Zeitzeugen berichten

Ein Plädoyer für mehr Wettbewerb

Als ehemaliger Politikchef des AOK-Bundesverbandes kennt Franz Knieps die Beharrungskräfte im GKV-System. Als Abteilungsleiter im Bundesgesundheitsministerium in der Ära Schmidt liberalisierte er das Vertragsarztrecht und trat für mehr Wettbewerb ein. Sein Petitum: Das Gesundheitssystem braucht einen Weckruf.

Von Franz Knieps Veröffentlicht:

Franz Knieps

Ein Plädoyer für mehr Wettbewerb

© Wiese Consult GmbH

Aktuelle Position: Franz Knieps, 56, ist Partner in der Politik- und Unternehmensberatung Wiese Consult in Berlin.

Ausbildung: Studium der Rechtswissenschaften in Bonn und Freiburg 1975 bis 1981; 1982 bis 86 Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Arbeitsrecht und Recht der sozialen Sicherheit an der Universität Bonn.

Karriere: 1986 Referent beim AOK-Bundesverband, 1987/88 Abordnung zum Bundesarbeitsministerium, Mitarbeit am Gesundheitsreformgesetz von 1989; seit 1989 Leiter der Stabsstelle Politik des AOK-Bundesverbandes, seit 1998 Geschäftsführer Politik; 1990 Berater der brandenburgischen Gesundheitsministerin Regine Hildebrand; 2003 bis 2009 Leiter der Abteilung gesetzliche Krankenversicherung im Bundesgesundheitsministerium: maßgebliche Mitarbeit an der Gesundheitsreform 2003, am Vertragsarztrechtsänderungsgesetz und am Wettbewerbsstärkungsgesetz.

Trotz der - auch im internationalen Vergleich anerkannten - Leistungsfähigkeit des deutschen Gesundheitswesens sind wir weit davon entfernt, dieses System zielorientiert zu steuern und die Finanzmittel dorthin zu lenken, wo sie dringend benötigt und wirksam eingesetzt werden können.

Jeder kennt viele Beispiele für Über-, Unter- und Fehlversorgung. Strukturell werden dafür vor allem drei zentrale Mängel verantwortlich gemacht: die überholte Trennung der Versicherungssysteme von GKV und PKV mit Honoraranreizen zu Mengenausweitungen, die sektorale Aufsplitterung der Versorgung und die ungenügende Kooperation zwischen Institutionen und Berufen.

Der Gesetzgeber hat in den letzten fünfzehn Jahren vielfältige Möglichkeiten - beispielsweise hausarztzentrierte Versorgung, strukturierte Behandlungsprogramme für chronisch Kranke (DMP), integrierte Versorgung - geschaffen, um Trennendes zu überwinden.

Von diesen Möglichkeiten wurde jedoch nicht in dem erwünschten Maß Gebrauch gemacht. Die Gründe hierfür sind vielfältig. Das Verharren im Status Quo sichert den meisten Beteiligten auskömmliche Einnahmen.

Der Vertragswettbewerb braucht neue Impulse

Viele Institutionen betätigen sich als Blockierer oder Vetospieler. Der Langsamste bestimmt zumeist das Tempo des Geleitzuges. Die ökonomischen Anreize für Innovationen und die Belohnung von Risikobereitschaft sind schwach ausgeprägt.

Die rechtlichen Rahmenbedingungen sind in sich nicht stimmig. Dies gilt insbesondere für das Verhältnis von Kollektivverträgen auf der Ebene der gemeinsamen Selbstverwaltung und Selektivverträgen zwischen Krankenkassen und Leistungserbringern.

Zwar sind viele Ärztinnen und Ärzte, wenige Krankenhäuser und etliche Krankenkassen mit Zustandekommen und Inhalten der Kollektivversorgung unzufrieden, doch mangelt es zumeist an Alternativen, die Inhalte der Versorgung nach eigenen Vorstellungen zu gestalten und die eigenen Angebote entsprechend auszurichten. Hinzu tritt die gegenwärtige Fixierung des Kassenwettbewerbs auf die Vermeidung von Zusatzbeiträgen.

