Leitartikel zum BRD-Dopingsumpf

Heucheln verboten!

Die kürzlich veröffentlichte Studie über Doping in Westdeutschland schlägt hohe Wellen - und wirft ein schlechtes Bild auf die Sportmedizin. Aber eine genaue Analyse zeigt: Pauschale Kritik ist unberechtigt.

Christoph FuhrVon Christoph Fuhr Veröffentlicht:
Dopingkontrolle 1979 in Westdeutschland: Wie tief steckten Ärzte im Sumpf?

Dopingkontrolle 1979 in Westdeutschland: Wie tief steckten Ärzte im Sumpf?

© MKA/imago

Die bösen Vertreter der Sportmedizin als Handlanger eines skrupellosen Dopingsystems in Westdeutschland, das ausschließlich auf Leistungsoptimierung setzt und auf die Gesundheit der Athleten pfeift?

Gemach - die Rolle der Sportmedizin im westdeutschen Dopingsumpf, der jetzt in einer Studie der Berliner Humboldt-Universität aufgearbeitet wurde, muss wesentlich differenzierter gesehen werden.

Kompromisslos liest sich in diesem Kontext eine Stellungnahme des Deutschen Sportärztebundes von 1953: "Der DSB steht auf dem Standpunkt, dass jedes Medikament - ob es wirksam ist oder nicht - mit der Absicht der Leistungssteigerung vor Wettkämpfen gegeben als Doping zu betrachten ist."

Die Studie der Humboldt-Uni hat schon im Vorfeld ihrer Veröffentlichung viel Staub aufgewirbelt und rückt einige Fakten klar: "Sportmediziner wurden in der bisherigen historischen Forschung tendenziell einseitig als wichtige Umfeldakteure beim Doping angesehen", heißt es.

Doch sowohl in Deutschland als auch international sind es bis Mitte der 60er Jahre fast ausschließlich Vertreter dieser Fachdisziplin, die sich mit dem Problem der Definition und der Bekämpfung des Dopings beschäftigen.

Die Studie würdigt sie als die zentralen Initiatoren, die "moral entrepreneurs" in der Genese des Anti-Dopings.

Druck durch wachsende Erfolgsorientierung

Mit zunehmendem Engagement der Sportmedizin im Hochleistungssport und einer wachsenden Erfolgsorientierung in diesem System hat sich in der Folge allerdings ein neuer Typus von Sportärzten entwickelt, der sich immer stärker an den funktionalen Erfordernissen des Hochleistungssports orientiert.

Dabei geraten traditionelle sportärztliche Ideale in Konflikt mit leistungssportlichen Zielen. Die Gesundheit der Athleten sei in den Hintergrund gerückt, räumt die Studie ein, "zumindest, was deren Nachhaltigkeit betraf".

Armin Klümper etwa muss sich als Verbandsarzt des Bundes Deutscher Radfahrer 1971 die Frage gefallen lassen, wie er sich erklären könne, "dass Sie mit einem unerhörten Aufwand ... seit Jahren bei Straßenrennfahrern speziell tätig sind, dass aber trotzdem die Fahrer in Belgien, Holland und Frankreich eine Klasse bis zwei Klassen besser radfahren als unsere mit 18, 19 und 20 Jahren?"

Maßgeblich forcieren Sportmediziner im Vorfeld der Olympischen Spiele 1972 die Einrichtung eines zentralen Dopinglabors in Köln. Zugleich zeigt sich allerdings auch, dass etwa das Anabolikadoping unter ärztlicher Kontrolle um die Jahre 1972/73 zunehmend in Praxen umgesetzt wird.

In den folgenden Jahren wird es für viele Sportärzte im Hochleistungssport schwierig, klar Flagge gegen Doping zu zeigen.

Der gesellschaftliche Druck wächst durch die wachsende Bedeutung des Leistungssports - auch vor dem Hintergrund der Konkurrenz zur DDR, die in Sportdisziplinen wie etwa dem Frauen-Schwimmen weltweit Maßstäbe setzt.

Sind moralische Kategorien der richtige Maßstab?

Die Studie der Humboldt-Uni bietet viele Ansatzpunkte für eine differenzierte Betrachtung der Sportmedizin. Ob moralische Kategorien als Bewertungsmaßstab geeignet sind, die Vergangenheit zu erklären, muss allerdings bezweifelt werden.

Hier die guten, redlichen Sportmediziner, dort die schlechten, die sich moralisch verwerflich dem Druck des Systems gebeugt haben? Eine Aufarbeitung der Vergangenheit nach diesem Maßstab bietet Platz für neue Heucheleien und führt in die Sackgasse.

Ohnehin ist die Debatte sehr stark überlagert von einer vermeintlichen späten "Gerechtigkeit" mit Blick auf die Doping-Praktiken in der früheren DDR, die viel früher und schärfer ins Visier geraten sind als die Vergehen im Westen Deutschlands.

Die eigentlichen Herausforderungen der Sportmedizin im Hochleistungssport liegen ohnehin in der Zukunft - und das umso mehr, als dass weltweit einheitliche Standards im Kampf gegen Doping zwar angestrebt werden, bisher aber kaum zu erkennen sind.

Auch in den kommenden Jahren wird es deshalb immer wieder Ratlosigkeit, Wut und Verärgerung bei großen internationalen Wettkämpfen geben, weil Sportler extrem unglaubwürdige Leistungen erbringen, die nur dadurch zu erklären sind, dass bei ihnen offenbar die Verschleierung von Doping reibungslos funktioniert.

Mag der eine oder andere Athlet bei Kontrollen auch auffliegen - Sportler, Trainer, Funktionäre und Sportmediziner werden den Widerspruch aushalten müssen, dass Betrüger auf dem Siegertreppchen stehen, die da eigentlich nichts verloren haben.

Der Kampf gegen Doping muss weltweit forciert werden, dazu gibt es keine Alternative. Doch Doping endgültig zu besiegen, bleibt eine Illusion.

Und genau in diesem Spannungsfeld wird sich die Sportmedizin in Deutschland auch in Zukunft orientieren und weiter entwickeln müssen.

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