Kinderhospiz

"Eltern sagen: Das ist ein besonderer Urlaub"

Welche Bedürfnisse, welche Probleme bringen die Eltern todkranker Kinder mit? Die "Ärzte Zeitung" hat mit der Mitgründerin des Kinderhospizes Löwenherz gesprochen.

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Gaby Letzing.

Gaby Letzing.

© Beneker

Das Interview führte Christian Beneker

Ärzte Zeitung: Frau Letzing, haben es die Eltern todkranker Kinder bei Ihnen im Kinderhospiz besser als in einer Pädiatrie oder in der Betreuung eines niedergelassenen Kinderarztes?

Gaby Letzing: So würde ich das nie bewerten. Wir haben vor allem ein anderes Angebot. Wir heilen nicht, sondern wir begleiten an der Seite der Familien und unterstützen sie. Wichtig ist unsere Haltung: Die Eltern sind die Fachleute für ihre Kinder, nicht wir.

Das heißt, wir lassen uns sagen, wie die Kinder umsorgt werden und gepflegt werden möchten. Erst in wenn die Eltern Vertrauen gefasst haben, optimieren wir die Situation. Aber nicht mit der Haltung, dass die Eltern es etwa nicht richtig gemacht hätten.

Welche Bedürfnisse haben die Eltern?

Letzing: Viele Eltern haben mit ihren Kindern eine lange Krankengeschichte hinter sich. Und jeder Experte, der neu dazu kam, glaubte, eine bessere, tollere Idee für die Versorgung des Kindes zu haben. Das strengt die Eltern unheimlich an.

Sie bieten ja auch eine neue Lösungsstrategie an.

Letzing: Nein, das ist nicht unser Ziel. Die Kinder brauchen in erster Linie Zeit,  Zuwendung und eine liebevolle und kompetente Pflege.

Sie sollen bei uns eine gute Zeit verbringen, mit Spielen, Freude, schönen Erfahrungen. Sie brauchen ausgeruhte Eltern, die wieder Kraft haben, sie zu Hause weiter zu pflegen.

Wir entlasten, übernehmen hier die Pflege so wie die Eltern es wollen und bieten uns als Gesprächspartner an.

Die Eltern sind ja extrem erschöpft. Dann dauert es drei Tage, bis die Anspannung weicht. Erst dann können sie in Ruhe beim Frühstück sitzen, ohne ständig innerlich aufzuspringen.

Was die Eltern brauchen, ist Ruhe und Zeit, einfach, um auch mal ohne Kind wegzufahren und sich Bremen anzusehen.

Das klingt ja sehr harmonisch. Gibt es nie Streit?

Letzing: Doch - manchmal kollidieren auch die Vorstellungen. Wenn zum Beispiel die Eltern wollen, dass das Kind auf jeden Fall gefüttert wird, wir aber sehen, dass es sich dadurch ständig verschluckt und Atemnot bekommt, dann suchen wir das Gespräch.

Vor allem Müttern fällt es so unendlich schwer, wenn das Kind eine Sonde braucht und nicht mehr gefüttert werden kann. Wir sagen auch manchmal, dass wir das Kind nicht mehr füttern, weil wegen der Atemnot eine Lungenentzündung droht.

Dann braucht man zu den Eltern eine vertrauensvolle Ebene, dass sie nicht das Gefühl bekommen: "Hier will man mich bevormunden".

Gibt es auch Eltern, die das Kinderhospiz besuchen und wieder gehen, weil es dann doch nichts für sie ist?

Letzing: Sehr selten. Manche Eltern fürchten, dass hier nur über Tod und Sterben gesprochen wird und kommen deshalb nicht. Sie ahnen nicht, wie heiter es hier zugehen kann! Manchmal sucht auch die Mutter im Hospiz Unterstützung und der Vater will nicht.

Andere Eltern verlassen das Hospiz auch deshalb, weil es ihnen zu schwer wird, immer das schwere Leiden vor Augen zu haben. Eltern erleben hier auch Kinder, die an der gleichen Krankheit leiden, wie das eigene - nur im fortgeschrittenen Stadium.

Das halten manche Eltern nicht aus. Wieder andere waren schon oft hier und kommen nicht mehr, weil sie nicht zum 150. Mal die Leidensgeschichte ihres Kindes erzählen wollen.

Auch die Gesundheit der Eltern dürfte angegriffen sein, wenn sie ein schwer behindertes Kind versorgen müssen.

Letzing: Die ständige Stresssituation macht die Eltern in aller Regel sehr verspannt. Schlaflosigkeit kommt hinzu. Oft leiden die Eltern auch unter Rückenschmerzen oder Depressionen.

Viele Väter fallen durch die Doppelbelastung von Beruf und Kind in einen Burn-out. Andere Paare trennen sich. Allerdings will ich nicht darüber spekulieren, welche Rolle dabei die Erkrankung Ihrer Kinder spielt.

Wirkt das Kinderhospiz also auch auf die Eltern heilend?

Letzing: Viele Eltern sagen, der Hospizaufenthalt sei ein ganz besonderer Urlaub. Für die Eltern ist es toll, endlich schlafen zu können, wenn sie müde sind. So einfach ist das manchmal.

Ein Geschwisterkind hatte im Kindergarten vom Löwenherz erzählt: Da fragten seine Freunde: Was muss ich tun, um auch dort Urlaub zu machen? Auch wenn einem da das Lachen im Halse stecken bleibt, sagt die Geschichte einiges über unser Haus.

Welche Bedürfnisse der Eltern können sie nicht befriedigen?

Letzing: Zunächst: Manchmal haben wir selber das Bedürfnis, den Eltern ihre Verzweiflung abzunehmen. Wir lernen immer wieder, dass das unmöglich ist.

Aber zurück zu den Eltern: Manche Mütter haben den Wunsch, dass wir genauso gut die Kinder versorgen, wie sie es selber tun. Aber wir können die Mütter nicht ersetzen.

Lesen Sie dazu auch: Kinderhospiz: "Hier wird vor allem gelebt"

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