HINTERGRUND

Längeres Leben durch moderates Hungern - bei Mäusen funktioniert das, bei Menschen bleibt dies unklar

Von Nicola Siegmund-Schultze Veröffentlicht:

Die Französin Jeanne Calment ist 1997 im Alter von 122 Jahre gestorben - ein bisher ungebrochener Weltrekord beim Lebensalter. Calment ist zugleich Sinnbild für gesundes Altern: Mit hundert Jahren radelte sie durch die Gassen von Arles, bis zum 110. Lebensjahr lebte sie in den eigenen vier Wänden, mit 121 Jahren nahm sie die Platte "Mistress of time" auf, zu deutsch: Herrin über die Zeit. Sie selbst meinte: "Der liebe Gott hat mich vergessen."

Aktuelle Erkenntnisse sollen beim Jungbleiben helfen

Auf göttliche Fügung möchten sich viele Menschen nicht mehr verlassen. Sie wollen mit Hilfe der Medizin und aktueller biologischer Erkenntnisse ihr Leben in Eigenregie verlängern. Und sie wünschen sich auch ihre letzten Lebensphase als "belle epoque", wie Calment sie hatte. Ein Thema für den Kongreß "Medizin im Dritten Jahrtausend" in Heidelberg, den die Hubert-Burda-Stiftung gemeinsam mit dem Land Baden-Württemberg ausgerichtet hatte.

  Viel Körperfett kann offenbar das Altern beschleunigen.

Es gibt viele Theorien über die Mechanismen des Alterns, vom Tod als genetisch festgelegtem Programm bis zum Absterben durch Verschleiß, der durch Gene und Umwelt nur moduliert wird. Eine Theorie ist die Stoffwechselhypothese: Je höher der Energieumsatz pro Gramm Körpergewicht, desto geringer die Lebenserwartung. Denn mit dem Energieverbrauch steigt die Produktion toxischer Stoffwechselzwischenprodukte wie freier Radikale. Sie können die Erbsubstanz und andere Moleküle in der Zelle schädigen.

Kalorienrestriktion plus mäßig körperliche Bewegung ist denn auch eine Form des Lebensstils, die Menschen in den USA bereits anwenden, um ihr Leben zu verlängern. Die wissenschaftliche Basis für diese Strategie liefern Forscher wie Professor Richard Weindruch vom Regional Primate Research Center der University of Wisconsin in Madison. Weindruch studiert den Zusammenhang zwischen Kalorienrestriktion und Altern in Langzeitversuchen mit Nagern und Rhesus-Affen.

Weindruch hat festgestellt: Körperliche Bewegung, Antioxidantien und gesunde Nahrung erhöhen die durchschnittliche Lebenszeit der Tiere, aber nicht deren maximal mögliche Lebensspanne. Die Verlängerung der maximal möglichen Lebenserwartung aber ist ein Indikator für verlangsamtes Altern.

Magere Kost läßt Mäuse 40 Prozent länger leben

Dieses Ziel ließ sich bei den Tierversuchen nur durch knappe Nahrung erreichen: Mäuse eines langlebigen Stamms nehmen von sich aus etwa 120 kcal pro Woche zu sich und sterben nach maximal 35 Monaten, oft an Lymphomen. Erhielten sie 50 kcal pro Woche, lebten sie maximal 50 Monate und bei nur 40 kcal sogar 55 Monate. Die Bedingung dafür: "Die Mäuse in allen Gruppen erhielten mit dem Futter eine ausreichende Menge an Vitaminen und Mineralstoffen", so Weindruch.

Die Tiere in den Gruppen, die kalorienreduzierte Diät bekamen, seien weder unter- noch mangelernährt gewesen. Die meisten seien auch bei ihrem Tod nicht krank gewesen, wie die Untersuchung ergab. "Ihr einziges Problem: Sie waren tot", so der Forscher.

