Philosophie im Weltall

Star Trek und die Ethik der Medizin

Ärztliche Fortbildung sind immer dröge Veranstaltungen? Eine Veranstaltung in Frankfurt ist der medizinethischen Wertewelt von Raumschiff Enterprise auf den Grund gegangen – Und zeigt, was Ärzte aus der Serie lernen können.

Von Pete Smith Veröffentlicht:
Leonard Nimoy in Star Trek – Der Film (USA, 1978).

Leonard Nimoy in Star Trek – Der Film (USA, 1978).

© United Archives / Impress / dpa

Wir schreiben das Jahr 2266. Die USS Enterprise landet auf dem Planeten Alpha-177, dessen geologische Strukturen zu erkunden sind. Aufgrund einer Fehlfunktion im Transporter wird Captain James Tiberius Kirk bei seiner Rückkehr ins Mutterschiff in zwei Wesenshälften gespalten: in ein freundliches, einfühlsames, ruhiges, friedliebendes Individuum und in ein vulgäres, trunksüchtiges, aggressives und gewalttätiges Selbst.

Nachdem der brutale Kirk einen Techniker verprügelt und ein weibliches Crewmitglied zu vergewaltigen versucht, stellt sich den anderen die Frage, ob ihr Captain getötet werden muss – und damit auch der gute Anteil in ihm stirbt – oder ob der friedfertige Kirk lernen kann, seine bösen Seiten zu kontrollieren.

Dass Schiffsarzt McCoy für die lebenserhaltende Variante eintritt, liegt auf der Hand. Als Mediziner fühlt er sich auch im 23. Jahrhundert dem hippokratischen Eid verpflichtet; außerdem ist er eng mit Kirk befreundet. Mr. Spocks Einsatz für den Captain aber mag verwundern.

Schließlich sind dem Halb-Vulkanier Gefühle fremd, leiten lässt er sich allein durch die Logik. Spock allerdings erkennt als einziger, dass auch die vermeintlich negativen Eigenschaften von Wert sind: Ohne Härte, Kälte und Willenskraft könne ein Kommandeur keine Befehle erteilen.

Eine unverwechselbare Person

Tatsächlich werden in einigen Teilen der Star-Trek-Reihe, die 1966 als TV-Serie begann und ab 1979 komplementär im Kino fortgeführt wurde, fundamentale Fragen der medizinischen Ethik erörtert.

Die oben skizzierte, am 6. Oktober 1966 gesendete Folge "The Enemy Within" (deutsche Erstausstrahlung am 22. Juli 1972 ) etwa wurde von dem US-Mediziner und Philosophen Professor H. Tristram Engelhardt, Jr. in seinem Grundlagenwerk "The Foundations of Bioethics" (1986) analysiert.

Was macht den Menschen zu einer unverwechselbaren Person? Darf man Zwang ausüben, um einen Patienten vor sich selbst zu schützen? Seinen Willen missachten zu seinem eigenen Wohl?

"Solche Fragen verlangen auch im klinischen Alltag nach einer differenzierten Antwort", betonte der Theologe und Medizinethiker Dr. Kurt W. Schmidt auf der Fortbildungsveranstaltung "Medizin und Ethik in der Zukunft – 50 Jahre Raumschiff Enterprise" in Frankfurt am Main.

Und weiter: "Letztlich geht es in Science-Fiction-Filmen nicht um die Zukunft, sondern um das Hier und Jetzt: Unsere gegenwärtigen Ängste und Sorgen werden ebenso wie unsere Wünsche und Hoffnungen nur auf die Zukunft projiziert."

Was Psychotherapeuten heuten darüber denken

Wie also gehen wir heute mit den "dunklen Seiten" des Menschen um? "Aktuelle störungsspezifische Ansätze der Psychotherapie – etwa zur Behandlung dissoziativer Identitätsstörungen oder bestimmter Persönlichkeitsstörungen, die man im Film assoziieren kann – fokussieren eher auf Stärkung vorhandener Ressourcen, Aufbau alternativer Verhaltensweisen und Verbesserung der Impulskontrolle als auf einer moralischen Bewertung in ‚gute‘ und ‚böse‘ Anteile und deren Bearbeitung".

Das erläuterte in seinem Vortrag Dr. Peter Wagner, leitender Arzt der Abteilung Gerontopsychiatrie der Klinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik am Agaplesion Markus Krankenhaus in Frankfurt am Main.

"Gleichwohl ist die Bildung eines angemessenen, nicht abwertenden, aber auch nicht überidealisierenden Selbstbildes sowie die Selbstannahme auch aktuell in vielen Fällen ein wichtiges therapeutisches Ziel", sagte er.

