Vitamin E - wenn zuviel des Guten schadet

Der Glaube, mit Vitamin-Supplementierung der Gesundheit etwas Gutes zu tun, ist offenbar in großen Teilen der Bevölkerung unerschütterlich verankert. Am allerwenigsten scheint die wissenschaftliche Beweislage, die keinen Anhaltspunkt für einen präventiven Nutzen etwa von Vitaminpillen bietet, diesen Glauben in Zweifel ziehen zu können. Viele handeln offenbar nach der hoffnungsvollen Devise: "Es schadet nicht, aber nutzt vielleicht" - was die erste Behauptung betrifft, ein möglicherweise gravierender Irrtum.

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Peter Overbeck

Daß freie Radikale keine Herausforderung für den Staatsschutz sind, wissen inzwischen auch viele nicht ständig mit medizinischer Wissenschaft befaßte Mitbürger. Und daß die Bekämpfung dieser vermeintlich zerstörerischen Bösewichter mit Antioxidantien Schutz vor allen möglichen Gebrechen und körperlichem Abbau verspricht, ist als attraktive Theorie auch schon ins allgemeine Bewußtsein vorgedrungen.

Tatsächlich hat diese Theorie eine gewisse Plausibilität. Zum einen gibt es in epidemiologischen Studien gemachte Beobachtungen, wonach eine vitaminreiche Ernährung ebenso wie die Einnahme von Vitamin-Präparaten mit einem niedrigeren Erkrankungsrisiko assoziiert waren. Zum anderen fanden sich in Labors viele Hinweise darauf, daß oxidativer Streß Alterungsprozesse, Karzinomentwicklung und Atherosklerose begünstigt.

Der wahre Test für die Hypothese, daß sich diese Prozesse mit Antioxidantien hemmen oder bremsen lassen, ist die prospektive, randomisierte, kontrollierte Studie. Und davon gibt es inzwischen nicht wenige.

Diese Studien kamen bestenfalls zu dem Ergebnis, daß die Langzeiteinnahme von antioxidativ wirksamen Vitaminpräparaten nicht schadete, kardiovaskuläre oder maligne Erkrankungen aber leider auch nicht verhinderte. Einige Studien aber hatten auch beunruhigende Resultate.

So stellten etwa Forscher in einer vorzeitig gestoppten Untersuchung bei über 18 000 Rauchern und Ex-Rauchern fest, daß ß-Carotin/Vitamin A einen ungünstigen Effekt auf die Inzidenz von Lungenkrebs und Gesamtsterblichkeit hatte. Eine Metaanalyse von 14 Studien zur Prävention gastrointestinaler Karzinome mit ß-Carotin, Vitamin A, C, E und Selen ergab jüngst zwar keinen präventiven Effekt auf Krebserkrankungen, dafür aber eine erhöhte Gesamtmortalität im Vergleich zur Kontrollgruppe.

In der Gesamtschau vorliegender Studien zur Supplementierung von Vitamin E war der Effekt auf die Sterblichkeitsrate neutral. Allerdings blieb die Dosis-Wirkungs-Beziehung dabei unberücksichtigt. Dr. Edgar R. Miller und seine Mitarbeiter vom Johns-Hopkins-Institut in Baltimore, USA, haben deshalb bei ihrer Begutachtung die Wirkung von Vitamin-E-Präparaten auf die Gesamtsterblichkeit erstmals in Abhängigkeit von der Dosierung analysiert. Miller hat die Ergebnisse in New Orleans vorgestellt.

Insgesamt 19 klinische Studien mit 137 967 Teilnehmern gingen in die Analyse ein, darunter elf Studien mit hochdosierter (> 400 IE) Vitamin-E-Gabe. In neun dieser elf Studien war Vitamin E mit einer erhöhten Gesamtmortalität assoziiert.

Die Dosis-Wirkungs-Analyse ergab eine signifikante Beziehung zwischen Vitamin-E-Dosis und Gesamtsterblichkeit, wobei sich ab Dosierungen von etwa 150 IE mit der Dosis auch das Risiko erhöhte. Diese Beziehung bestand auch bei gleichzeitiger Einnahme weiterer Antioxidantien wie etwa Vitamin C. In niedriger Dosis war Vitamin E mit einer nicht signifikant niedrigeren Mortalität assoziiert.

Wie zur Bestätigung dieses Trends zugunsten der niedrigdosierten Vitamin-Supplementierung haben französische Forscher im November Ergebnisse der SU.VI.MAX-Studie publiziert (Arch Intern Med. 2004; 164: 2335-42). Sie haben 13 017 Probanden (7876 Frauen, 5141 Männer) im Schnitt 7,5 Jahre lang mit einem niedrigdosierten Antioxidantien-Cocktail (120 mg Ascorbinsäure, 30 mg Vitamin E, 6 mg ß-Carotin, 100 µg Selen und 20 mg Zink) oder Placebo behandelt.

Beim Blick auf das Gesamtkollektiv der Studie sahen am Ende auch diese Untersucher weder Unterschiede in der Inzidenz kardiovaskulärer oder maligner Erkrankungen noch in der Gesamtmortalität. Eine geschlechtsspezifische Aufschlüsselung der Daten ergab allerdings bei Männern - nicht jedoch bei Frauen - eine protektive Wirkung des Supplements: Männer profitierten von einer signifikanten Reduktion der Inzidenz von Krebserkrankungen.

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