US-Hinrichtungen

Giftspritze vor dem Aus

Als letztes Pharma-Unternehmen hat Pfizer beschlossen, US-Strafbehörden keine Substanzen mehr zur Verfügung zu stellen, die zur Vollstreckung der Todesstrafe eingesetzt werden. Auf legalem Weg sind nun keine Medikamente für Hinrichtungen mittels Giftspritze mehr zu bekommen, betonen Experten.

Von Gabriele Chwallek Veröffentlicht:
Die Todeszelle eines US-Gefängnisses.

Die Todeszelle eines US-Gefängnisses.

© Paul Buck / dpa

WASHINGTON. Er keuchte mehr als 600 Mal, rang offenbar qualvoll nach Luft. "Sein Mund öffnete sich, die Brust hob sich, während sich der Magen verkrampfte", schilderte ein Augenzeuge die Hinrichtung eines Mörders im Juli 2014. Eine Stunde und 57 Minuten dauerte es, bis der Mann schließlich starb.

Das war nicht irgendwo in einem Land mit einem dubiosen Rechtssystem, nicht im Iran, in Pakistan, Saudi-Arabien oder China. Das war in Arizona in den Vereinigten Staaten von Amerika.

Und es war die vierte Exekution allein in diesem einen Jahr, bei der etwas schieflief - in einem Staat, der sich rühmt, human hinzurichten, auch wenn das in vielen Teilen der Welt schon an sich als ein Widerspruch verstanden wird.

Die Zahl der Exekutionen ist rückläufig

Aber inzwischen wird in den USA deutlich weniger hingerichtet, 28 Exekutionen waren es 2015. "Nur" könnte man einfügen, wenn man an das Rekordjahr 1999 denkt, in dem 98 Menschen auf staatliche Anweisung getötet wurden.

Gegner der Todesstrafe sehen daher erstmals Grund zur Hoffnung, dass sich die USA irgendwann doch in die Gruppe moderner Rechtsstaaten einreihen, die das Exekutieren für barbarisch halten - auch dann, wenn ein ordentliches Gerichtsverfahren vorausgegangen ist.

Aber bis dahin ist es noch ein weiter Weg. Auch nach dem markanten Schritt des Arzneimittelherstellers Pfizer, der sicherstellen will, dass seine zur Lebensrettung hergestellten Arzneimittel nicht als Tötungsinstrument eingesetzt werden.

Pfizer war nach Berichten der "New York Times" vom Freitag von mehr als 20 europäischen und US-Herstellern das letzte, das sich dafür entschieden hat, den Einsatz tödlicher Arzneimittel bei Exekutionen zu verhindern. Bereits zuvor hatte die Europäische Union seit 2011 die Ausfuhr von Substanzen beschränkt.

Schulterschluss der Pharmaindustrie

Dies betrifft vor allem das Betäubungsmittel Natrium-Thiopental. Als Ersatz verwendeten die Behörden mancher Bundesstaaten Pentobarbital.

Die von Pfizer im vergangenen Jahr erworbene US-Pharmafirma Hospira stellte mehrerer dieser Substanzen her. Deren Einsatz will Pfizer nun verhindern.

Menschenrechtsaktivisten werten das zwar zu Recht als einen wichtigen Schritt, weil damit offiziell keine von der US-Kontrollbehörde FDA genehmigten Mittel mehr für Hinrichtungen zur Verfügung stehen - ein längst überfälliger Schulterschluss der Pharmaindustrie.

"Es ist sehr bedeutend, dass sie jetzt mit einer Stimme sprechen", sagt denn auch Todesstrafen-Expertin Megan McCracken von der Rechtsfakultät der University of California in Berkeley.

Aber sie weist zugleich auf den "zunehmenden Schleier der Geheimhaltung" um die Herkunft der Präparate hin. Immer mehr Bundesstaaten verweigern schlicht die Auskunft darüber, woher die Chemikalien für ihre Giftspritzen kommen.

Dazu zählt Texas, das sechs der bisher 14 Hinrichtungen in diesem Jahr ausgeführt hat. Es verwendet ein einzelnes Mittel, das nicht von Pfizer hergestellte Pentobarbital.

Vermutungen gehen dahin, dass es aus einer von zahlreichen wenig regulierten Spezialapotheken kommt, die maßgeschneiderte Produkte zusammenstellen - auf Kundenwunsch.

Das Todesstrafen-Informationszentrum (DPIC) in Washington schätzt, dass mindestens zehn Bundesstaaten sich entweder bereits bei diesen Einrichtungen Hinrichtungsmittel beschafft haben oder das planen.

Bevölkerung mehrheitlich für Todesstrafe

Insgesamt ist es bisher hauptsächlich auf Pannen und Beschaffungsprobleme zurückzuführen, dass die USA weniger exekutieren. Das heißt, der gegenwärtige Trend wird weniger von einem Bewusstseinswandel in der Bevölkerung als von prozeduralen Schwierigkeiten getragen.

Immer noch ist die Mehrheit der Bevölkerung für die Todesstrafe - und ist sich dabei laut Umfragen durchaus darüber im Klaren, dass die Hinrichtung Unschuldiger vorkommen kann und vorgekommen ist.

Seit 1973 kamen mehr als 150 Menschen aus den Todeszellen frei, weil sie die Tat, für die sie verurteilt wurden, nicht begangen hatten. Allein im vergangenen Jahr gab es vier solcher Fälle. Aber die öffentliche Empörung über solche Fehlurteile und die möglichen Implikationen hält sich immer noch in Grenzen.

Auch die öffentliche Diskussion darüber, dass gemessen an ihrem Bevölkerungsanteil weitaus mehr Schwarze in der Todeszelle sitzen als Weiße und es weniger Todesurteile gibt, wenn das Opfer schwarz und der Täter weiß ist.

Auch sind viele Befürworter der Todesstrafe immer noch überzeugt davon, dass das "capital punishment" eine abschreckende Wirkung hat. Wie etwa David Muhlhausen, Strafrechtsexperte bei der konservativen Heritage Foundation, der nach Angaben der "New York Times" Pfizer vorwirft, vor speziellen Interessengruppen eingeknickt zu sein.

Der Schritt des Pharmaunternehmens liege "nicht im öffentlichen Interesse", weil Studien die abschreckende Wirkung der Todesstrafe nachwiesen. Kritiker verweisen dagegen auf einen FBI-Bericht aus dem Jahr 2012, der hervorhebt, dass die meisten Morde im US-Süden geschehen, wo 80 Prozent der Hinrichtungen stattfinden.

Wachsende Bedenken der Justiz

Aber dennoch, trotz aller Widerstände, ist es nicht so, dass sich im öffentlichen Bewusstsein überhaupt nichts bewegt hätte oder bewegen würde. Gerichtsurteile spiegeln immer auch Entwicklungen in der Gesellschaft wider, so auch bei der Todesstrafe.

Der Supreme Court hat in der jüngeren Vergangenheit Hinrichtungen jugendlicher und geistig schwer behinderter Straftäter verboten, niedrigere Instanzen beschäftigen sich immer häufiger mit Einzelklagen gegen Hinrichtungen.

Das ist ein wenn auch immer noch vorsichtiger Trend, der sich beschleunigen könnte, wenn das Exekutieren immer schwieriger wird. (dpa)

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