Therapeutische Veränderungen

In "The Enemy Within" gelangt Captain Kirk erst durch seinen Verstand und durch Einsichtsfähigkeit in die Lage, die vollzogene Spaltung wieder rückgängig zu machen. "In diesem Punkt berührt der Film eine grundlegende Analogie zur Psychotherapie", so Wagner.

Wager sagt weiter: "Auch hier sind es die kognitiven Prozesse wie Aufnahme und Verarbeitung von Information, die therapeutische Veränderungen vorbereiten und überhaupt ermöglichen."

Ist der Wert des Lebens unteilbar? Oder darf ein Leben geopfert werden, um viele zu retten? Konträre Positionen zu dieser zentralen medizinethischen Frage vertreten Captain Kirk und Commander Spock in den aufeinander Bezug nehmenden Spielfilmen "Der Zorn des Khan" (1982) und "Auf der Suche nach Mr. Spock" (1984).

Im früheren Streifen begibt sich Spock in den verstrahlten Maschinenraum der Enterprise, um den Antrieb zu reparieren und sein Raumschiff dadurch vor der Zerstörung zu bewahren. Seine Rettungstat glückt, doch Spock stirbt.

Zuvor ist es ihm zum Glück noch gelungen, seinen Geist ("Katra)" auf Bordarzt McCoy zu übertragen. Das ermöglicht Spocks Wiederbelebung im nächsten Film.

Steht das Allgemeinwohl über dem des Einzelnen

"Das Wohl von Vielen wiegt schwerer als das Wohl von Wenigen oder von Einem", sagt der Mensch-Vulkanier vor seinem Tod. Kirk wiederum begründet die Rettung seines Offiziers, bei der er das Leben seiner gesamten Crew riskiert, mit den Worten "Weil das Wohl von Einem genauso viel wiegt wie das Wohl von Vielen."

"Spock gibt sich als unbeirrbarer Rationalist und Utilitarist zu erkennen", führte Privatdozent Dr. Johann S. Ach vom Centrum für Bioethik der Universität Münster bei der Fortbildung in Frankfurt aus.

"Für ihn zählen in moralischer Hinsicht ausschließlich die Folgen einer Handlung, und zwar die Folgen in Form von Wohlergehen oder Glück. Sein eigenes Wohl zählt nicht mehr und nicht weniger als das Wohl eines jeden anderen."

Dass Spock sich selbst opfert, befreit seine Kollegen von der Bürde, diese schwere Entscheidung selbst treffen zu müssen.

Kirk, Kant und der Wert des Lebens

Und Kirk? "Man könnte versucht sein, ihm eine an Kant orientierte Denkweise zu unterstellen", so Bioethiker Ach. Dem Königsberger Philosophen zufolge ist der Mensch ein "Zweck an sich", sein Wert lässt sich damit niemals gegen andere Werte aufrechnen.

Wäre Kirk tatsächlich Kantianer, so müsste er Abwägungen jeder Art verurteilen, führte Ach in Frankfurt aus. "Er müsste die Trennung von siamesischen Zwillingen ablehnen, wenn diese nur um den Preis des Sterbens eines Zwillings möglich ist, und er müsste auch die in der Katastrophenmedizin gängige Praxis der Triage-Entscheidungen ablehnen."

Tatsächlich hält der Münsteraner Bioethiker Captain Kirk nicht für einen Anhänger Kants. Und zwar aus zwei Gründen: Zum Einen habe Kirk den Befehl des Oberkommandos der Sternenflotte verweigert, die Zerstörung seines Raumschiffs angeordnet und gelogen – was Kant kategorisch ablehne.

Zum anderen nehme Kirk de facto selbst eine Abwägung vor: "Er rechnet Leben gegen Leben auf, wenn er behauptet, es sei in der konkreten Situation durchaus legitim, die Vielen (das heißt die 400 Mann starke Besatzung) einem tödlichen Risiko auszusetzen, um den Einen zu retten."

Gerade der Umstand, dass ihm zufolge ein Leben so viel wert ist wie jedes andere, macht seine Entscheidung erst möglich. Ach: "Das muss sowohl für den Utilitaristen als auch für den Kantianer nach einer perversen Logik klingen."

Raumschiff Enterprise

Star Trek ist der ursprüngliche Titel der US- Serie. In Deutschland wurde der Titel in "Raumschiff Enterprise" geändert.

Inhalt der Serie: Das Raumschiff Enterprise erkundet nicht erforschte Bereiche des Universums. Seine internationale Besatzung wird mit unbekannten Phänomenen, Lebensformen und Feinden konfrontiert.

Medizinethische Fragestellungen, die die Star-Trek-Autoren bewusst oder unbewusst in der Serie zum Thema gemacht haben, wurden bei einer ärztlichen Fortbildung in Frankfurt besprochen.

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