Transgender

Wie Ärzte zum "richtigen" Geschlecht verhelfen

Körperlich so sein, wie sie sich innerlich fühlen – das lang ersehnte Ziel für transidente Menschen. Bei Behandlungsstandards und Versorgungsqualität bei Geschlechtsangleichungen gibt es Verbesserungsbedarf. Was motiviert Ärzte, ein Geschlecht bestmöglich zu ändern?

Von Christina Bauer Veröffentlicht:
Der Weg zum "passenden" Geschlecht ist für Patienten meistens lang und beschwerlich.

Der Weg zum "passenden" Geschlecht ist für Patienten meistens lang und beschwerlich.

© GiZGRAPHICS / Fotolia

"Manche Patienten erfüllen sich in höherem Alter damit einen Traum", sagt Dr. Bernhard Liedl auf dem Weg in den Op. Dort ist Dr. Martina Rieger gerade dabei, einem solchen Traum eine anatomisch korrekte Form zu geben.

Das ist in dem Fall die einer Neovagina. Die Urologin bildet sie aus dem, was bis eben ein Penis war. Die 60-jährige Patientin lebt schon lang als Frau und möchte nun bis in die intimen Details so aussehen. Wenn sie aufwacht, wird sie diesem Ziel um einiges näher sein. Aber bis dahin hat das Ärzteteam noch viel zu tun.

In fünf Stunden zur Neovagina

Etwa fünf Stunden dauert der Eingriff. Urologin, Assistent und die beiden OP-Schwestern arbeiten sich routiniert vor. "Alles entspannt", bestätigt die Anästhesistin. Sie ist mit den Vitalwerten auf ihren Monitoren sehr zufrieden.

Etwa 300 Menschen lassen hier jedes Jahr ihr Geschlecht angleichen. Damit ist die Chirurgische Klinik Bogenhausen deutschlandweit eines der führenden Häuser in diesem Bereich. Aus der von Liedl geleiteten Abteilung für Urologie entstand 2012 ein zusätzliches Schwerpunkt-Zentrum für Urogenital-Chirurgie.

Zuletzt wuchsen Ärzte- und Patientenzahl enorm. Der OP ist einer von vieren, die Liedls Team regelmäßig belegt, bisweilen parallel. Ab Frühjahr kommt ein neuer an der Urologischen Klinik Planegg dazu. Die gehört ebenfalls zur Fachkliniken München AG.

Vor knapp zehn Jahren, als Liedl Chefarzt der Urologischen Abteilung in Bogenhausen wurde, arbeitete er allein. Heute zählt sein Team neun Ober-, Fach- und Assistenzärzte. Rieger war die dritte Fachärztin, die er ausbildete. Wie die dienstälteren Kollegen Dr. Oliver Markovsky und Dr. Leopold Durner blieb sie.

Motivation des Arztes: Das kann man besser machen

Doch was bewegt einen Arzt, Geschlechtsangleichung zu einem Schwerpunkt zu machen? Liedl begründet das so: "Ich fing an, mich mit diesem Gebiet zu befassen, weil ich in den 1980ern Verläufe sah, die fürchterlich waren."

Das könne man besser machen, so sein Fazit. Seine Anfänge machte er am Universitätsklinikum der LMU am Standort Großhadern.

In seiner heutigen Abteilung wird zudem viel anderes operiert, darunter urogenitale Tumoren, Inkontinenz und Impotenz. Er denkt darüber nach, die Tumorbehandlung zu einem weiteren Schwerpunkt zu machen. Für alle Bereiche gilt: die Qualität muss stimmen.

Eine Patientin berichtet

Wie wichtig das ist, davon wissen auch die Patienten zu berichten. Kira zum Beispiel. Anatomisch miserable Ergebnisse, zahlreiche Komplikationen und massive seelische Folgen.

Die bald 40-jährige aus Hamburg hat viel darüber gehört, was alles schiefgehen kann. Einer der Extremfälle war eine Transfrau, die 26 Operationen ertrug. Üblich sind zwei, bei Transmännern vier.

