Ärztin ohne Grenzen

"Man schafft viel"

Anja Junker ist "Ärztin ohne Grenzen": Vier Einsätze in Afrika und Südamerika hat die 43-Jährige für die Organisation absolviert. Manche Projekte brachten die Pädiaterin dabei an die Grenze der Erschöpfung.

Julia FrischVon Julia Frisch Veröffentlicht:
Ein Neugeborenes auf Station: Anja Junker im afrikanischen Klinikalltag.

Ein Neugeborenes auf Station: Anja Junker im afrikanischen Klinikalltag.

© MSF

BERLIN. Viele Eltern aus dem nordwestlichen Teil Berlins werden nicht schlecht gestaunt haben, als sie jüngst "ihre" Kinderärztin im Fernsehen sahen. Für die Doku-Reihe "20-40-60" hatte das ZDF zwei Jahre lang das Leben von Frauen und Männern aus der Altersgruppe der 20-, 40- und 60-Jährigen begleitet. Und unter den Porträtierten war eben auch Anja Junker, die Teilzeit in einer kinderärztlichen Gemeinschaftspraxis in Tegel arbeitet. Das Kamerateam begleitete sie unter anderem zu ihrem zweiten Einsatz für Ärzte ohne Grenzen in der Demokratischen Republik Kongo.

"Als Kind habe ich eine Fernsehsendung über Ärzte ohne Grenzen gesehen, das fand ich damals schon toll und beeindruckend, was die machen", erzählt die in Freiburg aufgewachsene Ärztin. Es reifte der Entschluss: "Wenn ich Ärztin werde, dann will ich mit denen weg."

Kündigung der sicheren Klinikstelle

Nach der Facharztprüfung wagte sie dann den Schritt. Sie bewarb sich bei Médecins Sans Frontières (MSF), wurde in den Mitarbeiter-Pool aufgenommen und kündigte Ende April 2008 ihre Arztstelle in einer Esslinger Klinik. Das Angebot ihres Chefs, sich für ein Jahr freistellen zu lassen, schlug sie aus: "Ich wusste nicht, ob ich nach dem Einsatz in mein altes Leben zurück will."

Im Sommer 2008 flog die damals 32-Jährige zu ihrem ersten Einsatz nach Kolumbien. Dort im Nordwesten im Departement Choco, mitten im Dschungel und im Gebiet der Rebellengruppe FARC, hatte Anja Junker die Aufgabe, sich um eine ambulante Gesundheitsklinik für Sexualmedizin zu kümmern und darüber hinaus auch mobile Einsätze in den Urwald hinein zu unterstützen.

"Sexuelle Gewalt ist ein Riesenproblem dort", sagt Junker. Viele Kinder leiden an Lungenentzündung und Tuberkulose, HIV/Aids verbreitet sich zunehmend. "Wir haben versucht, die Patienten an das nationale Gesundheitssystem anzubinden", erzählt Junker. Eineinhalb Jahre arbeitete sie in Kolumbien, ehe sie im Januar 2010 zurückkam nach Deutschland.

Schon ein halbes Jahr später packte die Kinderärztin erneut ihre Koffer: Diesmal ging es für neun Monate in die Demokratische Republik Kongo, an die Grenze zu Ruanda und Burundi, wo Menschen in riesengroßen Flüchtlingscamps leben und die Lage alles andere als sicher bezeichnet werden kann. "Da war mir vor dem Abflug schon mulmig."

Zusammen mit bis zu sieben internationalen und kongolesischen Kollegen arbeitete sie in einer Klinik. Das Team kümmerte sich unter anderem um Erwachsene mit Schuss- oder Machetenverletzungen, um Kinder mit Mangelernährung, Malaria, Durchfall und Lungenentzündung. Die hohe Kindersterblichkeit machte Anja Junker zu schaffen. "Es gab viel Leid, Sterben und Tod. Es gab Tage, da konnte ich nicht mehr auf die Intensivstation gehen." Sechs Tage die Woche, oft 12 bis 14 Stunden arbeitete Anja Junker in der Klinik, "ich kam ziemlich kaputt nach Hause".

Für ihre kongolesischen Kollegen ist Junker voller Bewunderung. "Sie sind wirklich gut ausgebildet und totale Allrounder." Aber auch deren Stärke hat die deutsche Ärztin beeindruckt: "Das Leid und das Sterben gehört zu ihrem täglichen Leben. Viele kommen aus den größeren Städten, wo sie für kongolesische Verhältnisse ein privilegiertes Leben leben, und trotzdem gehen sie in die ländlichen Gebiete, um zu helfen. Ich habe dagegen den Luxus, dass ich in ein paar Monaten wieder in mein Leben in Deutschland zurückkehren kann."

Trotz allem Leid gab es freilich auch viele "schöne Erlebnisse, die einen weiterbringen", sagt Anja Junker und erzählt von einer Frau, die trotz neun Schwangerschaften immer noch kinderlos war. Keines ihrer Kinder hatte lebend die Welt erblickt. "Bei ihrer zehnten Schwangerschaft war in der 30. Woche klar, dass wir das Baby früher auf die Welt holen müssen, die Frau sträubte sich aber dagegen." Mit Mühe gelang es den Ärzten und Pflegern, die Frau zu überzeugen – das Kind kam schließlich lebend zur Welt. "Die Frau wurde mehrfach vergewaltigt und musste mehrfach fliehen. Sie hatte endlich auch mal ein bisschen Glück verdient", lächelt Anja Junker.

"Sinnvolle Arbeit im Team"

Zu den schönen Erlebnissen zählt die Ärztin auch die psychosoziale Unterstützung, die sie gemeinsam mit einer Kollegin aus den USA bei einem Einsatz im Kongo aufbaute. Dafür wurden örtliche Mitarbeiter geschult.

"Man kann viel schaffen und aufbauen in kurzer Zeit. Man macht was Sinnvolles, arbeitet in einem internationalen und interdisziplinären Team, lernt viel Neues kennen, auch Organisation und Verwaltung, und arbeitet nicht nur seinen Bereich ab", lautet das Fazit von Anja Junker nach inzwischen vier Einsätzen, zuletzt für vier Monate im Tschad und 2015 für sieben Wochen noch einmal im Kongo.

Seit 2014 ist die Kinderärztin ehrenamtlich im Vorstand der deutschen MSF-Sektion tätig. Derzeit läuft ihre Prüfungsphase für den Abschluss "Master of International Health". "Weil ich für das Studium so viel freie Zeit gebraucht habe, werde ich dieses Jahr sicher keinen Einsatz für Ärzte ohne Grenzen machen. Aber 2018 würde ich gerne wieder gehen."

Wohin sie MSF dann schicken könnte, darauf hat die 43-Jährige nur begrenzt Einfluss. "Anfangs musste ich meinen Eltern versprechen, nicht nach Somalia oder in den Irak zu gehen. Aber ich habe mich für diese Arbeit entschieden. Und wenn ich dann helfen kann zum Beispiel in Afghanistan, dann gehe ich dorthin."

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