Charité-Serie

Erfolgsproduktion mit Makeln

Nach der Ausstrahlung der sechs "Charité"-Folgen melden sich Ärzte zu Wort, die Kritik am medizinischen Wahrheitsgehalt der ARD-Erfolgsserie äußern.

Von Anna Gentrup Veröffentlicht:
Wie nah an der Realität war die Charité-Fernsehserie wirklich?

Wie nah an der Realität war die Charité-Fernsehserie wirklich?

© ARD / Nik Konietzny / Montage d… / ARD Das Erste / picture alliance

DÜSSELDORF. Klinikalltag vor historischer Kulisse: Nach der Ausstrahlung der vorerst letzten Folge der ARD-Serie "Charité" haben Mediziner des Universitätsklinikums Düsseldorf aus medizinhistorischer Sicht den Wahrheitsgehalt der sechs Folgen näher beleuchtet, die seit März ausgestrahlt wurden. Ihre Bilanz fällt durchwachsen aus.

Die Folgen spielten in einer Zeit des Umbruchs, weiß Dr. Nils Hansson vom Institut für Geschichte, Theorie und Ethik der Medizin am Universitätsklinikum Düsseldorf. "Wer vor 1900 zum Arzt ging, dem hat es oft mehr geschadet als genutzt", sagte er. Bedeutende Fortschritte in der Chirurgie und Bakteriologie änderten das. "Die Charité ist ein Schaffensort berühmter Ärzte und Wissenschaftler", sagte Hansson bei einer öffentlichen Vorlesung.

Die historische Krankenhaus-Serie von Regisseur Sönke Wortmann spielt im Jahr 1888. An der Berliner Charité wetteiferten berühmte Forscher wie Rudolf Virchow, Ernst von Bergmann und die drei späteren Nobelpreisträger Robert Koch, Emil von Behring und der Chemotherapie-Begründer Paul Ehrlich um bahnbrechende Erfolge in der Medizin. "Gerade um 1900 galten die porträtierten Forscher tatsächlich als wissenschaftliche Superstars, und werden bis heute für ihre Leistungen gewürdigt", erläuterte Hansson.

Mortalität war sehr hoch

Zentrales Thema von "Charité" ist die Heilung von Krankheiten. "Die Diphtherie spielt eine heimliche Hauptrolle, sie kommt in jeder Folge vor", sagt Dr. Anne Oommen-Halbach, Medizinhistorikerin und -Ethikerin, sowie Fachärztin für Kinderheilkunde und Jugendmedizin. "Das ist eine Erkrankung, die wir in Deutschland fast nicht mehr kennen." Um 1900 starb jedes zweite Kind an Diphtherie, jährlich gab es 50.000 Tote. Wie die Serie zeigt, therapierten Mediziner mit antiseptischen Anwendungen, Intubation und Eingriffen wie der Tracheotomie. "Dennoch war die Mortalität mit über 70 Prozent sehr hoch, da es oft massive Komplikationen gab."

Zu kurz gefasst

In der Serie entwickelt der Immunologe Emil von Behring eine Serum-Therapie gegen Diphtherie. Die Forschung findet Oommen-Halbach zu knapp dargestellt. "Es wird suggeriert, er habe nur auf dieses Ziel hin gearbeitet, dabei beschäftigte er sich mit einer Vielzahl von Forschungsfragen." Gelungen sei die Rolle von Behrings als zerrissener Held, morphinsüchtig und gebrochen.

Zentrale Figur des Formats ist die junge Ida Lenze. Sie schleppt sich mit einer Blinddarmentzündung in die Charité, wird mittels einer neuen Methode operiert und überlebt den Eingriff. Fortan arbeitet sie ihre Behandlungskosten ab – möchte aber eigentlich Ärztin werden. "Zwischen den Heroen der Medizin ist die Figur Ida Lenze zwar fiktiv, aber typisch für Frauen in der Medizin", sagte der Medizinhistoriker Dr. Matthis Krischel. Frauen war es verboten, Medizin zu studieren. Zwar gab es Hebammen und Schwestern, doch in der Männerdomäne der akademischen Medizin blieben sie außen vor.

Ida Lenze will nach Zürich, wo Frauen das Medizinstudium erlaubt ist. "Das war damals die beste, vielleicht die einzige Adresse für Frauen", stimmt Krischel zu. In Deutschland wurde das sogenannte "Frauenstudium" 1900 in Baden, Heidelberg und Freiburg erstmals erlaubt. Nach Abschluss des Studiums bekamen Frauen oft nur unbezahlte Stellen als Volontär-Assistentinnen.

Fehlerhafte Details

Dr. Friedrich Moll, Medizinhistoriker und Facharzt der Urologie, hat in der Serie fehlerhafte Details ausgemacht. In einer Szene prangt über einer Pforte der Berliner Charité ein Emblem des österreichischen Adlers statt des preußischen Wappentiers. Untypisch findet er auch den Hörsaal. "Chirurgische Hörsäle sind eher in U-Form angeordnet", sagte er. Auch der Drehort fiel ihm auf. "Die Filmhandlung verdichtet mehrere medizinhistorisch bedeutende Berliner Orte", sagte er.

Drei Handlungsorte wurden verschmolzen: die klassische Charité an der Luisenstraße, die militärärztliche Lehranstalt Pepinière und die chirurgische Klinik an der Ziegelstraße. Die Serie fügt Ereignisse und Personen, die an unterschiedlichen Einrichtungen arbeiteten, zu einem Raum-, Zeit- und Handlungsgefüge zusammen, das die Jahre 1888 bis 1890 umspannt, monierte Moll.

Für die ARD ist das "Charité"-Format ein Erfolg. Rund acht Millionen Zuschauer verfolgten den Serienstart, bei der letzten Folge schauten 6,6 Millionen zu. Eine Fortsetzung der Serie ist geplant.

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