Fukushima: Großer Kampf gegen Strahlung und Seuchen

Das Erdbeben und der Tsunami vom 11. März 2011 hat den Nordosten Japans wie nie zuvor in die Mangel genommen. Ärzte und Notfallhelfer spielten bei der Bewältigung der Katastrophe eine zentrake Rolle. Doch auch bei ihnen ging die Angst nach der Havarie des Atommeilers Fukushima Daiichi um.

Matthias WallenfelsVon Matthias Wallenfels Veröffentlicht:
In Tokio demonstrieren besorgte Mütter aus Fukushima für die Evakuierung der Kinder aus der Krisenregion.

In Tokio demonstrieren besorgte Mütter aus Fukushima für die Evakuierung der Kinder aus der Krisenregion.

© AFLO / imago

TOKIO. Freitag, der 11. März 2011, 14.46 Uhr Ortszeit: Das mit einer Stärke von 9,0 gewaltigste Erdbeben, das Japan je erlebt hat, erschüttert den Nordosten des Landes, ein nachfolgender Tsunami überflutet große Teile der Küstengegend und reißt mit seinen teils mehr als 20 Meter hohen Wellen Schiffe und Häuser mit sich.

Die offizielle Opferzahl beläuft sich nach Angaben der Japanischen Botschaft in Berlin auf 15.854 Tote und 3276 Vermisste.

Damit noch nicht genug: Zu der Natur- kommt noch eine Nuklearkatastrophe. Durch die Naturgewalten ist das Atomkraftwerk Fukushima Daiichi massiv beschädigt worden.

Aus dem havarierten Meiler treten radioaktive Stoffe in hohen Konzentrationen aus. "Fukushima" beginnt. Mit weltweiter Anteilnahme und Unterstützung startet ein groß angelegter Kampf zur Verhinderung von Seuchen.

Sie drohen vor allem angesichts der zahlreichen menschlichen Leichen und Tierkadaver in den überfluteten Gebieten. Und auch der Kampf gegen die eine atomaren Katastrophe ungeahnten Ausmaßes und gegen die Bürokratie sowie den Kraftwerksbetreiber Tokyo Electric Power Company (Tepco) beginnt.

Opferversorgung nach Regeln der Katastrophenmedizin

Für Ärzte und andere Rettungskräfte bedeutet die Versorgung der Opfer in den überfluteten Gebieten. Bei frostigen Temperaturen sind sie für mehrere Tage teils komplett von der regulären Stromversorgung abgeschnitten.

In der durch die herumliegenden Trümmer aus Häuserteilen oder Schiffen in manchen Ortschaften ist nahezu die gesamte Infrastruktur zusammengebrochen, eine katastrophenmedizinische Herausforderung.

Gefühle zählen in diesen Tagen auf Seiten der Ärzte nicht. Die stringente Triage nach Schwere und Dringlichkeit in vier Kategorien ist angesagt: schwarz, rot, gelb und grün.

Dabei ist von den Medizinern auch zu berücksichtigen, welche Krankenhäuser überhaupt noch Kapazitäten zur Aufnahme von Patienten haben.

Denn auch Kliniken sind teils unter den Fluten begraben worden. Rund um die Welt gingen zum Beispiel Bilder des Red Cross Hospital, das in der Stadt Ishinomaki in der Präfektur Miyagi im Zuge des Tsunami wie eine Insel umflutet worden war.

Derweil sind auch die Japanischen Selbstverteidigungskräfte (Jieitai) im Einsatz, um Leichen zu bergen und um Notunterkünfte aufzubauen.

Unterdessen ist nicht klar, ob und in welchem Ausmaße eine atomare Wolke von Fukushima Daiichi aus in Richtung Kanto und damit der Hauptstadt Tokio ziehen würde.

Nur eines ist klar: Eine Evakuierung des Ballungsraumes Tokio/Yokohama mit seinen 35 Millionen Einwohnern gilt von Regierungsseite her als unmöglich.

Deshalb wird unter Premierminister Naoto Kan (LDP) die Ausgabe von Jodtabletten angeordnet.

