Die "goldenen" Schulmauern am Ammersee

Am Ufer des Ammersees ist ein Gymnasium mit Seeblick entstanden. Für eine staatliche Schule ist die Lage ausgesprochen ungewöhnlich.

Von Michael Brehme Veröffentlicht:
Ein Aquarium auf dem Gang, den See vor der Tür: Im Ammerseegymnasium in Dießen lässt sich´s aushalten.

Ein Aquarium auf dem Gang, den See vor der Tür: Im Ammerseegymnasium in Dießen lässt sich´s aushalten.

© Hase / dpa

DIESSEN AM AMMERSEE. Der gewaltige Balkon des Gymnasiums gleicht einer Veranda, und wenn Klaus Rechenberger die Augen gezielt fixiert, dann sieht er sogar die Umrisse der Villen auf der anderen Seite des Ammersees.

Die Schule und die einige hundert Meter entfernten Häuser haben eines gemeinsam: Sie liegen in exponierter, luxuriöser Lage und erlauben 365 Tage im Jahr außergewöhnliche Aussichten. Nur, dass sich die einen ihren Prunk teuer erkauft haben, während er den anderen vom Staat für knapp 21,5 Millionen Euro hingestellt worden ist.

Klaus Rechenberger ist Schulleiter des Ammersee-Gymnasiums in der oberbayerischen Gemeinde Dießen. Im Sommer ist er jeden Tag beim Mittagessen hier oben, stellt sich und seinen Kollegen Stühle und Tische hin, genießt die Aussicht.

Wer im knapp 10.000 Einwohner großen Dießen direkt am Ammersee wohnt, eine gute Autostunde südwestlich von München, der hat oft genügend Geld.

Der Flur in der Schule erinnert an einen Bootssteg

Viele sagen längst, die Gemeinden um den Ammersee wandelten sich immer mehr zum zweiten Starnberg, wo sich schon seit Jahrzehnten Prominente und Wohlhabende ihre Residenzen geschaffen haben.

Die Ufer des Starnberger Sees aber sind inzwischen fast komplett zugebaut - an den Ausläufern des Ammersees dagegen ist noch reichlich Platz. "Der Landkreis Landsberg am Lech expandiert. Der Zuzug aus München ist groß", sagt Klaus Rechenberger.

Entsprechend groß war auch der Bedarf nach einem neuen Gymnasium in der Umgebung, über dessen Bau nach jahrelangen Debatten 2002 entschieden wurde.

Zum Schuljahr 2006/07 stand die Prachtschule: Wo früher nur grüne Wiese war und Kühe grasten, steht seit knapp vier Jahren an der Dießener Ortseinfahrt das futuristische weiße Gebäude. Es galt als anspruchsvolle Aufgabe, ein neues Gymnasium für knapp 800 Schüler an einer Stelle hochzuziehen, wo bis dato reine Natur war.

Der Flur des staatlichen Gymnasiums ähnelt einem Bootssteg, der den Parkplatz im Osten mit der Regionalbahn-Station im Westen am Ufer verbindet. Wie Schiffe am Steg liegen die Gebäudekomplexe mit allen Klassenzimmern und Fachräumen rechts und links des langen Flures.

Die Schule verfügt neben der Aussicht über diverse Extras: Rasensportplatz, Laufbahn, Allwetterplatz mit Basketballkörben und Fußballtoren, Sporthalle, Mensa mit eigener Küche, Schulimkerei, genügend Pkw- Parkplätze, sogar eine eigene Regionalbahn-Station gehört dazu.

Alles an einem Ort, alles direkt am See, wo soziale Probleme fast fremd sind. Das hier ist keine Brennpunktschule wie so manche in der Großstadt - der Ausländeranteil am Gymnasium liegt bei nur etwa einem Prozent.

Der damalige bayerische Wissenschaftsminister Thomas Goppel (CSU) hatte die Schule schon 2005, vor der Fertigstellung, als schönstes Gymnasium im Freistaat bezeichnet. Aber selbst der Glanz bekommt ein paar Flecken.

An den Außenseiten nagt vier Jahre nach dem Bau schon ein wenig der Zahn der Zeit, kleine Risse haben sich gebildet, Schmutz und Schlamm an einigen Stellen sogar festgefressen. "Gebäude altern, das kann man nicht ändern. Vielleicht war der Architekt ein bisschen kühn, die Fassade komplett weiß zu halten", meint Rechenberger.

Bisher verzichtete man am Ammersee-Gymnasium auf größere Reinigungsaktionen - bis auf einmal, im Frühjahr 2008, als Unbekannte die Wände beschmierten und im Ort eine Generaldiskussion über die neue Schule einsetzte.

Via Internet machten einige Eltern und Schüler mobil: das Gymnasium sei weiß und kalt, das Klima frostig, es fehle an menschlicher Wärme. Auch im Dießener Gemeinderat stand das Thema ganz oben auf der Tagesordnung. Die Schmierereien kämen nicht von ungefähr, fanden manche, für viele Kinder sei es bedrückend, in diese Schule gehen zu müssen.

Bis vor kurzem galt der frühere Gemeinderat Rudolf Gleißl als einer der größten Kritiker. Der Mann von der Unabhängigen Bürgervereinigung (UBV) polterte, dass das Klima an der Schule nicht gut sei - "und wenn man das sagt, untertreibt man noch maßlos."

Inzwischen hat sich Gleißl aus der Kommunalpolitik verabschiedet und leise Töne angeschlagen: Sein Sohn geht aufs Ammersee-Gymnasium, steht kurz vor dem Abitur.

