Andreas L. einst selbstmordgefährdet

Politiker fordern Lockerung der ärztlichen Schweigepflicht

Der Co-Pilot der abgestürzten Germanwings-Maschine galt vor Jahren als selbstmordgefährdet und war in psychotherapeutischer Behandlung, berichtet die Staatsanwaltschaft Düsseldorf. Die neuen Erkenntnisse zum Gesundheitszustand haben eine Debatte um die Grenzen der ärztlichen Schweigepflicht entfacht.

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Inhalt von Patientenakten und Gesprächen unterliegen der ärztlichen Schweigepflicht.

Inhalt von Patientenakten und Gesprächen unterliegen der ärztlichen Schweigepflicht.

© blickwinkel/McPhoto

BERLIN. Bei den Ermittlungen zum Absturz der Germanwings-Maschine 4U9525 über den französischen Alpen hat die Staatsanwaltschaft jetzt Zugriff auf Krankenhaus-Akten über den Co-Piloten Andreas L.

Knapp eine Woche nach dem Absturz übermittelte das Uniklinikum Düsseldorf seine Unterlagen am Montag der Ermittlungsbehörde, wie eine Klinik-Sprecherin sagte.

Der 27-Jährige, der nach bisherigen Erkenntnissen den Airbus mit 150 Menschen an Bord absichtlich abstürzen ließ, war vor einigen Wochen als Patient an das Uniklinikum gekommen.

Dabei ging es den Angaben zufolge um "diagnostische Abklärungen", die aber bislang offiziell nicht näher erläutert wurden.

Am Wochenende war in den Medien eine mögliche Augenerkrankung von Co-Pilot Andreas L. diskutiert worden.

Die Übergabe der Akten war ursprünglich für Freitag angekündigt worden. Für Berichte, wonach der Co-Pilot an starken psychischen Problemen und auch Sehstörungen gelitten haben soll, war bislang keine Bestätigung zu erhalten.

Wie die Düsseldorfer Staatsanwaltschaft am Montag mitteilte, war Andreas L. vor seiner Karriere als Berufspilot als selbstmordgefährdet eingestuft worden und in psychotherapeutischer Behandlung gewesen. Die Therapie sei erfolgt, bevor er den Pilotenschein erwarb.

Bei seinen Arztbesuchen in letzter Zeit sei ihm jedoch weder Selbst- noch Fremdgefährdung attestiert worden. Hinweise auf ein organisches Leiden gebe es in den ärztlichen Dokumentationen bislang nicht. Auch fehlten nach wie vor belegbare Hinweise auf eine Ankündigung oder ein Bekenntnis einer solchen Tat.

Politiker wollen ärztliche Schweigepflicht lockern

In der medialen Diskussion gewinnt die Frage nach einer Lockerung der ärztlichen Schweigepflicht an Fahrt: Der CDU-Verkehrsexperte Dirk Fischer hatte eine Lockerung der Schweigepflicht für sensible Berufe gefordert.

"Piloten müssen zu Ärzten gehen, die vom Arbeitgeber vorgegeben werden. Diese Ärzte müssen gegenüber dem Arbeitgeber und dem Luftfahrtbundesamt von der ärztlichen Schweigepflicht entbunden sein", sagte Fischerder "Rheinischen Post".

Der Bundestagsabgeordnete Thomas Jarzombek (CDU) schlug eine Expertenkommission vor, die die Frage klären solle, wie mit ärztlichen Diagnosen bei Menschen in besonders verantwortungsvollen Berufen wie Piloten umzugehen sei.

SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach betonte in der "Bild"-Zeitung, wenn Leib und Leben anderer Menschen gefährdet seien, sei "der Arzt verpflichtet, den Arbeitgeber über die Arbeitsunfähigkeit des Mitarbeiters zu informieren".

Weiter sagte er: "Dies gilt ganz besonders im Fall psychischer Erkrankungen und einer möglichen Selbstmordgefahr."

Dagegen warnte der Präsident der Bundesärztekammer, Professor Frank Ulrich Montgomery, vor "vorschnellen politischen und rechtlichen Entscheidungen".

"Die ärztliche Schweigepflicht ist ebenso wie das verfassungsrechtlich geschützte Patientengeheimnis ein hohes Gut und für alle Bürgerinnen und Bürger in Deutschland ein Menschenrecht", erklärte Montgomery in einer Stellungnahme.

