Sparen, bis es quietscht - für Ärzte sind Arzneimittel Gift

Das Arzneibudget mit Kollektivhaftung hat die Interessenlage neu sortiert: 1993 ist die Pharma-Industrie zur Bedrohung für die Ärzte geworden. Die Branche ist isoliert.

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In doppelseitigen Anzeigen der "Ärzte Zeitung" werben Unternehmen für Augenmaß beim Sparen an Arzneimitteln.

Köln/Bonn, März/April 1993. Wirtschaft ist zu mindestens 50 Prozent Psychologie. Nur so lässt sich der brachiale Sparkurs der Vertragsärzte in der Arzneimittelversorgung nach Inkrafttreten der Kollektivhaftung für Arzneimittel-Budgetüberschreitungen im Jahr 1993 erklären.

Im Januar 1993 sinkt die Zahl der verordneten Packungen im Vergleich zum Dezember um fast 50 Prozent. Das beruht auf einem starken Vorzieheffekt im Dezember 1992. Aber die Ärzte bleiben auf der Bremse stehen:

Im ersten Quartal 1993 verordnen sie Arzneimittel für 4,7 Milliarden DM. Das Arzneimittelbudget hätte Ausgaben von 6,02 Milliarden DM erlaubt.

Das Budget wird schon im ersten Quartal um 1,25 Milliarden DM unterschritten.

Eine Ursache dafür ist die KBV-Informationspolitik, in der die Wachstumsraten der Vorjahre in die Zukunft extrapoliert werden.

Das verschreckt die Ärzte, weil ihnen eine Budgetüberschreitung von bis zu vier Milliarden DM suggeriert wird.

Die Industrie versucht, die Sorgen mit Werbung zu besänftigen: Mit Slogans wie "Lassen Sie die Kirche im Dorf" oder gar flehentlich "Wir sitzen alle in einem Boot" versucht eine Initiative sieben forschender Unternehmen die Ärzte "Gemeinsam für das höchste Gut" zu gewinnen.

Andere werben direkter: Lederle verspricht Diltiazem "zum GSG-Sparpreis". Vor dem Hintergrund von Budget-Gewitterwolken bietet Tosse Rheumasalbe zum Tiefpreis.

Veramox von Sanofi gibt es zum "Budgetpreis". Stada hilft Ärzten, dem Regress die Rote Karte zu zeigen und senkt die Preise bis zu 32 Prozent.

Das bleibt wirkungslos: Die pharmazeutische Industrie ist für die Ärzte zum Risiko geworden. Das einst enge Verhältnis der Industrie zu Ärztefunktionären ist Misstrauen gewichen. Diese stilisieren die Ärzte zum Opfer von Pharma-Marketing.

Dazu Gerhard Schulte, Leiter der Abteilung Krankenversicherung im Bundesgesundheitsministerium: "Wenn Ärzte wirklich so wären, wie einige Funktionäre sie darstellen, müsste die Arzneitherapie umgehend an die Apotheker delegiert werden." (HL)

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