Kira nahm sich vier Jahre Zeit, um sich gut zu informieren. Das empfiehlt sie jedem, der einen solchen Eingriff erwägt. Vor einigen Tagen überstand sie ihre erste Mann-zu-Frau-Operation.

So richtig sitzen kann sie im Stationsbett noch nicht. Aber sie ist schmerzfrei, das freut sie besonders. In einem halben Jahr folgt ein kleinerer Eingriff. Anatomisches Feintuning, sozusagen. Es sind die letzten Schritte auf einem langen Weg, wie bei vielen.

Das Unbehagen über die angeborene Anatomie jedenfalls kannte Kira schon immer. "Ich konnte mit meinem Körper nichts anfangen. Er war für mich im Grunde nicht existent."

Zusammenbruch mit Mitte 30

Dennoch verlief ihr Leben unauffällig. Ausbildung, Job, Heirat, Haus, sie passte sich an. Mit 35 der Zusammenbruch. In einer Psychotherapie betrieb sie "Ursachenforschung", bald folgte ihr Outing. Einfach war die Zeit danach nicht. "Kaum outet man sich, ist die Welt ganz anders", stellt sie fest.

Die Scheidung, eine bis heute enttäuschte Ex-Frau, eine anfangs völlig verständnislose Mutter. Von ihrer Firma, einem großen Medizinproduktehersteller, wo sie über elf Jahre in der Kundenbetreuung arbeitete, wurde sie "rausgeekelt".

Mit der Krankenkasse rang sie um Finanzierung der angestrebten Operationen, ohne Erfolg. Nach einem Wechsel der Kasse ging alles relativ unkompliziert.

Im letzten Jahr ließ sie eine Kehlkopfanpassung machen, vor kurzem eine Brustaugmentation. Die Stimmbänder blieben unberührt. Um feminin zu sprechen, reichte logopädisches Training. Außerdem bekommt sie weibliche Hormone.

Jetzt also der Intimbereich. Den Begriff "geschlechtsangleichende Operation" findet Kira passend. Denn sie war, wie sie sagt, immer eine Frau. "Ich definiere mich über mein Gehirn, nicht über meinen Körper." Der werde dem Kopf im wahrsten Sinn des Wortes angeglichen.

Zimmernachbarin Heike teilt diese Ansicht. Sie hat gerade die zweite und letzte Operation hinter sich. Auch sie lebte lang angepasst. In den 30 Jahren Ehe mit drei Töchtern konnte sie sich als Frau verhalten. Im Beruf, als Versandlager-Exportleiter, gab sie betont den Mann. "Nach außen habe ich den großen Macker markiert".

Mobbing und Burn-Out

Die Diskrepanz belastete sie, mit 48 outete sie sich. Es gab Probleme in der Firma, Mobbing, einen Burn-Out, die Frau ließ sich scheiden. Die Familie möchte keinen Kontakt mehr. Ihre Herkunftsfamilie akzeptiert sie, mit Ausnahme der Mutter, bis heute nicht. Arbeit hat Heike, wie Kira, derzeit keine.

Beide leben aber seit einigen Jahren in Beziehungen, mit Frauen. Die operativen Veränderungen erlebt Heike positiv. "Ich hab das ganze Zeug lang genug mit mir herumgetragen, das reicht", scherzt sie.

Kira und Heike sind sich einig: Bei der Toleranz müsste sich noch einiges tun. Es geht schon los in der Psychotherapie. Beide Transfrauen erlebten dort außer Hilfe auch Diskriminierung, wechselten daher ihre Therapeuten.

Möglicherweise haben es die Jüngeren etwas leichter. Das Thema ist heute bekannter, die gesellschaftliche Toleranz größer. Der 26-jährige Felix jedenfalls berichtet vor allem Positives. Testosteronbedingt kann er das mit maskuliner Stimme tun.

