Krieg im Nahen Osten

Gazas Gesundheitswesen vor dem Kollaps

Das israelische Bombardement in Gaza trifft immer wieder auch Kinder. In den Krankenhäusern greift zunehmend Mangel um sich. Manche befürchten den Zusammenbruch des Gesundheitswesens.

Von Saud Abu Ramadan und Shabtai Gold Veröffentlicht:
Opfer eines Kriegs: Verletztes Kind am Samstag im Schifa-Krankenhaus in Gaza.

Opfer eines Kriegs: Verletztes Kind am Samstag im Schifa-Krankenhaus in Gaza.

© Belal Khaled / Anadolu Agency / dpa

GAZA. Die Cousins Kinan und Nur Hammad, beide fünf Jahre alt und schwer verletzt, liegen im vierten Stock des Schifa-Krankenhauses in Gaza. Kinan verlor bei einem israelischen Luftangriff den Vater, die Mutter und die Schwester; der kleine Nur den Vater, den Bruder und die Großmutter.

An ihren Betten sitzt Kinans Großmutter Amal Hammad. "Am Mittwochabend war die ganze Familie im kleinen Garten ihres Hauses beisammen", berichtet die 54-Jährige. Plötzlich sei eine Rakete in dem Haus im Ort Beit Hanun im Norden des Gazastreifens eingeschlagen. Sechs Menschen, drei Männer und drei Frauen, seien getötet worden.

Die Familie traf sich im muslimischen Fastenmonat Ramadan zum Iftar, zum Mahl des Fastenbrechens bei Sonnenuntergang. Die kleine Feier galt aber auch Nurs Großmutter.

Sie war eben von der Hadsch zurückgekehrt, von der traditionellen Pilgerreise der Muslime in die heilige Stadt Mekka. Auch sie fand bei dem Bombardement den Tod.

"Und was können diese beiden Kinder dafür?", zeigt Amal Hammad auf die Jungen in den Krankenbetten. "Sie haben nichts getan, sie haben nicht mit Raketen auf Israel geschossen, sie haben nur die Ramadan-Nacht genossen."

Viele Frauen und Kinder eingeliefert

Den siebenjährigen Chalid halten die Maschinen auf der Intensivstation des Schifa-Krankenhauses am Leben. Der Splitter einer israelischen Rakete, die auf einem freien Feld im Saitun-Viertel von Gaza explodiert war, hatte ihn am Kopf getroffen. Der Junge hatte am Donnerstagmorgen vor dem Wohnhaus der Familie arglos gespielt.

"Ich frage (den israelischen Regierungschef Benjamin) Netanjahu: Warum bestehst du darauf, Frauen und Kinder zu töten?", hadert Chalids Vater Madschid Abu Marahil (43) am Krankenlager seines Sohnes. Sie wirkt verzweifelt.

Abu Marahil will unter den frisch eingelieferten Verletzten im Schifa-Spital nur Frauen und Kinder gesehen haben. Israelische Militärstellen bestreiten, dass sie im Gazastreifen zivile Opfer verursachen wollten.

Auch am Samstag verwiesen sie auf Zahlen, die belegen sollten, dass die Angriffe in erster Linie Militante und ihre Raketenstellungen ausschalten. Allerdings brächten die militanten Gruppen ihre Waffen und Kommandozentralen absichtlich in Wohnhäusern und Moscheen unter.

Kaum Material zur Versorgung

40 Prozent der Opfer der israelischen Angriffe seien Frauen und Kinder, sagen die Ärzte im Schifa-Krankenhaus. Das Personal dort kämpft mit zunehmenden Engpässen bei Medikamenten und Materialien, die sie zur Versorgung der Kranken und Verletzten benötigen - und vermehrt auch mit Schlafmangel.

"In den letzten vier Tagen haben die Ärzte und Operationsschwestern rund um die Uhr gearbeitet", sagt Aschraf al-Kidra, der Sprecher des örtlichen Gesundheitsministeriums.

"Wir arbeiten unter furchtbaren Umständen", klagt einer der Ärzte. "Heute hatte ich nicht mehr das nötige Material, um die Wunden verletzter Patienten zusammenzunähen und musste stark improvisieren."

Mahmoud Daher, der Vertreter der Weltgesundheitsorganisation WHO in den besetzten Gebieten, ist davon überzeugt, dass im Gazastreifen der Kollaps des Gesundheitswesens drohe. "Wenn es beim gegenwärtigen Bestand von medizinischen Vorräten zu einer Verschärfung der Lage mit sehr vielen Verletzten kommt, dann wird das Gesundheitswesen hier damit nicht fertig werden", so der WHO-Vertreter.

Schon jetzt fehlt es an allen Ecken und Enden. Die Ärzte im Krankenhaus nehmen nur noch lebensrettende Eingriffe vor. Mahmoud Daher kennt einen Gallenkranken, dessen Operation in den letzten zehn Monaten immer wieder verschoben wurde.

"Patienten wie er leiden an jedem Tag. Sie müssen mit starken Schmerzen leben", so der WHO-Vertreter. (dpa)

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