Japan

Länger fit dank gesunder Zähne

Der Zusammenhang zwischen Mundgesundheit und zum Beispiel Herzerkrankungen wird intensiv erforscht. Doch hängen auch mentale und dentale Gesundheit zusammen? Ein Blick nach Japan lässt dies vermuten.

Von Sonja Blaschke Veröffentlicht:

TOKIO. Ein japanischer Rentner um die 80 Jahre kann nur mit Mühe essen und sprechen. Er verweigert Pflege und Medikamente und liegt die meiste Zeit. Seine Gesichtszüge sind schlaff, die Augen halb geschlossen. Ein Video zeigt ihn, wie er kaum einen Schritt vor den anderen setzen kann, obwohl ihn andere stützen.

Wenige Wochen, nachdem er von einem Zahnarzt behandelt wird, ändert sich sein Gesichtsausdruck. Seine Augen wirken größer, er selbst geistig wacher. Als er in einen Apfelschnitz beißt, sagt er lächelnd "oishii" - "lecker". Er kann ohne Hilfe gehen und Treppen steigen. Und lächelt wieder.

Der Zahnarzt, der die Fortschritte des Senioren filmte, ist Dr. Hideo Kawahara. Der 74-Jährige ist praktizierender Zahnmediziner und unterrichtet an mehreren Hochschulen in Japan. Sein Spezialgebiet sind Zahnprothesen. Seit über 40 Jahren beschäftigt er sich damit. Vor 13 Jahren begann er, die Behandlung einiger Dutzend Patienten mittels Videokamera zu dokumentieren.

Einer davon war der fast bettlägerige Rentner. Kawahara behandelte ihn, indem er dessen alten, fleckigen Zahnersatz, der mehrere Lücken hatte, ersetzte, und mit ihm Kauen übte.

Schlüssel steckt in den Muskeln

Immer wieder stellte Kawahara fest: Sobald sich die Mundhygiene und die Kaufähigkeit verbesserten, ging es den Patienten deutlich besser - körperlich wie mental. Wer gut kaue, lebe nicht nur länger, sondern vor allem besser, verdeutlicht Kawahara. Selbst die Symptome von Demenz könnten dadurch gemildert werden.

Der Schlüssel zur Gesundung steckt in den Muskeln. Darüber ist der Kauapparat mit dem peripheren Nervensystem und der Großhirnrinde verknüpft. Jede Kaubewegung sendet einen Impuls ans Gehirn und regt den Blutfluss an.

Kawaharas Kollege von der Meikai Universität, Akira Uehama, berichtet von einem aufschlussreichen Test mit Ratten: Die Tiere fanden den Weg durch ein Labyrinth zunächst problemlos - bis man ihnen die Zähne abstumpfte. Sie konnten sich nicht mehr orientieren. Erst, als man ihre Zähne wieder verlängerte, fanden sie den Ausweg.

Solche Ergebnisse haben nicht nur für Japan, der am schnellsten überalternden Gesellschaft der Welt, hohe Relevanz. Studien der Regierung zufolge könnte 2025 jeder fünfte Japaner an fortschreitenden neurologischen Erkrankungen leiden.

2012 schätzte sie die Zahl der Betroffenen auf 4,62 Millionen, knapp vier Prozent der Bevölkerung. Häufig ist Demenz mit Krankheiten wie Diabetes und Arteriosklerose verknüpft.

Japaner kauen nur wenig

Für Kawahara ist eine der Ursachen, dass seine Landsleute gerne weiche Speisen essen und wenig kauen - nur 800 mal am Tag. Zahnärzte empfehlen dreimal so viel, am besten 30 mal pro Bissen.

Doch das geht nur, wenn man genug Zähne hat. 16 bis 20 Zähne würden für die meisten Lebensmittel reichen. Bei sechs bis zehn Zähnen könne man fast nichts mehr kauen, erklärt Kawahara.

Zahnersatz koste keinen Yen, da die japanische Krankenversicherung die Zahnprothese übernehme. Damit könne schon ein wichtiger Teil der Kaufähigkeit wiederhergestellt werden. Die beste Lösung - Implantate - sind in Japan hingegen mit 350.000 Yen (2600 Euro) bis 500.000 Yen (3700 Euro) pro Zahn für viele Patienten zu teuer.

Der Aufwand für guten Zahnersatz lohne sich, betont aber auch Uehama: Klinische Studien hätten gezeigt, dass je nach Kaubewegung andere Areale im Hirn angesprochen würden, manche an der Oberfläche, andere in der Tiefe des Gehirns.

Dort seien Gefühle wie Sicherheit, Zufriedenheit und Entspannung lokalisiert, die nicht einmal mit Medikamenten ansprechbar seien, sagt Uehama. Er empfiehlt möglichst abwechslungsreiche Kost. Durch Herausforderungen für das Gebiss wie Erdnüsse, die man beißen müsse, um sie zu schlucken, würde die Koordination im Mund trainiert und zugleich das Gehirn angeregt.

Verschreibungspflichtige Spezial-Kaugummis, die die Kaufähigkeit fördern, gibt es bereits. Nun entwickeln japanische Zahnärzte mit der Industrie kauintensive Lebensmittel für Supermärkte.Auch für die Behandlung von Krebspatienten spielt die Kaufähigkeit eine Rolle.

 Dr. Kiyotaka Umezu, ein in Tokio ansässiger Facharzt für Implantate, behandelt eine an Magenkrebs erkrankte Patientin, deren Gebiss mehrere Lücken hat, indem er ihr mehrere Implantate einsetzt. So kann sie die Nahrung besser kauen und ihren Magen schonen. Er fordert mehr und bessere Prävention, damit es erst gar nicht zum Verlust von Zähnen kommt.

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