"Das Kindeswohl hat Vorrang vor dem Kinderwunsch"

Die Fortschritte in der Reproduktionsmedizin entfachen eine gesellschafts- und verfassungspolitische Diskussion: um ein Verbot von Leihmutterschaften, wie sie in England, aber auch in Deutschland praktiziert worden sind.

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Ernst Benda, bis 1983 Präsident des Bundesverfassungsgerichts, beschäftigte sich Mitte der 1980er Jahre mit medizinsch-ethischen Fragen - auch mit der Leihmutterschaft.

Ernst Benda, bis 1983 Präsident des Bundesverfassungsgerichts, beschäftigte sich Mitte der 1980er Jahre mit medizinsch-ethischen Fragen - auch mit der Leihmutterschaft.

© dpa

Karlsruhe, im Januar 1985. Eine in Großbritannien bekannt gewordene Leihmutterschaft löst eine Debatte und in der deutschen Ärzteschaft Entsetzen aus.

Dabei ist das Phänomen nicht ganz neu, weil die Fortschritte in der Reproduktionsmedizin und in der Gentechnologie die Politik bereits sensibilisiert haben.

So hatten Justiz- und Forschungsministerium eine interdisziplinäre Arbeitsgruppe von Wissenschaftlern eingesetzt, die sich mit den medizinischen und juristischen Konsequenzen der Gentechnik befassen sollte.

Mit dem Vorsitzenden der Arbeitsgruppe, dem vormaligen Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts Professor Ernst Benda, führte die "Ärzte Zeitung" ein am 14. Januar 1985 publiziertes Interview.

Seine Feststellung zur jenem Zeitpunkt: erstens hat es auch in Deutschland mindestens zwei Fälle von Leihmutterschaften gegeben; zweitens schweigt die Rechtsordnung zu einem solchen Vorgang, er ist also rechtlich nicht verboten.

Die Folge: Erst wenn im Streitfall unter den Vertragspartnern die Gerichte angerufen werden, haben diese eine Möglichkeit zu prüfen, ob ein Leihmutterschaftsvertrag sittenwidrig ist. Und aus der Sittenwidrigkeit folgt Unwirksamkeit.

Leihmutterschaft 1991 verboten

Benda sah es allerdings als einigermaßen unerheblich an, die Sittenwidrigkeit daraus herzuleiten, dass die Leihmutter für ihren Dienst ein Entgelt erhält. "Ich finde, dass dies eine Betrachtungsweise ist, die so tut, als ob die meisten Menschen umsonst arbeiten, was ja nicht zutrifft."

Nicht das "Sittengefühl", also auch nicht die Empörung unter Ärzten über das "Geschäft" mit der Leihmutterschaft sah Benda als ausschlaggebend an, sondern "den verfassungsrechtlich entscheidenden Gesichtspunkt, was mit dem Kind geschieht, das auf diese Weise zur Welt kommt".

Medizin und Psychologie lehrten, dass es nicht gleichgültig ist, ob das Kind im Leibe seiner natürlichen Mutter zur Welt kommt und von dieser auch in der ersten Zeit seines Lebens betreut wird, oder ob es im Leib einer anderen Frau zur Welt kommt, zu der sich allerdings auch eine psychische Beziehung entwickeln kann, die nach der Geburt aber abrupt unterbrochen wird.

Benda: "Ich würde aus dem Gebot zum Schutz der Menschenwürde eine Verpflichtung des Staates folgern, den Vorgang gesetzlich zu regeln, und zwar im Sinne eines generellen Verbots."

Der Gesetzgeber untersagte die Leihmutterschaft im Embryonenschutzgesetz von 1991. Bestraft werden nur Ärzte, die daran mitwirken.

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