Organspende

Was hinter Chinas neuer Ankündigung steckt

Stoppt China tatsächlich die Organentnahme von hingerichteten Häftlingen, wie offiziell angekündigt? Wenn das tatsächlich passiert, würde die Organverfügbarkeit des Landes drastisch fallen.

Von Professor Huige Li Veröffentlicht:

Am 3.12.2014 kündigte der Leiter des chinesischen Organspende-Komitees und ehemalige Vize-Gesundheitsminister (im Amt von 2001 bis 2013), Huang Jiefu, an, dass die für Transplantationen benötigten Organe ab dem 1. Januar 2015 nur noch von freiwilligen Spendern stammen dürfen.

Internationale sowie deutsche Medien berichteten seitdem, dass China die Organentnahme von hingerichteten Häftlingen stoppen würde.

Doch Berichte aus China zeigen eine ganz andere Situation auf. "Gefangene gehören nach wie vor zu den qualifizierten Kandidaten für Organspenden", so Huang.

In China werden Organe von hingerichteten Gefangenen seit den 1970er Jahren für Transplantationen verwendet. Seit 1984 gibt es Gesetze, nach denen die Organentnahme von hingerichteten Gefangenen offiziell erlaubt ist.

Obwohl das seit längerer Zeit allgemein bekannt ist, hat China diese weltweit als unethisch angesehene Praxis jahrzehntelang geleugnet.

Im Jahr 2005 gab Huang Jiefu zum ersten Mal zu, dass über 90 Prozent der zur Transplantation verwendeten Organe von hingerichteten Gefangenen stammten.

"Profitorientiert und unethisch"

Professor Huige Li

1967 in China geboren

Professor für Vaskuläre Pharmakologie an der Universität Mainz seit 2011

Engagement gegen unethische Organentnahmen

Seitdem hat Huang diese Art der Organbeschaffung sogar mehrfach als "profitorientiert, unethisch und menschenrechtsverletzend" bezeichnet.

In wenigen Fällen verriet Huang auch seine persönliche Ansicht, die im Gegensatz zu seinen offiziellen Statements steht.

In einem Interview mit dem australischen ABC-Fernsehen am 20.5.2013 plädierte er dafür, dass Gefangene Organe spenden dürfen, was eindeutig gegen den internationalen Ethikstandard verstößt.

Huang selbst hat auch nach seinem Geständnis von 2005 nicht auf die Verwendung von Gefangenenorganen verzichtet. Im späteren Abschnitt seiner chirurgischen Karriere bis 2012 hat er trotz seines Ministeramtes laut Medienbericht zwei Lebern pro Woche transplantiert.

Organe von Gefangenen für die Transplantation zu verwenden, verstößt gegen die medizinische Ethik. Sowohl die World Medical Association (WMA) als auch die Transplantationsgesellschaft (TTS) drücken in ihren Ethikstandards unmissverständlich aus, dass Organe von hingerichteten Gefangenen nicht für Organtransplantationen verwendet werden dürfen.

Es ist ein fundamentaler Grundsatz in der Transplantationsmedizin, dass Organspenden aus freiem Willen erfolgen müssen.

Bei einem zum Tode verurteilten Gefangenen kann man jedoch nicht sicherstellen, ob eine Organspende aus freiem Willen oder durch äußeren Druck erfolgt.

Deshalb wird die Verwendung von Gefangenenorganen in China seit Jahren weltweit von Ärztegesellschaften und Menschenrechtsgesellschaften scharf kritisiert.

Im Jahre 2007 teilte die Chinese Medical Association (CMA) der WMA schriftlich mit, dass chinesische Ärzte Organe von Gefangenen nicht mehr zu Transplantationszwecken verwenden würden.

Das CMA-Schreiben blieb jedoch ein leeres Versprechen und erfolgte in einer Zeit, in der es weltweit zahlreiche Boykott-Initiativen gegen die Olympischen Sommerspiele in Peking gab.

Fragwürdige Resolution

Ende Oktober 2013 unterzeichneten 38 Klinikdirektoren in China die sogenannte "Hangzhou Resolution". Die Direktoren erklären darin, Organe von hingerichteten Gefangenen nicht mehr zu verwenden.

Jedoch haben First-Hand-Untersuchungen aus China bereits nachgewiesen, dass sich nicht alle Transplantationszentren der unterzeichnenden Klinikdirektoren an dieses Versprechen hielten und zumindest in einigen Zentren weiterhin Organe von Hingerichteten für Transplantationen verwendet wurden.

Im März 2014 kündigte Huang Jiefu an, die Organe von Gefangenen in das chinesische Organspende- und Verteilungssystem (COTRS) zu integrieren.

Die Intention wird in seinem Interview mit der Beijing Times unmissverständlich deutlich, denn "Gefangene sind auch Bürger und haben daher auch das Recht, Organe zu spenden…

Sobald die Organe von hingerichteten Gefangenen in das landesweit einheitliche System eingespeist sind, werden diese als freiwillige Organspenden chinesischer Bürger eingestuft.

Die sogenannte Organspende von zum Tode verurteilten Gefangenen existiert dann nicht mehr.

Es geht nicht darum, Organe von hingerichteten Gefangenen nicht mehr zu verwenden, sondern darum, Privatgeschäfte von Krankenhäusern und Ärzten mit diesen Organen zu unterbinden". (1)

Huangs Ankündigung vom März 2014, Gefangenenorgane mithilfe des COTRS weiterhin zu verwenden, wurde als Vertuschungsversuch durchschaut und löste Empörung aus.