Eine Evakuierung Tokios wäre unmöglich gewesen

Im Gespräch mit der "Ärzte Zeitung" kritisiert damals Dr. Masato Ueki, in Tokio niedergelassener Allgemeinarzt, drei Tage nach Beginn der Katastrophe, dass selbst die Ärzteschaft nicht wisse, ob und wie sie in die Verteilung der Jodtabletten an die Bevölkerung eingebunden sein soll.

Klar wird im Laufe der Zeit hingegen, dass jetzt ganz Japan von der Strahlung betroffen ist. Der Cäsium-Gehalt in Reis, Milch, Rindfleisch, aber auch Meeresfrüchten aus den stark betroffenen nordostjapanischen Präfekturen respektive deren Küstengewässern übersteigt den Grenzwert von 500 Becquerel pro Kilogramm teilweise erheblich.

Da der Vertrieb dieser Waren in andere Regionen Japans nicht sofort von der Regierung unterbunden worden ist, beginnt der Run auf Geigerzähler - bis dato ein Ladenhüter.

Verbraucher werden landesweit misstrauisch gegenüber den Produkten aus der Katastrophenregion, sodass von Sapporo über Tokio und Osaka bis nach Fukuoka Warenhäuser, aber auch Kleinhändler freiwillig und vor den Kunden ihre Ware auf radioaktive Belastung überprüfen.

Die Regierung unter Premierminister Kan gerät nicht nur wegen der verstrahlten Lebensmittel in die Kritik. An Kan entlädt sich auch der Zorn der Bevölkerung, wenn es um das Katastrophenmanagement vor Ort rund um Fukushima Daiichi geht.

Wiederaufbau geht in großen Schritten voran

Angesichts der extrem hohen Strahlung, die aus dem havarierten Meiler entweicht, verfügt Kan nach längerer Diskussion eine 20-Kilometer-Sperrzone rund um das Atomkraftwerk und damit die Evakuierung der Einwohner. Kritiker fordern eine Ausweitung der Zone.

Zugleich bildet sich ein erster großer Widerstand gegen Atomkraft im Lande - bis dato eine Domäne linker Intellektueller, wie des Liteartur-Nobelpreisträgers von 1994, Kenzaburo Oe. Tepco wird von den Protestierenden für seine anhaltend manipulative Informationspolitik angeprangert.

Mit dem Wiederaufbau der Region beginnt Japan sehr schnell. Erste Reaktion: Unter anderem Krankenhäuser und Kindergärten sollen weiter von der Küste weg auf höher gelegene Plateaus gebaut werden.

Auch für den Kardiologen Dr. Thomas Nagano aus Tokio, der mehrmals in die betroffenen Gebiete gefahren ist, um unter anderem Kinder in Kamaishi (Präfektur Iwate) und in Iwaki (Präfektur Fukushima), in denen es einen Vakzin-Engpass gab, gegen Influenza zu impfen, berichtet gegenüber der "Ärzte Zeitung" von den Fortschritten.

"Die größeren Buchten sind schon recht aufgeräumt, aber in den kleineren liegt noch der Schrott rum. Man sieht, dass hier die Regierung eine Rangordnung hat.". sagte er.

Japan auf der Suche nach Touristen

"Japan. Endless Discovery." Unter diesem Motto präsentiert sich Japan derzeit auf der Internationalen Tourismus-Börse (ITB) in Berlin. Das Ziel: Es sollen wieder mehr Touristen - vor allem aus westlichen Ländern - für einen Trip nach Nippon begeistert werden. Denn im Nachgang zur Dreifach-Katastrophe von Fukushima ist der Besucherstrom laut Japan National Tourism Organization (JNTO) mit 6,2 Millionen Touristen im Vergleich zu 2010 um 27,8 Prozent eingebrochen. Aus Deutschland reisten nur 80 800 Touristen an - ein Rückgang um 35,1 Prozent. Für Januar 2012 war im Vergleich zum Vorjahresmonat nur noch ein globales Besucherdefizit von 4,1 Prozent zu verzeichnen.

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