AMNOG -  das Ende der freien Preisbildung

Mit dem AMNOG hat die schwarz-gelbe Regierung ein Gesetz geschaffen, das ihr keiner zugetraut hätte: Die freie Preisbildung für Arznei-Innovationen wird gekippt. Mit der frühen Nutzenbewertung und Preisverhandlungen wartet viel Arbeit auf Kassen und Unternehmen.

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BERLIN, DEZEMBER 2010: Das Erstaunen über die schwarz-gelbe Regierung und ihr Arzneimittelmarkt-Neuordnungsgesetz (AMNOG) ist bei der Industrie groß.

Im November verabschiedet, tritt das Regelwerk im Januar 2011 in Kraft -  zu dem Zeitpunkt mit unklaren Folgen für die Industrie und deutlich erhöhtem Arbeitspensum für die Aufsichtsbehörden und Selbstverwaltungsgremien.

Das Ziel der Regierung dabei ist klar: den "Preisstand bei innovativen Arzneimitteln in Deutschland zu drücken" - das sagte der Staatssekretär im Bundesgesundheitsministerium, Stefan Kapferer, im Dezember 2010.

Begründung: Ein anhaltender Kostenzuwachs von Arzneimitteln ohne Festbetrag von neun Prozent im Jahr 2009; gleichzeitig seien die Umsätze mit Festbetragsarzneimitteln in der GKV im gleichen Zeitraum um zwei Prozent gesunken.

Die Regierung hofft, durch die Neuordnung der Preisbildung für patentgeschützte Präparate Einsparungen von zwei Milliarden Euro pro Jahr zu erreichen.

Das AMNOG enthält für dieses Vorhaben zwei Komponenten: zum einen bekannte Maßnahmen zur Kostendämpfung mit kurzfristiger Wirkung.

Dazu gehört eine Anhebung des Apothekerrabatts, die Senkung des Großhandelszuschlages sowie an den EU-Markt angepasste Preise für Impfstoffe.

Der zweite Part soll die Preisbildung für patentgeschützte Arzneimittel nachhaltig verändern. Denn künftig werden alle neu auf den Markt kommenden Arzneimittel mit neuen Substanzen einer frühen Nutzenbewertung unterzogen.

Neue Verhandlungsposition für GKV-Spitzenverband

Das Unternehmen muss als Basis für die Bewertung ein Dossier beim Gemeinsamen Bundesausschuss (GBA) einreichen. Abhängig von der Bewertung des IQWiG erhält das Präparat entweder einen Festbetrag, oder Hersteller und GKV-Spitzenverband handeln einen Erstattungsbetrag aus.

Der vom GKV-Spitzenverband ausgehandelte Preis soll auch für die privaten Kassen und die Beihilfe gelten -  die PKV-Unternehmen beteiligen sich an den Verhandlungskosten. Dies ist ebenfalls ein Novum.

Eine Sonderregelung gilt für Orphan Drugs: Bei ihnen unterstellt der Gesetzgeber per se einen Mehrnutzen. Dies gilt allerdings nur dann, wenn der Umsatz mit diesem Präparat pro Jahr nicht über 50 Millionen Euro liegt.

Experten gehen vor in Kraft treten des Gesetzes davon aus, dass vom AMNOG 45 Unternehmen mit voraussichtlich 100 Dossiers pro Jahr betroffen sind. Der Gesetzgeber sieht pro Dossier Kosten von rund 1250 Euro. Dem widerspricht der Verband forschender Pharmaunternehmen: Ein Dossier werde zwischen 50.000 und 200.000 Euro kosten.

Die schwarz-gelbe Regierung hat damit eine Strukturreform geschaffen, die Arzneimittelherstellern und GKV-Spitzenverband vorschreibt, künftig binnen eines Jahres nach Markteinführung einen Erstattungspreis als Rabatt auf den Abgabepreis des pharmazeutischen Unternehmers (ApU) zu vereinbaren.

Erfahrungen unterscheiden sich bei Unternehmen

Dabei gibt es eine wichtige Komponente für Ärzte: Die Beschlüsse sollen auch Vereinbarungen zur zweckmäßigen und wirtschaftlichen Versorgung umfassen und darlegen, inwieweit eine indikationsgerechte Verordnung des betroffenen Medikamentes per se wirtschaftlich ist.

Das AMNOG setzt den GBA unter Zeitdruck: Gleich Anfang 2011 stehen erste Hersteller mit neuen Wirkstoffen vor der Tür und verlangen eine Bewertung. Binnen drei Monaten muss das Ergebnis vorliegen.

Pionierarbeit aufseiten der Pharmaindustrie leistete dabei der Hersteller Astra Zeneca mit dem Blutverdünnungsmedikament Ticagrelor (Brilique®). Nachdem es vom IQWiG einen Zusatznutzen zugesprochen bekam, verhandelten Unternehmen und GKV-Spitzenverband über den Preis, was sich bis Juni 2012 hinzog.

Das Ergebnis: Der Hersteller gewährt 19,4 Prozent Nachlass auf den Listenpreis. Auf diesen Erstattungspreis wird dann kein weiterer gesetzlicher Abschlag mehr fällig. Aus der Preisvereinbarung resultieren Tagestherapiekosten von 2,00 Euro. Der Preis gilt rückwirkend zum 1. Januar 2012 für drei Jahre .

Andere Unternehmen hatten weniger Erfolg: GlaxoSmithKline zog sein Antiepileptikum Retigabin (Trobalt®) Ende Juni 2012 vom Markt, da das Unternehmen befürchtete, dass kein angemessener Erstattungsbeitrag vereinbart werden würde.

Allerdings haben die Techniker Krankenkasse und der AOK-Bundesverband für alle Mitgliedskassen sich dazu bereit erklärt, ihren Versicherten im Bedarfsfall die Kosten zu erstatten.

Auch das Antidiabetikum Linagliptin (Trajenta®) von Boehringer Ingelheim und Lilly, für das der GKV-Spitzenverband einen Preis auf Generika-Niveau angeboten hatte, wurde vom Markt genommen. (bee)

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