Zuerst lavierte auch er sich durch, als Mädchen. Das Schwerste? "Wirklich anzufangen", sagt er. Den Mut zu fassen, sich zu erklären. Später Entscheidungen zu finden, und Psychotherapeuten. Davon gibt es auf dem Dorf nicht viele. In Köln und Aachen klappte es.

Diagnose: "schwerer Leidensdruck"

Die Therapeuten erstellten zudem Gutachten. Zwei sind gesetzliche Pflicht, erst dann konnte Felix seinen Personenstand ändern. Für eine Operation braucht es mehr. Sie gründet auf der ICD-Diagnose "Transsexualismus", einschließlich eines schweren Leidensdrucks.

Die Indikation kann nur ein spezialisierter, erfahrener Facharzt stellen, etwa ein Psychiater oder Neurologe. Zudem werden eineinhalb Jahre Psychotherapie erwartet, samt "Alltagstest", also Leben nach dem gefühlten Geschlecht. Schließlich Hormontherapie über ein halbes Jahr, mit Östrogen oder, wie in Felix‘ Fall, Testosteron.

Das alles soll helfen – und verhindern, dass leichtfertig operiert wird. Darauf legt auch Liedl großen Wert. "Ein chirurgischer Eingriff ist nur mit dem persönlichen Einverständnis des Patienten und nach gründlicher Beratung sinnvoll."

Schließlich wählt längst nicht jeder letztlich eine Operation. Eltern können das so wenig entscheiden wie Jugendliche, so der Arzt. Das angeratene Mindestalter von 18 Jahren hält er für völlig berechtigt.

"Ich selbst habe auch nicht geglaubt, dass ich das wirklich mache."

Als Felix so alt war, war er unsicher. "Ich selbst habe auch nicht geglaubt, dass ich das wirklich mache." Mit 23 wurde es konkret. Familie und Freunde, zuerst irritiert, akzeptierten ihn bald als Jungen.

Es klappte im Beruf ebenfalls. Felix ist Heilerziehungspfleger an einer Einrichtung für schwerst mehrfach Behinderte. Seine Chefin sagt, er sei jetzt viel aufgeschlossener, das mache seine Fehlzeiten wett.

Davon wird es noch einige geben. Brüste und innere Geschlechtsorgane ist Felix bereits losgeworden, am Florence-Nightingale-Krankenhaus in Düsseldorf. Jetzt lässt er sich in Bogenhausen mit dem ausstatten, wovon sich Kira und Heike unbedingt befreien wollten. Vor drei Wochen war die zweite Operation, morgen darf er nach Hause.

Immerhin ist nun mit der Phalloplastik der schwerste Eingriff vorbei. Er hat Schmerzen, kann den bandagierten Unterarm kaum bewegen. Dessen Haut ist wesentliches "Material" für die männlichen Geschlechtsorgane, abgesehen von Implantaten. In einem Jahr, hofft Felix, ist die Zeit der Klinikaufenthalte vorbei.

Zwei Drittel der Transgender-Patienten in Bogenhausen sind Transmänner. Ihre Operation ist besonders kompliziert, es gibt sie an sechs deutschen Kliniken. Auf Liedls Phalloplastik-Warteliste stehen 100 Patienten. Mann-zu-Frau-Operationen gibt es an fast doppelt so vielen Häusern. Insgesamt lassen sich Transfrauen öfter operieren.

Die Kosten übernehmen, seit einem Urteil des Bundessozialgerichts von 1987, die Kassen. Erste Behandlungsleitlinien gibt es. Die für Erwachsene von 1997 werden gerade überarbeitet. Beteiligt sind unter anderem Ärzte eines interdisziplinären Münchner Qualitätszirkels.

Liedl schaut sich Langzeitverläufe genauer an, erste Auswertungen soll es dieses Jahr geben. Die aktuellen Diagnosebegriffe Transsexualismus (ICD-11) beziehungsweise Geschlechtsdysphorie (DSM-V) indes findet mancher Betroffene nicht passend. Kira und Heike jedenfalls votieren für "Transidentität" oder "Transgender".

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