HINTERGRUND

Forscher zeichnen düstere Szenarien durch Klimaerwärmung

Von Ursula Armstrong Veröffentlicht:
Dürre - ein Grad mehr im Temperaturmittel, und in Südafrika sinkt die Regenmenge stark.

Dürre - ein Grad mehr im Temperaturmittel, und in Südafrika sinkt die Regenmenge stark.

© Foto: S. Silverwood@fotolia.de

Hungerkatastrophen in Afrika und Südostasien, Tropenkrankheiten in Europa und weltweit mehr HIV-Kranke - Experten prophezeien schwerwiegende gesundheitliche Folgen aufgrund der globalen Erwärmung. Wie sich diese auswirken, wenn die Durchschnittstemperaturen nur um ein paar Grad ansteigen, haben nun Forschergruppen anhand mathematischer Modelle berechnet.

So werden sich bis zum Jahr 2030 zwei "Hunger-Hotspots" bilden: in Südafrika und in Südasien. Das ist das Ergebnis einer Modellrechnung von Wissenschaftlern um Dr. David Lobell von der Stanford University (Science 319, 2008, 607). Durch einen prognostizierten Temperaturanstieg um durchschnittlich nur ein Grad werden die Niederschlagsmengen in diesen Regionen stark abnehmen. Dadurch werden die Ernteerträge immer weniger werden.

Wasserknappheit droht auch Industriestaaten

Doch auch Industriestaaten werden nicht verschont werden: Den westlichen Staaten der USA etwa droht in den nächsten Jahrzehnten eine extreme Wasserknappheit, haben Tim Barnett und seine Kollegen vom Scripps Institute for Oceanography in La Jolla in Kalifornien errechnet. Zu etwa 60 Prozent lasse sich diese Entwicklung durch die von Menschen verursachte Erwärmung erklären, teilt das Institut mit. Wasserknappheit wird nach ihren Analysen auch anderen Regionen bevorstehen, etwa dem Mittelmeerraum.

Schrumpfende Trinkwasser-Ressourcen, anhaltende Dürren - dies hat vor allem in unterentwickelten Ländern drastische Auswirkungen. Missernten werden dazu führen, dass die Landbevölkerung dieser Länder immer ärmer wird. Der australische Epidemiologe Professor Anthony J. McMichael befürchtet in einem aktuellen Bericht im British Medical Journal (336, 2008, 191), dass Missernten in Afrika zu einer vermehrten Landflucht führen und es damit vermehrt zu HIV-Infektionen kommt. Denn in den Städten sei das Infektionsrisiko höher, so der Epidemiologe.

Unterernährte Menschen sind außerdem besonders infektionsanfällig - auch für andere Erreger. In Afrika südlich der Sahara leben schon jetzt 110 Millionen Menschen in Malaria-Endemiegebieten. Bis zum Jahr 2080 könnten 20 bis 70 Millionen hinzukommen, vermutet McMichael. Der Marburger Tropenmediziner Dr. Fritz Holst geht davon aus, dass in zehn Jahren 60 Prozent der Weltbevölkerung in Malaria-Gebieten leben. Zur Zeit sind es 45 Prozent.

Tropenkrankheiten breiten sich schon jetzt weiter aus

Schon jetzt breite sich die Tropenkrankheit in Afrika weiter aus, sagte Holst auf dem 5. Marburger Tag der Reise- und Tropenmedizin. So tritt Malaria in immer mehr afrikanischen Städten auf, die bisher als malariafrei galten. Auch Gebirge sind nicht mehr frei von Malaria: Bis 2800 Metern Höhe kommt Malaria inzwischen vor. "Die weißen Stellen auf den Malaria-Karten werden kleiner", sagte Holst.

Heißere Sommer könnten sogar dazu führen, dass es zu autochthoner Malaria in Europa und den USA kommt. Denn Anophelesmücken, die die Erreger übertragen, sind weltweit verbreitet. "Allerdings werden es immer nur zwei, drei Fälle sein." Größere Malaria-Ausbrüche in Europa stehen seiner Meinung nach nicht bevor.