Affen mit kalorienreduzierter Diät bekommen seltener Krebs

Entsprechende Experimente mit Rhesus-Affen laufen seit Ende der achtziger Jahre und damit noch nicht lange genug, um über die maximale Lebenspanne der Tiere, die bei 30 Jahren liegt, etwas aussagen zu können. Aber Weindruch und sein Team haben herausgefunden, daß Affen, denen man die Kost um 30 Prozent des normalen Energiegehaltes gekürzt hatte, seltener Krebs und Stoffwechselstörungen bekamen als Altersgenossen, die sich normal ernährten. Außerdem fanden die Forscher im Muskel weniger intrazelluläre Schäden, wie sie durch Sauerstoffradikale verursacht werden.

Die Tiere auf Magerkost hatten erwartungsgemäß einen geringeren Fettanteil an der Körpermasse (um circa 30 Prozent reduziert). Körperfett kurbele die Produktion bestimmter Hormone und Zytokine an, so Weindruch. Hohe Plasmakonzentrationen an proinflammatorischen Zytokinen wie Tumornekrosefaktor alpha und Interleukin 6 und niedrige Werte löslicher Interleukin-6-Rezeptoren erhöhen beim Menschen das Risiko für Insulinresistenz und Atherosklerose und begünstigen möglicherweise auch die Entwicklung der Alzheimerschen Krankheit. Eine verminderte Produktion solcher Hormone und Zytokine könne auch eine von vielen möglichen Erklärung dafür sein, daß Tiere mit einem verminderten Fettanteil an der Körpermasse länger leben.

"Kalorienrestriktion könnte auch eine vernünftige Strategie sein für Menschen, die gesund alt werden wollen", glaubt Weindruch. Aber keine Anwendung Pi mal Daumen! Zunächst sollte individuell der Grundumsatz berechnet werden, schließlich gebe es beim Energiebedarf große Unterschiede zwischen den Menschen. Von der Energiemenge, mit der sich ein normales Körpergewicht aufrecht erhalten lasse, könnten ohne Risiko zehn Prozent abgezogen werden, mehr nur unter ärztlicher Begleitung. Auch Weindruch arbeitet mit einem Unternehmen zusammen, das entsprechende individuelle Ernährungsprogramme auf Basis genetischer und physiologischer Daten erstellt.

Zuviel Aufwand fürs Jungbleiben könnte der Karriere schaden

Unklar blieb bei der Tagung allerdings, welchen Effekt eine Kombination der Kalorienrestriktion mit anderen Faktoren hat, die jung halten sollen. So eignet sich zum Beispiel Kraft- und Ausdauersport zur Prävention von Osteoporose, kardiovaskulären Erkrankungen und Demenz. Unklar ist auch, ob die hohe Energie, die Menschen für körperliche Fitness und fürs Jungbleiben aufwenden, ihnen nicht für berufliche und soziale Entwicklungen fehlt. Selbst wenn wir 150 Jahre alt werden können, wie einige Forscher glauben - wären wir glücklich?

Vorträge vom Kongreß "Medizin im Dritten Jahrtausend" gibt es unter http://www.future-healthcare.com. Literatur: Manfred Reitz. Prinzip Uhr-Gen, Wie unser Altern programmiert ist. Hirzel Verlag, Stuttgart 2004, 18,- Euro



FAZIT

Noch ist nicht bewiesen, daß bei Menschen klappt, was bei Mäusen gut funktioniert: Bei Nagern kann eine Kalorienreduktion das Lebensalter um bis zu 40 Prozent verlängern. Mehr Hinweise auf einen lebensverlängerenden Effekt von Magerkost bei Menschen könnten Studien mit Primaten liefern, die bereits angelaufen sind. Ein Zwischenergebnis: Affen auf Diät bekommen seltener Krebs und Stoffwechselstörungen als normal ernährte Artgenossen. Daß moderates Hungern gesund sein könnte, darauf deuten auch Beobachtungen, wonach unter Magerkost weniger freie Radikale entstehen.

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