Anstatt dem bisherigen System, das sich immer weniger in der Lage zeigt, eine flächendeckende Sicherstellung zu gewährleisten und ärztliche Honorare transparent zu gestalten und gerecht zu verteilen, weitere Mittel zukommen zu lassen, sollten Kollektiv- und Selektivverträge so weiter entwickelt werden, dass sie unter anderem

  • Umfang und Qualität der Versorgung einschließlich der einbezogenen Versicherten und deren Morbidität spezifizieren,
  • Mittel für besonders förderungsfähige Bereiche - so zum Beispiel Palliativversorgung, geriatrische Versorgung, Telemedizin, Mobilitätskonzepte, Verbünde, Netze und andere Kooperationsformen - erhalten,
  • Vergütungsformen für Teams und berufsübergreifende Kooperationen vorsehen,
  • Vergütungsanteile in Abhängigkeit von der (Ergebnis-) Qualität der Versorgung aufweisen,
  • prinzipiell untereinander bereinigungsfähig sind,
  • Erhebungen zum Stand der Versorgung und Evaluationsauflagen enthalten.

Das Vertragsrecht des Sozialgesetzbuches muss sicherstellen, dass keine Versorgungs-, Organisations- oder Betriebsform diskriminiert wird, wie es heute etwa bei Medizinischen Versorgungszentren der Fall ist.

Die Vertragsärzte sollten selbst entscheiden können, an welchen Versorgungsformen sie teilnehmen wollen und in welcher Organisationsform dies erfolgen soll. Für viele junge Ärzte ist dies nicht mehr die Niederlassung in der Einzelpraxis. Die Zwangsmitgliedschaft in der Kassenärztlichen Vereinigung könnte gelockert werden, ohne die Sicherstellung prinzipiell in Frage zu stellen.

Aufgaben und Funktionen der KVen müssten neu definiert werden. Eine Körperschaft des öffentlichen Rechts kann nicht gleichzeitig beanspruchen, quasi-gesetzliche Normen zu erlassen, deren Einhaltung zu überwachen und noch als Teilnehmer an der Versorgung aufzutreten.

Mut zu Innovationen muss belohnt werden

Selektiv- und Kollektivverträge sollten deshalb wettbewerblich ausgestaltet werden, um Versorgungsprobleme gezielter und schneller zu adressieren sowie Qualität und Effizienz der Versorgung zu steigern.

Insbesondere die ambulante spezialfachärztliche Versorgung und planbare Operationen sollten im ersten Schritt vom Kontrahierungszwang und der feinsteuernden Bedarfsplanung befreit werden.

Generell sollte die Bedarfsplanung über die Grenze der Sektoren hinausgehen und nur noch versorgungsspezifische Vorgaben enthalten. Deren Erfüllung bliebe dann Sache der Vertragsparteien von Kollektiv- und Selektivverträgen.

Diese müssten notfalls über eine durchsetzungsfähige Aufsicht zur Erfüllung der Vorgaben angehalten werden. In unterversorgten oder von Unterversorgung bedrohten Gebieten sollten traditionelle sektorale Begrenzungen und Privilegien entfallen, denn Not kennt kein Gebot.

Wettbewerb wie Kollektivversorgung sind keine Ideologie und kein Selbstzweck. Ihre Ergebnisse müssen sich der wissenschaftlichen Evaluation nach den anerkannten Standards der Versorgungsforschung unterziehen.

Vor allem müssen sie für die Nutzer des Gesundheitssystems transparent und nachvollziehbar werden. Ein wünschenswerter Ausbau des Selektivvertragssystems muss schließlich einhergehen mit der Schaffung eines ordnungspolitisch stringenteren Rahmens für die Gewährleistung einer flächendeckenden Sicherstellung und die Vermeidung von Oligopolen und Risikoselektion.

Wer den Mut zu Nutzen stiftenden Innovationen hat und seinen Beitrag zur Verbesserung der Gesundheitsversorgung leistet, muss adäquat belohnt werden, denn in Gefahr und Not bringt Mittelmaß den Tod (frei nach Friedrich von Logau).

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