Falscher Aida-Schiffsarzt gesteht

"Ich wollte Menschen helfen"

Er arbeitet als Narkosearzt, hält Fachvorträge und heuert als Arzt auf einem Kreuzfahrtschiff an – ohne je Medizin studiert zu haben. Nun steht der mutmaßliche Hochstapler vor Gericht.

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"Äußerst fundiertes Fachwissen" bescheinigten ihm Kollegen. Zuletzt arbeitete der falsche Arzt auf einem Schiff.

"Äußerst fundiertes Fachwissen" bescheinigten ihm Kollegen. Zuletzt arbeitete der falsche Arzt auf einem Schiff.

© Wimbledon / fotolia.com

BERLIN. Im weißen Kittel wurde er geschätzt, von Kollegen bekam er "äußerst fundiertes Fachwissen" bescheinigt. Zuletzt behandelte er eineinhalb Jahre lang Passagiere auf einem Aida-Kreuzfahrtschiff. Doch ihr Arzt war wohl nur gelernter Krankenpfleger. Nun sitzt der 41-Jährige auf der Anklagebank.

Zu Prozessbeginn am Donnerstag gesteht der Mann am Landgericht Berlin: "Ich habe mich mit gefälschten Dokumenten als Arzt ausgegeben." Seit 2010 habe er mit gefälschter Approbationsurkunde und einer am Computer gebastelten Bestätigung eines "Dr. med." ein Lügengebilde aufgebaut.

63 Fälle von Körperverletzung vorgeworfen

80 Taten werden dem Mann vorgeworfen: Betrug, Urkundenfälschung, Missbrauch von Titeln und 63 Fälle von gefährlicher Körperverletzung.

Der mutmaßliche Hochstapler erschlich sich den Ermittlungen zufolge als angeblicher Anästhesist und Intensivmediziner eine Stelle bei der Deutschen Stiftung für Organtransplantation sowie eine Dozententätigkeit an der Berliner Charité.

Zudem habe er in einer Praxisklinik 41 Patienten unter Narkose gesetzt und als Schiffsarzt praktiziert. Damit habe er insgesamt rund 500 000 Euro eingenommen.

Fachlich scheinbar einwandfrei

"Es gab nie fachliche Beschwerden", erklären die Verteidiger.

Der Angeklagte senkt den Kopf. "Ich möchte mich entschuldigen bei den Menschen, deren Vertrauen ich ausgenutzt habe", sagt er. "Ich wollte Menschen helfen."

Er habe als Kind die Abenteuerromane von Karl May verschlungen und schon als Neunjähriger davon geträumt, "einmal Medizinmann zu werden". Nach der Trennung seiner Eltern sei es ihm aber nicht gelungen, das Abitur zu machen.

Gelernter Krankenpfleger mit Anästhesieerfahrung

In Stendal in Sachsen-Anhalt wurde er Krankenpfleger. "Mein Herz schlug für die Intensivmedizin", sagt der Angeklagte. Ärzte hätten ihn geschätzt. "Ich wurde immer häufiger bei Diagnostik einbezogen."

Doch es sei mehr und mehr darum gegangen, Kosten einzusparen. Er habe deshalb eine Auszeit genommen. In Burma, Kambodscha und Vietnam sei er gewesen. "Da reifte der Entschluss, mich als Arzt auszugeben."

Berlin sollte wegen der Liebe zu einer Frau seine neue Heimat werden. Die Deutsche Stiftung für Organtransplantation täuscht er kurz darauf. "Es gab zwei Fachgespräche, dann hat man mich als Koordinator eingearbeitet." Er habe später ein hervorragendes Zeugnis erhalten.

Es treffe auch zu, dass er in einer Praxisklinik als Narkosearzt am OP-Tisch stand. Die Dosierung habe problemlos ein Gerät geregelt: "Da gibt man nur das Gewicht des Patienten ein und drückt auf Start."

Charité zu theoretisch

Zuletzt arbeitete er als falscher Arzt an Bord der Aida. "Aus einer Laune heraus hatte ich mich beworben", sagt der 41-Jährige. An der Charité sei es ihm zu theoretisch geworden.

"Hatten Sie kein Muffensausen angesichts der vielen Passagiere?", fragt der Richter. Der Angeklagte zuckt mit der Schulter: "Es war immer noch ein Kollege da."

Einer Patientin soll er eine antibiotische Infusion gegeben haben, obwohl die Frau kein Penicillin verträgt. Sie soll Kreislaufprobleme bekommen haben.

Gefälschte Dokumente fliegen auf

Als der 41-Jährige im Oktober 2014 bei der Ärztekammer Berlin einen neuen Ausweis beantragte und einen zweiten Vornamen eintragen lassen wollte, kamen erste Zweifel auf. Im Dezember 2015 wurde er verhaftet.

Die Reederei Aida suspendierte den vermeintlichen Arzt, nachdem Staatsanwaltschaft und Ärztekammer das Unternehmen über den Fall informiert hatten.

"Wir wurden von dem Mann umfassend getäuscht", teilte ein Sprecher Anfang Dezember mit. Man unterstütze die Berliner Behörden bei ihren Ermittlungen. Das Urteil soll im August gesprochen werden. (dpa)

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