Dafür könnten sich aber andere Infektionen, die es bisher nur in den tropischen und subtropischen Regionen gibt, in Europa ausbreiten. Kandidaten sind zum Beispiel das West-Nil-Fieber oder Chikungunya. Deren Überträger, die Tigermücke, ist inzwischen im südlichen Europa heimisch. Im vergangenen Jahr hat es bereits eine lokale Chikungunya-Epidemie in Norditalien gegeben: Über 100 Menschen erkrankten (wir berichteten).

Wenn die Nächte in Deutschland wärmer werden, hat das auch andere Auswirkungen: Zecken werden das ganze Jahr über aktiv sein. Das Wirtsverhalten der Zecken habe sich sogar schon verändert, so Professor Jochen Süss vom Friedrich-Loeffler-Institut. Inzwischen wurden bereits von Oktober bis März, also während der Winterruhe, sowohl Nymphen als auch aktiv adulte Zecken gefunden. "Es ist auch in dieser Zeit möglich, dass sich Menschen über Zecken infizieren", sagte Süss.

Am Thema Klimawandel und den Auswirkungen kommt inzwischen niemand mehr vorbei. Auch Ärzte seien aufgerufen, sich mit den Konsequenzen auseinanderzusetzen und öffentlich für einen klimafreundlichen Lebensstil einzutreten, plädiert der Londoner Epidemiologe Professor Ian Roberts (BMJ 336, 2008, 165).

Es ist jedoch leichter gesagt als getan, wenn Roberts fordert, dass Ärzte einen solchen Lebensstil vorleben sollten, etwa indem sie eher zu Fuß gehen oder radeln, als mit dem Auto zu fahren. Ein gewichtiges Argument nennt der Wissenschaftler allerdings dafür: Mehr körperliche Bewegung - das ist nicht nur gut fürs Klima, sondern reduziert auch das Risiko für Adipositas, Diabetes, Herzkrankheiten und Krebs.

Kommentare
Vorteile des Logins

Über unser kostenloses Login erhalten Ärzte und Ärztinnen sowie andere Mitarbeiter der Gesundheitsbranche Zugriff auf mehr Hintergründe, Interviews und Praxis-Tipps.

Haben Sie schon unsere Newsletter abonniert?

Von Diabetologie bis E-Health: Unsere praxisrelevanten Themen-Newsletter.

Das war der Tag: Der tägliche Nachrichtenüberblick mit den neuesten Infos aus Gesundheitspolitik, Medizin, Beruf und Praxis-/Klinikalltag.

Eil-Meldungen: Erhalten Sie die wichtigsten Nachrichten direkt zugestellt!

Newsletter bestellen »

Top-Meldungen
Lesetipps
Wo lang im Gesundheitswesen? Der SVR Gesundheit und Pflege empfiehlt mehr Richtungspfeile für alle Akteure.

© StefanieBaum / stock.adobe.com

Sachverständigenrat Gesundheit und Pflege

Gesundheitsweise empfehlen Primärversorgung für alle – und Quotierung der Weiterbildung

„Wenn die Politik Wissenschaftlern sagen würde, wir wollen dieses oder jenes Ergebnis, ist das Propaganda.“ Klaus Überla – hier im Treppenhaus seines Instituts – über Einmischungen aus der Politik.

© Patty Varasano für die Ärzte Zeitung

Interview

STIKO-Chef Überla: RSV-Empfehlung kommt wohl bis Sommer

Dr. Iris Dötsch Fachärztin für Innere Medizin, Diabetologin und Ernährungsmedizinerin hat die Hauptstadtdiabetologinnen, eines neues Netzwerk für Frauen in der Diabetologie, gegründet.

© snyGGG / stock.adobe.com

Hauptstadtdiabetologinnen

Ein Netzwerk für Diabetologinnen