Therapie statt Tod

Keine Sterbehilfe für belgischen Sexualstraftäter

Die Ärzte sahen keine Therapiemöglichkeiten mehr für Frank van den Bleeken. Der belgische Sexualstraftäter sah nur noch den Tod als Ausweg und erstritt sich das Recht auf aktive Sterbehilfe. Nun gibt es neue Behandlungsmöglichkeiten.

Von Marion Trimborn Veröffentlicht:
Zufahrt zum Gefängnis in Brügge. Dort verbüßt Frank van den Bleeken eine lebenslange Haftstrafe.

Zufahrt zum Gefängnis in Brügge. Dort verbüßt Frank van den Bleeken eine lebenslange Haftstrafe.

© Lecoq / dpa

BRÜSSEL. Es war beinahe im letzten Moment. Wenige Tage vor der geplanten tödlichen Injektion entschieden sich die Ärzte von Frank van den Bleeken für das Leben - und gegen den Tod.

Der belgische Mörder und Vergewaltiger wird vorerst nicht mit Sterbehilfe aus dem Leben scheiden.

Der Sinneswandel der behandelnden Ärzte dürfte weniger auf die öffentliche Empörung zurückzuführen sein, als darauf, dass sich dem 51-Jährigen eine neue Perspektive bietet. Endlich gibt es für den psychisch kranken Häftling einen Therapieplatz, um den er jahrelang gekämpft hat.

Die Verlegung in eine Spezialklinik in den Niederlanden wird erwogen. Der Fall bewegte über Monate hinweg die belgische Öffentlichkeit. Darf ein psychisch kranker Häftling per Todesspritze seiner Haft entkommen? Nur weil der Staat nicht in der Lage ist, ihn angemessen unterzubringen?

"Der belgische Staat scheint eine Art verkappte Todesstrafe zu unterstützen", kritisierte die belgische Liga für Menschenrechte und sprach von einer "gefährlichen Nähe zur Barbarei".

Schon 30 Jahre hinter Gittern

Der Wunsch nach dem Tod darf als Akt der Verzweiflung gelten. All die Jahre waren van den Bleekens Versuche, in ein niederländisches Gefängnis für Langzeit-Häftlinge verlegt zu werden, erfolglos. Nach mehr als 30 Jahren hinter Gittern sah er nur noch den Tod als Ausweg. Im vergangenen Jahr befürwortete ein Gericht die Sterbehilfe für ihn.

Dabei ist der 51-Jährige weder todkrank noch uralt - sondern leidet unter sexuellen Wahnvorstellungen und gilt als unzurechnungsfähig. Im belgischen Fernsehen hatte er um Verständnis gebeten: "Ich bin ein Mensch. Und was immer ich auch getan habe, ich bleibe ein Mensch. Und deswegen sage ich: Gewährt mir Sterbehilfe."

Mit 20 Jahren hatte van den Bleeken eine Frau vergewaltigt und ermordet. Die Richter ordneten seine Zwangseinweisung an. Weil Behandlungsangebote fehlten, landete der Mann in einer herkömmlichen Zelle.

Nun soll van den Bleeken laut Belgiens Justizministerium "eine angemessene Behandlung" erhalten. Möglich macht dies ein im November in Gent eröffnetes psychiatrisches Zentrum. Laut Zeitung "Le Soir" stehen dort 270 Plätze zur Verfügung. Eine ähnliche Einrichtung in Antwerpen mit 180 Plätzen soll 2016 die Arbeit aufnehmen.

Die Zeitung "De Morgen" sieht darin aber nur einen "Tropfen auf den heißen Stein", da rund 1150 Häftlinge in belgischen Gefängnissen ohne psychologische Behandlung blieben.

Justizminister unter Druck

Der Fall schlug so hohe Wellen, dass Justizminister Koen Geens binnen sechs Monaten einen Plan zum Umgang mit psychisch gestörten Langzeit-Häftlingen vorlegen will. S

chon mehrfach rügte der Europäische Menschengerichtshof die gängige Praxis in Belgien. Laut belgischer Ärztekommission für Sterbehilfe haben mindestens 15 Langzeit-Häftlinge ähnliche Anträge auf Sterbehilfe gestellt.

Dass der berühmt gewordene Gefangene nun gesund wird, bezweifeln Fachleute jedoch. "Der unkontrollierbare Geschlechtstrieb von van den Bleeken (...) ist unheilbar", sagte die Ärztin Micheline Roelandt der Zeitung "Le Soir".

Sie hatte ein Gutachten über den Gefangenen verfasst und laut Medienberichten seinen Wunsch nach Sterbehilfe befürwortet. "Die Niederlande sind nur eine Lösung für schmerzlindernde Maßnahmen, aber keine Perspektive für Heilung."

In Deutschland wäre all dies nicht möglich. Aktive Sterbehilfe ist strafbar. Belgien hat dagegen seit 2002 eines der liberalsten Gesetze in Europa, das das Töten Todkranker auf Verlangen erlaubt. Auch psychische Gründe sind zulässig. Schon seit Jahren steigen die Zahlen, 2013 nutzten 1807 Belgier Sterbehilfe.

Seit vergangenem Jahr können auch todkranke Kinder und Jugendliche ihre Tötung verlangen. Auch ungewöhnliche Fälle erhalten Unterstützung: So bat 2013 ein 44-Jähriger nach einer missglückten Geschlechtsumwandlung um Sterbehilfe, sein Wunsch wurde ihm gewährt. (dpa)

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