Deutschlands bekanntester TV-Arzt von Hirschhausen

"Wir verschenken unsere Möglichkeiten"

Er ist ein echter Medienstar und gilt inzwischen als der bekannteste Arzt Deutschlands: Dr. Eckart von Hirschhausen erklärt, was sich im Gesundheitswesen dringend ändern muss. Zum Beispiel, warum es Salsa auf Rezept geben sollte.

Christoph FuhrVon Christoph Fuhr Veröffentlicht:
"Ich habe ein Gehirn dabei, ich hoffe, sie auch", lautet einer der Sprüche vom Comedian und Moderator Dr. Eckhardt von Hirschhausen: Er fordert mehr Humor in der Behandlung.

"Ich habe ein Gehirn dabei, ich hoffe, sie auch", lautet einer der Sprüche vom Comedian und Moderator Dr. Eckhardt von Hirschhausen: Er fordert mehr Humor in der Behandlung.

© Frank Eidel

Ärzte Zeitung: In Ihrem neuen Buch "Wunder wirken Wunder" geht es nicht nur um Medizin, sondern auch um Magie. Was hat Magie im Medizinbetrieb des Jahres 2016 verloren?

Dr. Eckart von Hirschhausen: Mehr als man vielleicht denken möchte. Die Wissenschaft hat die Magie aus der Medizin vertrieben, aber nicht aus uns Menschen. In meinem Buch möchte ich für die vielen psychologischen Aspekte der Heilung sensibilisieren, mit vielen Beispielen von Placebo-Effekten, Schein-Operationen bis zu Vitamintabletten.

In Deutschland geben Menschen rund eine Milliarde Euro aus für Nahrungsergänzungsmittel und Vitamine, die nachweislich keinen Nutzen bringen, sondern vielfach schaden. Warum? Das ist nicht rational, sondern magisch zu verstehen.

Das hat etwas von Ablasshandel, gegen den Martin Luther schon vor 500 Jahren gekämpft hat. Da gibt es Raucher ohne jeden Drang zur Bewegung, die kaufen sich von ihren "Sünden" frei durch "Rauchervitamine".

Wenn wir im Medizinbetrieb diese psychologischen Mechanismen nicht verstehen und einbeziehen, reden wir in weiten Teilen an der Realität der Patienten vorbei.

Was bedeutet für Sie in diesem Zusammenhang Realität?

von Hirschhausen: Auch hier ein Beispiel: Wir haben ganz einfache Mittel, um festzustellen, ob jemand einen erhöhten Blutdruck hat, und wir haben wirksame Medikamente. Doch die Hälfte davon landet im Müll.

Wir müssen uns dringend überlegen, was in der Versorgung quasi auf dem letzten Stück zwischen Verordnen und Einnehmen an Wissen und an Motivation gebraucht wird, damit die Patienten nützliche Arzneimittel tatsächlich auch nehmen.

Wenn wir wollen, dass Heilkräfte aktiviert werden, dann müssen wir viel besser erklären, wofür ein Medikament gut ist, was die Menschen erwarten dürfen und was auch an Nebenwirkungen tolerabel ist.

Ich finde es absurd, dass wir eine tolle Forschung vorweisen können, Leitlinien erarbeiten, Wirksamkeitsstudien rauf und runter machen, aber in der konkreten Versorgung am Ende die Menschen sich selbst überlassen. Das ist eine Verschwendung von Milliarden und von verlorenen Lebensjahren.

Sie füllen auf ihren Tourneen große Hallen, sind im Fernsehen präsent und ein echter Medienstar geworden. Wo sehen Sie in diesem Medizinbetrieb mit seinen wachsenden Widersprüchen Ihre eigene Rolle?

von Hirschhausen: Ich habe meine ersten Schritte in die Öffentlichkeit vor vielen Jahren im Comedybereich gemacht und seitdem eine längere Entwicklung hinter mir. Heute bin ich womöglich Deutschlands bekanntester Arzt und sehe darin eine Chance und auch eine große Verantwortung, als "Hofnarr" und unabhängiger Multiplikator von gesunden Ideen.

