Nach Bombenangriff

Schock und Trauer sitzen bei "Ärzte ohne Grenzen" tief

Nach dem Bombenangriff auf ihr Krankenhaus in Kundus muss die Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen versuchen, nach vorne zu blicken. Zwölf Mitarbeiter wurden getötet. Die Organisation fordert eine unabhängige Aufklärung.

Von Pete Smith Veröffentlicht:
Tief geschockt: Florian Westphal, Chef der deutschen MSF-Sektion.

Tief geschockt: Florian Westphal, Chef der deutschen MSF-Sektion.

© Sigge

KUNDUS. "Der Schock sitzt noch immer tief", sagt Florian Westphal, Geschäftsführer der deutschen Sektion von Ärzte ohne Grenzen (MSF), drei Tage nach dem Bombardement eines von MSF betriebenen Krankenhauses im nordafghanischen Kundus.

"Wir trauern um unsere Mitarbeiter und die Patienten, die bei dem Angriff ums Leben gekommen sind. Unsere Gedanken sind bei ihren Familien."

In der Nacht von Freitag auf Samstag war die Klinik, die einzige Einrichtung dieser Art im Nordosten Afghanistans, während anhaltender Bombardements mehrfach getroffen worden.

Dabei wurden mindestens zwölf Mitarbeiter von Ärzte ohne Grenzen und zehn Patienten getötet, mindestens 37 weitere Menschen zum Teil schwer verletzt.

War der Angriff ein Versehen?

Der Ablauf der Ereignisse blieb unklar. Derzeit deutet alles darauf hin, dass die US-Luftwaffe das Krankenhaus versehentlich angegriffen hat, obwohl MSF die GPS-Koordinaten routinemäßig an alle Konfliktparteien weitergegeben hatte. Denn Krankenhäuser und humanitäre Einrichtungen sind auch in Konflikten völkerrechtlich geschützt.

Selbst nachdem man die zuständigen Stellen in Kabul und Washington über die Angriffe informierte, sei der Beschuss noch eine halbe Stunde fortgesetzt worden, heißt es.

Zu diesem Zeitpunkt befanden sich etwa 80 Helfer und 105 Patienten in dem Gebäudekomplex.

"Wir fordern eine vollständige, transparente und vor allem unabhängige Aufklärung", erklärte Florian Westphal am Montag im Gespräch mit der "Ärzte Zeitung".

"Wir wollen wissen, was passiert ist und warum." Keinesfalls werde man sich mit internen Ermittlungen einer der beteiligten Parteien zufrieden geben.

MSF hat inzwischen all seine Mitarbeiter aus Kundus abgezogen. Die Klinik sei "nicht mehr funktionsfähig", sagte Sprecherin Kate Stegeman bereits am Sonntag.

MSF-Mitarbeiter würden nicht mehr in dem Gebäude arbeiten.

Viele werden noch vermisst

Einige der am schwersten verwundeten Opfer des Raketenangriffs wurden zur Stabilisierung in ein Krankenhaus in Pol-e-Chomri in der Nachbarprovinz gebracht, etwa zwei Stunden Autofahrt entfernt. Viele Patienten und Mitarbeiter würden außerdem noch vermisst, teilte die Hilfsorganisation mit.

"Was uns hart trifft, ist, dass wir das Krankenhaus in Folge der Bombardierung auch langfristig nicht mehr nutzen können", so Westphal. "Seit Ausbruch der Kämpfe am Montag vergangener Woche haben wir dort knapp 400 Verletzte behandelt."

Die meisten von ihnen seien Zivilisten gewesen, verwundete Kombattanten habe es aber auch gegeben. "Sobald ein Kämpfer verletzt ist, ist er eine vom Völkerrecht geschützte Person."

Das Krankenhaus in Kundus, betont Westphal, sei bis zum Beschuss Samstagnacht von allen Konfliktparteien respektiert worden. Hinweise aus NATO-Kreisen, auf dem Klinikgelände hätten sich zum Zeitpunkt des Angriffs Taliban-Kämpfer verschanzt, kann der Leiter der deutschen MSF-Sektion nicht bestätigen.

"Keiner unserer Mitarbeiter hat vor dem Bombardement Schüsse gehört oder von Kampfhandlungen berichtet. Der Angriff stellt einen schweren Bruch des internationalen humanitären Völkerrechts dar", sagte Westphal. Er kam 1999 mit Ärzte ohne Grenzen in Kontakt, damals bei einem humanitären Einsatz im Osten der Demokratischen Republik Kongo.

Ärzte ohne Grenzen ist seit 1980 in Afghanistan tätig und unterstützt derzeit das Gesundheitsministerium im Ahmad-Shah-Baba-Krankenhaus im Osten Kabuls, in der Frauenklinik Dasht-e-Barchi im Westen Kabuls und im Boost-Krankenhaus in Lashkar Gah in der Provinz Helmand. Im Osten des Landes betreibt Ärzte ohne Grenzen eine Mutter-Kind-Klinik.

Die Lage in Afghanistan wird auch am Donnerstag Thema: Dann wollen die Nato-Verteidigungsminister in Brüssel über die Situation beraten.

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