"Dies ist eine Diskussion der Hilflosigkeit"

"Die Schweigepflicht ist nicht das Problem. Das Problem ist das Erkennen der Fremdgefährdung. Dafür gibt es keine absolut verlässliche Methode. Ärzte und Psychotherapeuten sind heute schon verpflichtet zu melden, wenn ein Patient beabsichtigt, andere zu töten", sagte der Präsident der Bundespsychotherapeutenkammer Professor Rainer Richter auf Anfrage der "Ärzte Zeitung".

Auch Dieter Best, stellvertretender Vorsitzender der Deutschen Psychotherapeuten Vereinigung warnt vor vorschnellen Schritten: "Dies ist eine Diskussion der Hilflosigkeit. Die Schweigepflicht muss für alle Patientengruppen gelten", so Best im Gespräch mit der "Ärzte Zeitung".

"Damit würde man bestimmte Berufsgruppen von der Psychotherapie ausschließen. Nur auf Basis von Vertrauen kann eine gute Therapie gelingen", so Best weiter.

In die gleiche Richtung argumentieren auch Vertreter des Hartmannbundes (HB): "Eine Lockerung dieses besonderen Rechtsschutzes kann unter anderem auch dazu führen, dass Patienten sich überhaupt erst gar nicht in Behandlung begeben oder sich gegenüber ihrem Arzt öffnen", erklärte HB-Vorsitzender Dr. Klaus Reinhardt.

Auch Dr. Hans-Werner Teichmüller, Präsident des Deutschen Fliegerarztverbandes widerspricht den Darstellungen über die Schweigepflicht.

"Dem Arbeitgeber dürfen wir gar nichts mitteilen. Da haben wir gar keine Berechtigung zu", sagte Teichmüller am Montag im ZDF-"Morgenmagazin". In diesem Fall hätte der Arzt lediglich das Luftfahrtbundesamt informieren dürfen.

Paragraf 34 Strafgesetzbuch

Die ärztliche Schweigepflicht kann nur in begründeten Ausnahmefällen aufgehoben werden. Dazu muss der Arzt die Begehung einer Straftat durch seinen Patienten für möglich erachten. In dem Fall darf sich ein Arzt gegenüber einem Dritten offenbaren - das regelt der Paragraf 34 im Strafgesetzbuch.

Dort heißt es unter dem Titel "Rechtfertigender Notstand", dass ein Arzt die ihm bekannten Pläne einem anderen Menschen mitteilt, um eine "gegenwärtige Gefahr für Leben, Leib, Freiheit, Ehre, Eigentum oder ein anderes Rechtsgut" abzuwenden und "bei Abwägung der widerstreitenden Interessen, namentlich der betroffenen Rechtsgüter und des Grades der ihnen drohenden Gefahren, das geschützte Interesse das beeinträchtigte wesentliche überwiegt".

Was juristisch verklausuliert damit gemeint ist: Erst wenn ein Arzt konkrete Anhaltspunkte hat, dass ein Patient eine Gefahrensituation plant, kann er tätig werden. Zusätzlich ist es erforderlich, dass der Arzt vorher auf den Patienten ohne Erfolg eingewirkt hat, um ihn von der Herbeiführung der Gefahrensituation abzuhalten.

"Instrumente dafür gibt es bereits, dafür muss die Schweigepflicht nicht gelockert werden", erklärt Best von der Deutschen Psychotherapeuten Vereinigung. "Konkrete Gefahren können Psychotherapeuten mit einiger Berufserfahrung sehr gut einschätzen", so Best.

Unterdessen sind im Absturzgebiet in der Nähe des Örtchens Seyne-les-Alpes die Bergungsarbeiten fortgesetzt worden. Die Ermittler haben bislang die DNA von gut der Hälfte der 150 Todesopfer sicherstellen können. Man habe "78 unterschiedliche DNA-Spuren" identifiziert, sagte Staatsanwalt Brice Robin.

Ermittler: Blackbox sendet keine Signale

Bei der Suche nach dem Flugdatenschreiber setzen die Ermittler auf akribische Suche statt auf Funksignale.

"Die Geräte senden nur bei Kontakt mit Wasser", erläuterte Jens Friedemann von der Bundesstelle für Flugunfalluntersuchung (BFU) am Montag in Braunschweig. In den Alpen sende der Datenschreiber also gar keine Funksignale.

Die BFU ist mit sieben Personen an den Untersuchungen des Absturzes beteiligt - fünf davon in Frankreich. Sie werden den Schreiber gemeinsam mit ihren französischen Kollegen auswerten, sobald er gefunden ist. Der Chip mit mehreren Hundert gespeicherten Daten steckt in einem gepanzerten Zylinder von der Größe einer Konservendose. (bee mit Material von dpa)

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