbliebenen noch verschwinden, ist ein Rückblick, wie ihn die Ausstellung bietet, wertvoll.

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