Fritz Kahn: Arzt und Pionier der Infografik

In der Zeit der Weimarer Republik hat der Arzt Fritz Kahn die Wunderwelten des Körpers in einer wegweisenden Technik visualisiert: Sein Werk erschließt sich in einem neu erschienenen Bildband.

Christoph FuhrVon Christoph Fuhr Veröffentlicht:
Cover des neuen Buchs: Der Mensch als Industriepalast - eine der bekanntesten Arbeiten von Fritz Kahn, auch als Wandtafel in Schulen eingesetzt. Uta und Thilo von Debschitz: Fritz Kahn. Taschen, Köln. 392 S., 39,99 Euro

Cover des neuen Buchs: Der Mensch als Industriepalast - eine der bekanntesten Arbeiten von Fritz Kahn, auch als Wandtafel in Schulen eingesetzt. Uta und Thilo von Debschitz: Fritz Kahn. Taschen, Köln. 392 S., 39,99 Euro

© Kahn /Taschen

Wie können Vorgänge im menschlichen Körper so visualisiert werden, dass sie Laien aus allen Gesellschaftsschichten verstehen? Eine Frage, die in der Zeit der Weimarer Republik intensiv diskutiert wurde. Der Arzt Dr. Fritz Kahn, der im vergangenen Jahr 125 Jahre alt geworden wäre, hat wegweisende Antworten gegeben.

Kahn wird 1888 als Sohn eines Arztes in Halle an der Saale geboren, verbringt mit seinen Eltern zunächst einige Jahre in den USA, von dort geht es dann wieder nach Deutschland. Kahn ist Jude, wird humanistisch erzogen, macht 1905 sein Abitur in Berlin und beginnt 1907 ein Studium der Humanmedizin.

Nach dem Examen arbeitet er mehrere Jahre als Chirurg und Geburtshelfer in einer Klinik, ist Sanitätsarzt im ersten Weltkrieg und eröffnet ab 1922 in Berlin eine eigene gynäkologische Praxis. Eine typische Arztkarriere, so scheint es auf den ersten Blick.

Doch der Eindruck täuscht: Denn Kahn veröffentlicht schon vor dem Beginn des Ersten Weltkriegs erste populärwissenschaftliche Artikel. Biologische und physikalische Vorgänge einem breiten Laienpublikum verständlich zu machen - das ist sein Ziel.

Seine kreativen Darstellungen, die viele seiner späteren Bestseller illustrierten, lässt er von Zeichnern erarbeiten, die exakt seine Ideen umsetzen.

In schillernden Worten und voller Begeisterung preist Kahn 1925 die Errungenschaften der modernen Technik: "Sie ließ die Pferde sterben und hat den Postillion in den Chauffeur verwandelt; im ausgetrockneten Tintenfass rostet die Feder und an dem verwaisten Platz des Buchhalters surrt die Comptatormaschine."

Was sich im Kopf abspielt, wenn wir ein Auto sehen und "Auto" sagen.

Was sich im Kopf abspielt, wenn wir ein Auto sehen und "Auto" sagen.

© Kahn / Taschen

Ein Motor mit zwei Zylindern

In dieser Zeit entsteht auch eine seiner bekanntesten Arbeiten: "Der Mensch als Industriepalast" - ein menschlicher Oberkörper ohne Arme und Beine als aufgeschnittenes Torso.

Dr. Fritz Kahn

Fritz Kahn um 1914.

Fritz Kahn um 1914.

© Taschen

1888 in Halle/Saale geboren, 1968 in der Schweiz gestorben.

Chirurg und Geburtshelfer nach Abschluss seiner ärztlichen Ausbildung.

Als Gynäkologe ab 1922 in Berlin niedergelassen, zugleich erfolgreicher Autor.

Anstatt der Organe und des Gewebes sind technische Anlagen und Maschinen zu erkennen. Röhren und Schläuche in unterschiedlichen Größen werden zu Bestandteilen eines verwinkelten Kanalsystems, in dem unterschiedliche Stoffe von einer Verarbeitungsstätte zur anderen transportiert werden.

Hinzu kommt eine mehrstöckige Kontrollzentrale. Das Herz erscheint als Motor mit zwei Zylindern, Magen und Darm werden als Förderbänder dargestellt, an denen Arbeiter stehen, die das Essen aufspalten. Kahns bekanntestes Werk ist später auch als Wandtafel für den Schuleinsatz gedruckt worden.

Auch andere Motive sind bis heute in Erinnerung geblieben. Etwa die Illustration der 300 Millionen Lungenbläschen, die einen 75 Quadratmeter großen Teppich bedecken würden. Oder die markant präsentierte Botschaft, dass der Mensch im Alter von 70 Jahren 1400 Mal sein eigenes Gewicht gegessen hat.

Kahn verlässt Deutschland, als die Hetze der Nazis für ihn unerträglich wird. Nach einer Flucht mit vielen Stationen gelingt ihm mit Hilfe von Albert Einstein die Emigration in die USA.

Der Mann mit der extremen Affinität zu neuen Techniken wäre heutzutage wohl ein echter Computerfreak, aber diese Phase des Informationszeitalters hat er nicht mehr erlebt. Im Alter von 78 Jahren stirbt Kahn 1968 in der Schweiz.

Er hinterlässt ein faszinierendes - zum Zeitpunkt seines Todes aber fast vergessenes Lebenswerk. Zu seinem 125. Geburtstag hat der Taschen Verlag eine Monografie mit mehr als 350 Illustrationen aus seinen Büchern veröffentlicht: Fritz Kahn - ein Arzt, der der Popularisierung von Wissenschaft unendlich viele Impulse gegeben hat.

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