Ein Gymnasium ganz allein für Jungs

Sie marschieren Richtung Abitur - und bleiben während ihrer Schulzeit als Jungs unter sich. Handelt es sich dabei um ein pädagogisches Konzept von vorgestern?

Christoph FuhrVon Christoph Fuhr Veröffentlicht:
Fleißige Jungs - besser in der Schule ohne Mädchen?

Fleißige Jungs - besser in der Schule ohne Mädchen?

© Yuri Arcurs / fotolia.com

Eine Penne nur für Jungs? In Brandenburg ist ein juristischer Streit um die geplante Gründung eines katholischen Jungengymnasiums in freier Trägerschaft im Gange. Die rot-rote Landesregierung kämpft erbittert gegen das Projekt. Jungen und Mädchen dürfen nur gemeinsam unterrichtet werden, heißt es in Potsdam, und damit basta.

Dieses pauschale Nein ist nicht unumstritten. Befürworter des Projekts weisen auf wissenschaftliche Untersuchungen hin, nach denen sich gleichaltrige Jungen und Mädchen in einem unterschiedlichen Tempo entwickeln.

Reine Jungengymnasien als Alternative

Sie lernten anders, hätten oft völlig andere Interessen und könnten unter sich viel besser gefördert werden. Reine Jungengymnasien, deren Zahl in Deutschland ohnehin an einer Hand abzuzählen ist, könnten danach durchaus eine pädagogische Alternative sein.

2009 hat eine Geschlechterstudie des "Aktionsrates Bildung" der Debatte um die spezifischen Herausforderungen von Jungen in deutschen Schulen enorm angeheizt. Dieser Aktionsrat, dem renommierte Bildungswissenschaftler angehören, hat für seine Untersuchung länderübergreifend statistische Daten ausgewertet.

Dabei ist deutlich geworden, dass Jungen bereits im Kindergarten und in der Grundschule massiv benachteiligt werden. Beim Übergang auf das Gymnasium müssen sie deutlich höhere Leistungen erbringen. Sie werden bei gleicher Kompetenz schlechter benotet als Mädchen und landen in den Wirren des Schulalltags weitaus häufiger auf der Nase.

Meist sind es Jungs, die in der Schule scheitern

Wenn ein Kind in der Schule scheitert, ist es in 80 Prozent der Fälle ein Junge. Fazit der Studie: Die Zeiten, in denen das bayerische Mädchen vom Dorf den Looser-Status in der Schule hatte, sind endgültig vorbei. Jetzt sind Jungs die Verlierer.

Bei der Suche nach Ursachen wird oft auf einen Mangel an männlichen Grundschullehrern verwiesen. Den Jungen, heißt es, fehlten männliche Identifizierungspersonen.

Ein Defizit, das in Grundschulen und geisteswissenschaftlichen Fächern im Bereich weiterführender Schulen zu beobachten sei. Verschärfend käme bei Kindern mit alleinerziehenden Müttern hinzu, dass es keinen Kontakt mehr zum leiblichen Vater gebe.

Die Theorie von der "Feminisierung der Pädagogik" als Ursache für das Schuldilemma von Jungs ist allerdings alles andere als unumstritten. Kritiker dieses Ansatzes weisen generell auf eine geringere Selbstdisziplin von Jungen im Vergleich zu Mädchen hin, einen Hang zur "Arbeitsvermeidung" und fehlenden Fleiß.

Hinzu kommen konkrete Rollenzwänge, denen sich viele männliche Schüler offenbar nicht entziehen können. Wer nur cool sein will, schränkt sein eigenes Lernpotenzial ein. Und Cool-Sein bedeutet nicht selten auch, Engagement im Unterricht extrem zu begrenzen - aus Sorge vor einem Streber-Image, das unter allen Umständen vermieden werden soll.

In diese schräge Wertewelt passt auch, dass Lesen aus Sicht vieler Jungen eine uncoole Beschäftigung ist. Mädchen lesen mehr - und das ist im Schulalltag bekanntlich ein eminenter Vorteil.

Trennung in bestimmten Fächern kann Option sein

Auf der Suche nach Lösungen, die Benachteiligung von Jungs aufzuheben, wird zunehmend auf geschlechtsspezifische Differenzierung gesetzt. Das bedeutet zum Beispiel, dass Mädchen und Jungen in bestimmten Fächern getrennt unterrichtet werden, meist in Sport, Informatik oder Sexualkunde.

Eine vollkommen nach Geschlecht getrennte schulische Erziehung ist zum Beispiel in NRW keine Seltenheit. Dort werden mehr als 22 000 Mädchen und rund 3200 Jungen an reinen Mädchen- oder reinen Jungenschulen unterrichtet.

Dass dieses Modell allerdings auch in anderen Bundesländern ausgeweitet werden könnte, scheint eher abwegig. Und eine Diskussion darüber, ob ein größeres Angebot an reinen Jungen-Gymnasien einzelnen Schülern womöglich bessere Lernchancen bieten könnte, ist bisher ausgeblieben.

Dass der Besuch einer Bildungseinrichtung mit Geschlechtertrennung nicht zwingend ein Nachteil sein muss, beweist einer der renommiertesten deutschen Entertainer. Fünf Jahre besuchte er das Aloisius-Kolleg in Bonn-Bad Godesberg, macht dort sein Abitur und hatte in dieser Zeit ausschließlich Jungs als Mitschüler. Sein Name: Stefan Raab.

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