Ich bin kein Funktionär, keiner Partei oder keinem Chef verpflichtet, und kann frei sagen, was ich wichtig und wissenswert finde. Das gibt mir die Möglichkeit, auch unbequeme Diskussionen anzuschieben. Zum Beispiel in dem Kapitel "Rettet das Gesundheitswesen, aber nicht dieses!"

Wer meine bisherigen Bücher kennt, wird überrascht sein, auch viele ernsthafte Texte und politische Forderungen zu entdecken, wie wir mit den Defiziten in der Gesundheitsbildung, der ungerechten Verteilung von Lebenserwartung und der Ökonomisierung umgehen sollen.

Als ich Medizin studieren durfte, war das ein Privileg für die besten eines Jahrgangs. Wer nicht so genau wusste, was er werden wollte, machte erstmal BWL. Wer hat heute im Krankenhaus das Sagen? Die Betriebswirte! Da ist doch in den letzten 20 Jahren irgendwas schief gelaufen, oder?

Wie kommt ihre Rolle bei Ärzten an?

von Hirschhausen: Gerade erst habe ich beim Jahreskongress der Deutschen Gesellschaft für Allgemeinmedizin in Frankfurt einen Hauptvortrag gehalten, im November bin ich bei den Neurologen und Psychiatern, ich bin im Beirat der Krebshilfe, der Depressionsstiftung und im Austausch mit vielen Fachgruppen zur Gesundheitsbildung.

Mit meiner Stiftung "Humor hilft heilen" haben wir Forschungsprojekte angeschoben, und ich halte regelmäßig Vorlesungen für die Mediziner der nächsten Generation, sogar ganz offiziell mit einem Lehrauftrag für "Sprache der Medizin".

Ein Hauptmerkmal ihrer Arbeit ist Humor. Sie bringen große Säle zum Lachen. Wie funktioniert das?

von Hirschhausen: Im Grunde genommen geht es doch darum: Die Menschen wissen meist, was sie eigentlich tun sollten, damit es ihnen gut geht und sie gesund bleiben – und sie tun es dann doch nicht. Darüber kann man schimpfen oder man kann darüber lachen.

Ich bin der festen Überzeugung, dass Humor exakt das richtige Transportmittel ist, um auf diese Widersprüche einzugehen und Einsichten und Motivation zu vermitteln.

Ist das auch ein Plädoyer für mehr Humor in der Arztpraxis?

von Hirschhausen: Unbedingt. Aber damit allein ist es ja nicht getan. Im Versorgungsalltag wünsche ich mir viel mehr Wärme, Zuwendung und Empathie. Ich behaupte nicht nur, dass es dann den Patienten besser geht, sondern auch den Ärzten selbst. Für diese Werte sind doch die allermeisten Ärzte irgendwann mal angetreten.

Und wir verschenken einen guten Teil unserer Möglichkeiten, wenn wir dieses Potenzial aus organisatorischen, ökonomischen oder aus ausbildungstechnischen Gründen nicht nutzen. Die Schulmedizin hat viele Menschen offenbar derart vor den Kopf gestoßen, dass sie nicht mehr als Segen, sondern als Bedrohung wahrgenommen wird.

Die Patienten gehen lieber dorthin, wo mehr zugehört, mehr berührt, und mehr versprochen wird – und landen dann in schillernden Gefilden der Alternativmedizin, wo sich alles von seriösen Naturheilkundlern bis hin zu esoterischen Pendlern tummelt.

Ihr neues Buch hat fast 500 Seiten, was ist da zu erwarten?

von Hirschhausen: Es ist eine Wundertüte, und auf jeder Seite gibt es etwas Überraschendes zu entdecken: persönliche Geschichten, Fotos, Zaubertricks und viel zu Lachen, zu Staunen und zum Ausprobieren. Deshalb liest es sich leicht, und die ersten Rückmeldungen sind sehr positiv.