Daraufhin haben international führende Organtransplantationsexperten dazu aufgerufen, jeglichen Austausch mit Fachleuten in China einzustellen.

Leider war die Reaktion der internationalen Gemeinschaft insgesamt unzureichend, sodass der März-Plan bis heute nicht zurückgezogen wurde.

Doch der politische Druck auf China wächst weltweit, wenn auch langsamer als die Verletzung medizinischer Ethik erfordern würde.

Seit 2006 gibt es zunehmend Indizien dafür, dass nicht nur zum Tode verurteilte, sondern auch politische Gefangene in China als Organquelle verwendet werden.

EU-Parlament reagiert besorgt

In seiner Resolution vom 12.12.2013 bekundete das Europäische Parlament "seine tiefe Besorgnis angesichts der anhaltenden und glaubwürdigen Berichte über systematische, vom Staat gebilligte Organentnahmen an Gefangenen aus Gewissensgründen in der Volksrepublik China, die ohne Einwilligung der Betroffenen erfolgen, unter anderem in großem Umfang an Falun-Gong-Anhängern, die aufgrund ihrer religiösen Überzeugung inhaftiert sind, sowie an Angehörigen anderer religiöser und ethnischer Minderheiten".

Es folgten ähnliche Resolutionen in Italien (5. März 2014) und Kanada (6. November 2014).

Es ist anzunehmen, dass das neue Versprechen aus China unter dem wachsenden internationalen Druck entstanden ist.

Doch die aktuelle Ankündigung vom 3. Dezember 2014 ist nicht verifizierbar. Außer einem konkreten Datum, 1. Januar 2015, werden darin keine konkreten Maßnahmen betreffend der Umsetzung des Planes bekannt gegeben.

Es gibt dazu weder eine Gesetzesänderung noch einen Regierungsbeschluss, noch nicht einmal eine öffentliche Stellungnahme der Gesundheitsbehörde.

Die Organentnahme von Hingerichteten ist in China weiterhin legal. Es ist daher fraglich, wie seriös die neue Ankündigung ist.

Organtransport nach Taiwan?

Wenn China tatsächlich ab dem 1. Januar 2015 auf Organe von Gefangenen verzichten würde, würde die Organverfügbarkeit des Landes drastisch fallen.

Jedoch scheint dieses Problem in China nicht zu existieren. Anstatt sich über einen Organmangel Sorgen zu machen, hat Huang am 19. Dezember 2014 angeboten, Organe vom Festland Chinas nach Taiwan zu exportieren.

Deshalb stellt sich die Frage, was hinter Chinas neuer Ankündigung steckt.

"Die Gefangenen gehören nach wie vor zu den qualifizierten Kandidaten für Organspenden, aber ihre Organe werden in dem Computer-System registriert anstatt für private Geschäfte. Das wird in Zukunft der Hauptunterschied sein, sagte Huang zu Reportern", so China Daily am 4.12.2014.

Ein chinesischer Bericht zitierte Huang am selben Tag mit den Worten: "Auch zum Tode verurteilte Gefangene sind Bürger. Wenn sie Organe spenden, soll ihnen gleichviel Achtung zuteilwerden.Ihre Organe sollen auch in das Organverteilungssystem aufgenommen und automatisch den Patienten zugeteilt werden, die sie am meisten benötigen".

In dem China Daily-Bericht vom 08.01.2015 hieß es erneut "Gefangene sind weiterhin qualifiziert, Organ zu spenden, aber ihre Organe werden registriert und in die nationale Datenbank eingegeben".

Diese Meldungen aus China legen nahe, dass der kürzlich ankündigte Plan eine Fortführung des Planes vom März 2014 ist.

Die offensichtliche Schlussfolgerung aus Huangs eigenen Worten ist, dass China immer noch Organe von hingerichteten Gefangenen verwendet.

Die einzigen Unterschiede sind, dass die zum Tode verurteilten Gefangenen nun als reguläre Bürger neu definiert werden, und die Organe von hingerichteten Gefangenen jetzt als "freiwillig gespendete Organe von Bürgern" kategorisiert werden.

Hiermit würde China offiziell die internationalen ethischen Richtlinien umgehen und die unethische Praxis würde zu einer "never ending story" werden.

Leere Versprechungen

Nach wiederholten leeren Versprechungen aus China, wie zum Beispiel der erwähnte CMA-Brief im Jahre 2007 und die gescheiterten "Hangzhou Resolution" im Jahre 2013, reichen Ankündigungen allein nicht mehr aus, um die Welt zu überzeugen.

China kann nur Glaubwürdigkeit gewinnen, indem es sein Organspendensystem transparent, verifizierbar für unabhängige Fachorganisationen und offen für internationale Inspektionen macht.

Um dies zu realisieren, ist eine resolute Reaktion der internationalen Gemeinschaft erforderlich. Jahrzehntelang hat diese unethische Praxis vor den Augen der Weltöffentlichkeit stattgefunden.

Neun Jahre nach dem offiziellen Geständnis im Jahre 2005 dauert sie heute immer noch an. Es muss gehandelt werden, und zwar sofort. Mögliche Handlungen sind beispielsweise in einem vor kurzem publizierten Artikel aufgeführt (2).

Weitere Quellen:

(1) David Matas & David Kilgour (2009): Bloody Harvest, ISBN: 978-0980887976; David Matas & Torsten Trey (2012): State Organs, ISBN: 978-1927079119; Ethan Gutmann (2014): The Slaughter, ISBN 978-1616149406.

(2) Sharif A, Singh MF, Trey T, Lavee J. Organ procurement from executed prisoners in china. Am J Transplant. 2014; 14: 2246-2252.

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