100 Jahre Pathologie Mainz

Wenn Medizin zum Krimi wird

Die Pathologie der Universität Mainz wird in diesem Jahr 100 Jahre alt. Zur Feier gab‘s eine ganz und gar ungewöhnliche Veranstaltung. Das Thema: "Wenn Medizin zum Krimi wird."

Christoph FuhrVon Christoph Fuhr Veröffentlicht:
Lehrstunde: Bei Menschen, bei denen kein natürlicher Tod nachgewiesen werden kann, muss immer eine Obduktion veranlasst werden.

Lehrstunde: Bei Menschen, bei denen kein natürlicher Tod nachgewiesen werden kann, muss immer eine Obduktion veranlasst werden.

© Rene Kampfer / Panthermedia

MAINZ. Er hat reichlich Alkohol beim Weinfest im Nachbardorf konsumiert. Jetzt wankt der frustrierte Mann in stockdunkler Nacht über rheinhessische Feldwege nach Hause. Er hadert mit seinem Leben, fühlt sich als Versager, dem nichts, was er anpackt, gelingen will.

Als der Mann endlich die Landstraße erreicht, nimmt das Schicksal seinen Lauf. Von hinten schießt ein Auto heran. Seine Wirbelsäule zersplittert beim Aufprall. Er fliegt in die Brennnesseln am Wegesrand, ist sofort tot.

Vier Tage wird er - in einer Blutlache liegend - unentdeckt bleiben, und das bei Bullenhitze im Hochsommer.

Ein Toter zwischen Brennesseln

Mainzer Pathologen mit vielen Aufgaben

Das RepairLab zum Beispiel ist eines der Aushängeschilder des Institutes für Pathologie der Uni Mainz. Es ist Mitglied im Europäischen Exzellenzinstitut für Tissue Engineering und Regenerative Medizin.

Regenerative Medizin ist ein neuer biomedizinischer Forschungsbereich, zu dem etwa das Tissue Engineering und die Stammzellforschung gehören, und der sich mit Prozessen der Zell-, Gewebe- oder Organfunktion und -regeneration beschäftigt.

Seit zwei Jahren besitzt das Institut für Pathologie ein hochmodernes Transmissionselektronenmikroskop. Es ermöglicht detailliertere Einblicke in die funktionelle Ultrastruktur von Zellen.

Wie er dann wohl aussehen und riechen wird? Eine Frage, die sich vor einigen Tagen viele der 300 Besucher einer ungewöhnlichen Veranstaltung gestellt haben, zu der die Pathologen der Uni-Klinik Mainz eingeladen hatten. "Pathologisch - wenn Medizin zum Krimi wird", so lautete das Motto des Abends.

Die Geschichte vom Toten in den Brennnesseln stammt aus der Feder des Krimi-Schriftstellers Andreas Wagner. Der schreibt ausschließlich von Mördern, die in Rheinhessen ihr Unwesen treiben und lässt sich, wie er sagt, bei seinen Büchern von einem Forensiker beraten, wenn's um kriminalistische Details geht.

Also: Wie wird der Tote im Graben aussehen? "Vielleicht sagt mein Forensiker: In den nächsten Tage habe ich einen Mann, dem das passiert ist, komm doch einfach mal vorbei," orakelt Wagner augenzwinkernd, und erntet im rappelvollen Pathologie-Hörsaal der Uni Mainz schallendes Gelächter.

Wagner ist nicht nur Krimi-Autor, sondern auch Winzer. Im Laufe des Abends kredenzt er den Gästen erlesene Tropfen aus eigener Produktion. Die folgen nicht nur gespannt seiner Lesung, sondern lernen auch viel über die oft unbekannte Arbeit der Pathologen.

"Wir wollen das Missverständnis auflösen, dass Pathologie und Gerichtsmedizin eine einzige Disziplin sind", sagt Privatdozent Dr. Christoph Brochhausen.

In einer Zeit, in der ausgebuffte, stets gut aussehende Forensiker in US-Krimiserien mit ihrem Know-how quasi am Fließband dafür sorgen, dass gerissene Mörder überführt werden, scheint es für Brochhausen überfällig, ein paar grundsätzliche Unterschiede zur Arbeit der Pathologen klarzustellen.

Umso mehr, als dass die TV-Forensiker auch in Deutschland eine immer größere Fangemeinde haben.

Und so erfahren die Besucher im Laufe des Abends, dass Gerichtsmediziner sich mit den Opfern von Straftaten und eine mögliche Fremdeinwirkung auf die Toten beschäftigen, dass es Pathologen hingegen darum geht, Krankheiten und ihre Entstehung zu erkennen.

Früher war es tatsächlich so, dass Pathologen hauptsächlich mit der Untersuchung von Leichen beschäftigt waren. Heute allerdings sehen sie sich nahezu ausschließlich den lebenden Patienten verpflichtet.

In der Pathologie in Mainz werden jährlich Untersuchungen mit über 50 000 Patienten gemacht. "Die Toten machen höchstens fünf Prozent unserer Arbeit aus", sagt Brochhausen.

Blut- und Speichelproben

Er richtet den Fokus auf andere Schwerpunkte, die die Arbeit der Mainzer Pathologen auszeichnen. Seit März etwa gibt es eine neue Gewebe-Biobank am Universitären Centrum für Tumorerkrankungen (UCT), das zum Pathologischen Institut gehört.

Dort lassen sich bis zu 14.000 Gewebe-, Blut- und Speichelproben von Patienten systematisch sammeln und jahrzehntelang aufheben. Langfristig erhofft sich die Unimedizin, mit diesem Probenmaterial neue Erkenntnisse und Behandlungsmöglichkeiten zum Beispiel zu Krebserkrankungen zu gewinnen.

Natürlich kommt es vor, dass sich die Mainzer Pathologen auch mit Leichen beschäftigen. Brochhausen berichtet von einem vermeintlich kerngesunden polnischen Erntehelfer, der 2004 im Weinberg bei der Arbeit umkippte.

Die Gerichtsmediziner konnten nichts entdecken, nach 48 Stunden landete der Leichnam zur Obduktion bei den Pathologen.

Die fanden heraus, dass der Mann an einem Hitzeschaden gestorben war. Wagner hat das Schicksal des Mannes in einem seiner Krimis aufgenommen. Er ließ ihn in Maische ertrinken - so viel künstlerische Freiheit muss sein.

Der Chef der Mainzer Pathologie Professor Charles J. Kirkpatrick war begeistert von der Besucherresonanz. "Sie haben uns für einen Abend aus unserem Kellerdasein geholt!", freute er sich. Vielleicht gibt's eine Fortsetzung im nächsten Jahr.

Krimiautor Andreas Wagner zumindest lässt keinen Zweifel, dass er locker in der Lage ist, noch die eine oder andere Leiche aus rheinhessischem Brennnesselgestrüpp oder aus beliebigen Kellern der Region zu holen. Es müssen ja nicht die Keller des Pathologischen Instituts der Uni Mainz sein.

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