Früher hatte der Vater vor allem gegen die Schulleitung geschossen. "Wir haben ein architektonisch sehr schönes Gebäude bekommen, aber im Innern sieht es anders", meinte er.

Heute, mehr als zwei Jahre später, ist die Kritik in Dießen größtenteils abgeflaut. Auch Gleißl will seine damaligen Aussagen nicht mehr wiederholen. "Man macht sich schnell Feinde."

Brennpunktschulen kennt man hier nur aus dem TV

In den Pausen tollen die meisten Schüler draußen auf dem Schulhof herum. "Eine schöne Schule haben wir, aber jetzt auch nichts wahnsinnig Besonderes", sagt Unterstufler Daniel, der die nickende Zustimmung einiger seiner Klassenkameraden erhält.

Viele Kinder sind am Ammersee aufgewachsen, haben die außergewöhnlichen Rahmenbedingungen kennengelernt und verinnerlicht. Brennpunktschulen kennen sie nur aus dem Fernsehen.

Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) führt die wachsende Ungleichheit der Schulen einzelner Regionen darauf zurück, dass die Kosten für Bau und Instandhaltung auf die Kommunen zurückfallen. So werde es finanzschwachen Städten und Gemeinden unmöglich gemacht, überhaupt nur an derartig moderne Schulen wie etwa am Ammersee zu denken.

"Würden die Sachkosten auch vom Land getragen, könnten flächendeckend zumindest vergleichbare Standards an Schulen durchgesetzt werden", sagt Elke Hahn, Geschäftsführerin des GEW-Landesverbandes Bayern.

Inzwischen sind die Schmierereien am Ammersee-Gymnasium längst wieder entfernt worden, im beschaulichen Dießen aber schwelte das Thema weiter, brachte die Schule in der örtlichen Presse in die Negativschlagzeilen und die Leitung in Erklärungsnot.

Rechenberger sagt, dass die Tat damals ganz schön hochgehängt worden sei. "Nicht nur die Schule, sondern auch die Eingangsmauern gegenüberliegender Häuser wurden beschmiert. Das macht ja niemand, wenn er nur seinen Ärger über das Gymnasium kundmachen will", meint er.

Nun, im Nachklang, sollen die Nebenkriegsschauplätze möglichst fern der Öffentlichkeit, fern von neuen Schülern und fern von den oft gut betuchten Eltern gehalten werden, die sich ganz sicher ganz genau überlegen, wohin sie ihre Kinder schicken.

In der Sammlung von Presseartikeln, die die Gymnasiums-Vertreter auf ihrer Homepage veröffentlicht haben, fehlen die kritischen aus der Lokalpresse. Den Platz nehmen Meldungen über Technologie-Tage, Theatergruppen und Gummibärchenverkäufe von Sechstklässlern ein.

Rechenberger meint, dass die Schule gerade wegen der exponierten Lage enorme Erwartungen zu erfüllen hatte - so viele und so große, dass man gar nicht allen hätte gerecht werden können. "Schauen Sie sich Barack Obama an, diese unglaublichen Hoffnungen, die mit ihm verbunden waren, die Hymnen, die die Presse über ihn schrieb. Was ist davon noch übrig geblieben?", fragt Rechenberger.

Am Ammersee-Gymnasium reagierten sie auf die teils wüste Kritik mit einer Umfrage, in der die Schüler niederschreiben sollten, wie sie denn das Klima beurteilen würden. "Die Ergebnisse waren gut und zeigten, dass wir eine hohe Zufriedenheit haben", sagt Rechenberger.

An der eindrucksvollen Bilderwand gleich neben Bibliothek und dem Ausgang zur Veranda mit Seeblick hängt etwas erhöht ein Foto vom Schulleiter, eines mit weicheren Gesichtszügen, "eines aus alten Zeiten".

Darunter steht, dass er Mathematik und Physik unterrichtet, daneben sind seine 70 Kollegen ebenfalls porträtiert. An der Wand, die wie eine Ahnengalerie wirkt, ist auch Rechenbergs Stellvertreter Georg Büttner verewigt.

Als er vor Jahren einmal am Rohbau des Gymnasiums vorbeifuhr, war der heute 47-Jährige sofort hin und weg. Büttner bewarb sich um die Stelle, bekam sie und zog dafür aus München nach Dießen.

Als er sich im Internet über Grundstücke in der Umgebung informierte und Makler kontaktierte, da verwies man ihn immer und immer wieder auf die herrliche Lage des ansässigen Gymnasiums. "Da würden Sie Ihren Kindern was richtig Gutes tun, hierhin zu ziehen", sagte man ihm.

Büttner erzählt das langsam und bedacht, aber mit einem Funkeln in den Augen. "Das Ammersee-Gymnasium ist keine 08/15-Schule, sondern schon etwas Einzigartiges", sagt er.

Seit Jahren muss die Schule interessierte Jugendliche abweisen, weil sie die Kapazitäten sprengen würden. Sogar aus umliegenden Gemeinden gebe es viele, die unbedingt nach Dießen wollten, zur Schule am See - und oftmals doch nicht dürfen.

Der gute Ruf der Schule soll mit weiteren Schmankerln untermauert werden. Kommendes Jahr baut man einen Brunnen auf dem Schulhof. Das Geld in sechsstelliger Höhe aus den Töpfen einer Stiftung und der EU steht bereit, die Planung ist abgeschlossen. Wasserstrahlen sollen über einen verstellbaren Fühler in eine löffelartige Schale geschossen werden, nachts soll alles leuchten. (dpa)

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