Ich bin den Streit zwischen Schul- und Alternativmedizinern einfach leid, wem bringt das was? Es gibt wirksam und unwirksam, patientenorientiert und paternalistisch. Ich gebe Tipps, wie Menschen gesünder durch ein krankes Gesundheitswesen kommen. Und erinnere Ärzte und andere Gesundheitsberufe daran, sich ihrer Wurzeln zu besinnen, wie das "Humane" in die Humanmedizin zurückkommen kann.

Und die Wunder kommen im Buch nicht zu kurz?

von Hirschhausen: Keineswegs. Jeder kennt doch ungewöhnliche Geschichten, "Spontanremissionen" oder Patienten, die gegen alle Erwartungen überlebten. Ich erzähle von drei "Wundern" die ich selber erlebt habe, und freue mich, wenn die Heilkräfte des Staunens, des Erwartens, des Wunderns wieder zu Ehren kommen.

Dass die Wirkung von guten Geschichten, positiven Erwartungen, Musik, Singen, Tanzen, Berührung und Bewegung nicht genau untersucht und systematisch positiv für die Gesundheit genutzt werden, ist ein großes Versäumnis der akademischen Medizin in den letzten 100 Jahren, die sich sehr auf Technik und Rezeptoren gestürzt hat.

Mehr Magie und mehr Wissenschaft, das passt durchaus zusammen! Wir sollten es wagen, das ist kein Widerspruch.

 

Salsa auf Rezept?

Was ist von ihnen nach diesem Mammut-Werk überhaupt noch zu erwarten?

von Hirschhausen: Mir gehen die Themen nicht aus. Ich war ja für das Buch drei Tage im Altenheim und finde es spannend, wie wir ein positives Bild des älter werdens entwickeln können.

Das ist doch ein Geschenk, dass wir länger leben können, und im besten Fall auch neugierig bleiben, gelassener und zufriedener sind als in jungen Jahren und Dinge weiter geben können. Alle wollen Anti-Aging, aber es wird keine Pille gegen Alzheimer geben, dazu ist das Gehirn viel zu komplex.

Was nachweislich Wunder wirkt, ist regelmässig zu tanzen, soziale Kontakt zu pflegen und sich für andere einzusetzen. Wann gibt es "Salsa" oder "Ehrenamt" oder Humor auf Rezept? Das möchte ich noch erleben!

Mehr zum Thema

Patientinnen verwechselt

Prager Krankenhaus nimmt irrtümlich Abtreibung vor

#NRWEntscheidetSich

Medienkampagne zur Organspende in NRW

Kommentare
Vorteile des Logins

Über unser kostenloses Login erhalten Ärzte und Ärztinnen sowie andere Mitarbeiter der Gesundheitsbranche Zugriff auf mehr Hintergründe, Interviews und Praxis-Tipps.

Haben Sie schon unsere Newsletter abonniert?

Von Diabetologie bis E-Health: Unsere praxisrelevanten Themen-Newsletter.

Das war der Tag: Der tägliche Nachrichtenüberblick mit den neuesten Infos aus Gesundheitspolitik, Medizin, Beruf und Praxis-/Klinikalltag.

Eil-Meldungen: Erhalten Sie die wichtigsten Nachrichten direkt zugestellt!

Newsletter bestellen »

Top-Meldungen
Lesetipps
Führen den BVKJ: Tilo Radau (l.), Hauptgeschäftsführer, und Präsident Michael Hubmann im Berliner Büro des Verbands.

© Marco Urban für die Ärzte Zeitung

Doppel-Interview

BVKJ-Spitze Hubmann und Radau: „Erst einmal die Kinder-AU abschaffen!“

Diakonie-Präsident Rüdiger Schuch.

© Rolf Schulten

Interview

Diakonie-Präsident Schuch: Ohne Pflege zu Hause kollabiert das System