Indien - Land der Widersprüche

Indien ist ein faszinierendes Reiseland mit vielen Gegensätzen, ein Land mit liebenswerten Menschen und extremen Widersprüchen.

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IIncredible India, unglaubliches Indien, Erlebnisland Indien, preist das Fremdenverkehrsamt den indischen Subkontinent. Fürwahr. Delhi, mit elf Millionen Einwohnern Hauptstadt der Republik Indien und erste Station einer Pauschalreise in den Norden des Landes, sprüht vor Leben, quillt über, offenkundig für jeden Besucher - bis in die Intimsphäre. Man "lebt" auf der Straße, alles findet dort statt, Kochen, Essen, Schlafen, die tägliche Körperpflege. Entsprechend mischen sich Gerüche und Düfte in der benzingeschwängerten feuchtheißen Luft. Vom Eselskarren über die Vespa und den Eiskarren bis zum Mercedes wuselt sich in für uns Europäer unüberschaubarer Hektik und mit stetem Gehupe der Verkehr durch die Straßen. Dazwischen wienern Kinder im Spielalter das Schuhzeug derjenigen, die nicht die Einheitslatschen für zehn Rupien tragen müssen.

Gern zeigen die Gästeführer Neu-Delhi, das ausgestorbene Diplomaten- und Regierungsviertel mit breiten, blumengesäumten Alleen. Gähnende Langeweile überkommt den Betrachter. Er spürt: das ist nur Fassade, Schau. Einzig wirklich ist Old Delhi, die gewachsene Stadt, nicht die konstruierte. Selbst die Sehenswürdigkeiten wie Marmorpaläste, Moscheen und Mausoleen verblassen vor dem gelebten Leben in Alt-Delhi. Die Menschen geben sich heiter, gelassen, ja, sie strahlen zuweilen eine Freude aus, als seien sie auserwählt, wenn wir sie fotografieren (dürfen). Ein Alptraum und ein Traum zugleich. Denn als letzteren empfinden wir die heute als Hotels genutzten früheren Maharadscha-Paläste.

Wir fühlen uns sehr wohl in den Suiten, in denen mindestens hundert Inder Platz fänden, in denen wir aber das Vorrecht genießen, sie allein oder zu zweit zu bewohnen. Springbrunnen im Wohntrakt, wo gibt es das anderswo? Wir möchten und können die Annehmlichkeiten eines gekühlten Raums mit Eisschrank, prallem Früchtekorb und heißer Dusche nicht missen, auch wenn Ausgüsse und Abflüsse durch Mottenkugeln abgedeckt sind, sein müssen, sogar in den obersten Stockwerken.

Der mit wachen Augen in Indien unterwegs ist, dem wird schnell klar: die Mehrheit der indischen Bevölkerung muss sich ihren Lebensunterhalt sauer verdienen. Wer als Kuli die mit vier Personen beladene Rikscha ziehen oder sich mit einer Fahrradrikscha abstrampeln muss, der darf sich glücklich schätzen, wenn er sich einmal ausstrecken kann - auf der Erde, auf einer unter freiem Himmel aufgestellten Lagerstatt oder in seinem Gefährt, das oft auch sein Zuhause ist.

Ob in Agra, der bedeutenden Stadt der Mogul-Kaiser, von denen ein gewisser Shah Jahan seiner Lieblingsfrau - sie starb mit 38 Jahren bei der Geburt des 14. Kindes - 1643 das wahrlich sehenswerte Grabmal Taj Mahal erschaffen ließ, ob in Jaipur, der rosaroten Stadt mit dem verwunschenen pinkfarbenen "Palast der Winde" und Metropole des Bundesstaats Rajasthan, die mit einem leibhaftigen Maharadscha aufwarten kann, der einen Teil seines Besitzes als Museum zugänglich gemacht hat - wir wandeln zwischen Sinnenrausch und Sinnestäuschung.

Zum Beispiel, wenn Frauen uns die Füße küssen, um ein Bakschisch zu erheischen. Oder wenn der Verkehr plötzlich stockt, weil eine der unzähligen heiligen Kühe die Fahrbahn für sich beansprucht und seelenruhig ein Papier zermalmt. Wenn die Geier zu Hunderten herabstoßen auf ein verendetes Kamel. Oder wenn sich die aus Kuhfladen zusammengeklebten exotischen Bienenkörbe oder Hundehütten als Wohnstätten entpuppen. Die Realität dieses Landes voller Widersprüche kann grausam sein - etwa wenn auf dem "Highway" zwischen Delhi, Agra und Jaipur, dem Goldenen Dreieck, immer wieder Trucks und Busse ineinander verkeilt sind und man ahnt, dass in diesem riesigen Land oft jede Hilfe zu spät kommt.

Und wieder ein Szenenwechsel: betörendes Trommeln, mysteriöses Leuchter- und Kerzenschwenken hinter wie von Geisterhand aufgezogenem Samtvorhang, rhythmisches Hämmern auf Metall, ein Klöppel schlägt an, zum wievielten Male? Eine Tempelzeremonie: Es gellt in unseren Ohren, bis der Priester - uns alle erlösend - den roten Punkt auf die Stirn der Gläubigen drückt. Ein Spuk nur? Show? Ein Ausdruck tiefster Religiosität? Incredible, unglaublich, ein Erlebnisland, das Erlebnisland Indien.

Elke Backert

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