Sigmund Freud

Keine Ruhe auf der Couch

75 Jahre nach seinem Tod halten viele Psychologen zentrale Ideen von Sigmund Freud für überholt. Doch es gibt gute Gründe, warum er dennoch als einer der Großen der Wissenschaftsgeschichte gelten kann.

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Sigmund Freud bei der Arbeit am Schreibtisch, ein Foto aus dem Jahr 1938.

Sigmund Freud bei der Arbeit am Schreibtisch, ein Foto aus dem Jahr 1938.

© akg-images/dpa

WIEN. Neben Albert Einstein und Charles Darwin ist wohl kaum ein anderer Wissenschaftler derart in der Massenkultur des 21. Jahrhunderts verankert wie der vor 75 Jahren gestorbene Sigmund Freud.

Von ihm geprägte oder bekannt gemachte Begriffe wie "narzisstisch" und "Verdrängung" sind Allgemeingut. Doch zugleich ist die wissenschaftliche Leistung des Begründers der Psychoanalyse, der bis zu seinem Tod am 23. September 1939 praktizierte, umstritten.

"Ganze Generationen auch jetziger Hochschullehrer sind damit aufgewachsen, dass die Freudsche Lehre nur Humbug sei", sagt Gerhard Stemmler, Psychologieprofessor aus Marburg.

Einer der Gründe dafür ist: Die empirische Basis, auf der Freud seine Lehre zur Erklärung der menschlichen Psyche aufbaute, war nach heutigen Maßstäben lächerlich schmal.

Sie umfasste eine sehr überschaubare Anzahl von Patienten, die zufällig den Weg zu ihm in die Wiener Berggasse gefunden hatten.

Freuds vielleicht wichtigste Erkenntnis überhaupt - dass die meisten psychischen Probleme in der Sexualität wurzeln - wurde schon von seinem Kronprinzen Carl Gustav Jung angezweifelt.

Ödipuskomplex nicht allgemein gültig

Der Ödipuskomplex? Geht auf ein Kindheitserlebnis Freuds zurück, kann nach heute vorherrschender Meinung aber keine allgemeine Gültigkeit beanspruchen. Die Liste ließe sich fortsetzen.

Selbst bei der berühmten "Freudschen Fehlleistung" soll der Meister sich geirrt haben. Freud war der Meinung, dass Versprecher wie "Schwein" statt "Schein" verborgene Motive und Haltungen offenbaren.

Heute dagegen nimmt man an, dass die meisten Versprecher einfach nur Versprecher sind. So greift das Gehirn bei ähnlich klingenden Fremdwörtern oft auf das bekanntere zurück - und dann kommt statt "ökumenisch" eben "ökonomisch" heraus. Allerdings gibt es auch abweichende Meinungen.

Die Direktorin des Freud-Museums in Wien, Monika Pessler, sagt: "Die Freudsche Fehlleistung ist auch heute noch aktuell, nicht nur sprachlich: Freud schrieb, er habe sich im Urlaub verirrt, weil er länger dort bleiben wollte.

 Fast jeder von uns hat auch einmal einen Schlüssel verlegt und eine Stunde danach gesucht, weil er nicht zur Arbeit gehen wollte."

Macht des Unbewussten

Ein Freudsches Konzept, das heute wieder stärker anerkannt wird als noch vor einigen Jahrzehnten, ist die Macht des Unbewussten. "Wir kennen viele Beispiele, wo unbewusste Vorgänge unsere Einstellungen und unser Verhalten beeinflussen, ohne dass wir unser Verhalten zutreffend begründen können", so Stemmler.

Ein Erbe Freuds ist auch die Psychoanalyse als anerkannte Therapie für psychische Störungen. Allerdings sind die weitaus meisten Therapeuten heute keine Freudianer, sondern Verhaltenstherapeuten.

Der wichtigste Unterschied: Sie wollen die Probleme des Patienten möglichst schnell beheben - und dafür nicht erst lange Ursachenforschung betreiben, indem sie in seiner Vergangenheit herumstochern.

Unbestritten ist hingegen, dass es oft schon gut tut, über Probleme überhaupt erst einmal offen zu sprechen. Auch diese Erkenntnis geht zum Teil auf Freud zurück, der seine Patienten zum Erzählen auf die Couch bat. (dpa)

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