Laufen - ein echter Renner

Sowie der Frühling kommt, spüren viele den Impuls, mehr für ihre Gesundheit zu tun und mit Sport zu beginnen. Für den ehemaligen Europameister Dr. Thomas Wessinghage ist der ideale Sport das Laufen. Dessen Vorzüge erläutert er im Gespräch mit Angela Speth von der "Ärzte Zeitung".

Veröffentlicht:
"Man atmet tief durch, der Kreislauf kommt in Schwung, der Kopf wird frei."

Dr. Thomas Wessinghage läuft am Strand.

"Man atmet tief durch, der Kreislauf kommt in Schwung, der Kopf wird frei." Dr. Thomas Wessinghage läuft am Strand.

© Foto: privat

Ärzte Zeitung: Eines ihrer Bücher widmet sich den ersten zehn Kilometern. Eine magische Grenze?

Wessinghage: Ja, wer das erste Mal diese Strecke schafft, bleibt dabei. Die Anfangshürden sind überwunden, eine Gewohnheit ist aufgebaut. Ich will vor allem die absoluten Anfänger - aus medizinischer Sicht die wichtigste Gruppe - zum Start ermutigen. Für fortgeschrittene Freizeitsportler sind dreimal pro Woche zehn Kilometer ein gutes Ziel.

Ärzte Zeitung: Warum empfehlen Sie gerade das Laufen?

Wessinghage: Moment mal - grundsätzlich empfehle ich immer den Sport, zu dem jemand am meisten Lust hat. Spaß muss sein, das ist wichtig für die Nachhaltigkeit.

Ärzte Zeitung: Aber es gibt doch gute Gründe gerade fürs Laufen?

Wessinghage: Aber ja! Mit keiner anderen Sportart kann man mit so geringem Aufwand so viel erreichen. Manche Effekte sind unmittelbar zu spüren: Herzfrequenz und Blutdruck in Ruhe und bei Belastung sinken, ebenso der Sauerstoffbedarf des Herzens, das Schlagvolumen steigt. Konzentration und Gedächtnis nehmen zu. Läufer sind ausgeglichener, schlafen und verkraften Stress besser, sind weniger anfällig für Infekte und Gewichtsprobleme. Zudem ist mit hoher Evidenz belegt, dass Joggen das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Diabetes, Osteoporose, Krebs, Demenz und Depressionen mindert.

Ärzte Zeitung: Oft wird behauptet, der gesündeste Sport sei Walking.

Wessinghage: Da muss man vielmehr fragen: Für was? Für wen? Joggen jedenfalls ist effizienter: Der Kalorienverbrauch ist größer, die Effekte auf den Fettstoffwechsel sind günstiger. Bei wöchentlich drei Mal vierzig Minuten ist das Verhältnis von Aufwand und Wirkung am besten. Ich betone das, weil es ja immer heißt: Ich hab keine Zeit.

Ärzte Zeitung: Was ist der häufigste Fehler von Einsteigern?

Wessinghage: Klassischer Fall: Man bekommt zu Weihnachten einen Trainingsanzug, kauft sich zu Ostern Laufschuhe und rappelt sich im Sommer endlich auf. Und weil man das Laufen so lang vor sich hergeschoben hat, gibt man richtig Gas, ist zwar nach zehn Minuten völlig erschöpft, will aber eine halbe Stunde durchhalten. Besonders Männer in den Mittvierzigern neigen dazu. Das schlägt ins Gegenteil um: Man will das grässliche Erlebnis ungern wiederholen. Wenn ich mit Laufanfängern bespreche, nicht an einem Wochenende nachzuholen, was sie 20 Jahre versäumt haben, sind sie einverstanden, trotzdem fällt es vielen schwer, sich zu mäßigen.

Ärzte Zeitung: Wie sollte man es stattdessen machen?

Wessinghage: Gleich anfangen, aber es langsam angehen lassen. Erst eine Zeitlang täglich um den Block gehen, dann mit sanftem Laufen beginnen, aber nach fünf Minuten aufhören, wenn sich das Gefühl einstellt: Jetzt habe ich eigentlich genug. So bleibt eine gute Erinnerung zurück, und man hat den Einstieg geschafft. Danach dreimal die Woche fünf Minuten, daraus werden schnell 7, 9 und 11 Minuten und so weiter.

Ärzte Zeitung: Aber wie überwindet man den vielzitierten inneren Schweinhund?

Wessinghage: Ach, der trollt sich im Lauf der Zeit von selbst. Wer viel läuft, der freut sich drauf, wenn er raus kann. Für die einen ist es wichtig, sich nicht mit hochgesteckten Zielen unter Druck zu setzen, sondern sich zu entspannen und nur so lange zu laufen, wie es Spaß macht. Andere brauchen feste Trainingszeiten oder Ziele wie einen Marathon. So bekommt der Wunsch, sich mehr zu bewegen, einen Rahmen.

Ärzte Zeitung: Was macht für Sie den Reiz des Laufen aus?

Wessinghage: Die Freiheit, die Natur - man sieht Wiesen und Bäume nicht nur durch die Glasscheibe von Auto und Büro. Hinzu kommen die Freude an der eigenen Kraft, an der Bewegung an sich. Das ist ein wunderbarer Kontrapunkt zu dem, was wir den ganzen Tag machen: sitzen. Man atmet tief durch, der Kreislauf kommt in Schwung, der Kopf wird frei.

Ärzte Zeitung: Welcher Trainingsplan hat sich bewährt?

Wessinghage: Ich empfehle drei Geschwindigkeitsbereiche. Auf der ruhigsten Stufe sollte der Läufer imstande sein, sich flüssig und mit langen Sätzen zu unterhalten. Bei mittlerem Tempo geht das nicht mehr ganz so gut, aber das Verhältnis von Aufwand und Wirkung ist am besten, der Kalorienverbrauch erhöht, die Fettverbrennung angekurbelt. Bei der höchsten Intensität fängt dann der Leistungssport an - für gesundheitliche Ziele nicht erforderlich.

Ärzte Zeitung: Und vor Trainingsbeginn ist eine sportmedizinische Untersuchung angesagt?

Wessinghage: Ja, um mögliche Ausschlusskriterien zu ermitteln. Das gilt für alle Altersgruppen. Eine sportliche Leistungsdiagnostik muss damit noch nicht verbunden sein.

Ärzte Zeitung: Wie ist die richtige Art und Weise des Laufens?

Wessinghage: Läufer gebrauchen zwei Techniken: Die einen kommen mit dem Vorfuß auf und fangen den Aufprall mit der Muskulatur weich ab - genauso wie unsere Vorfahren, als sie noch barfuß waren. Die anderen überlassen gepolsterten Laufschuhen das aktive Abfangen: Sie setzen mit der Ferse auf und überlassen das letzte Quentchen der Dämpfung dem Schuh. Der Läufer soll sich so bewegen, wie es ihm angenehm ist.

Ärzte Zeitung: Sind teure Laufschuhe aus der Boutique wirklich besser als die vom Discounter zu 12,99?

Wessinghage: Sagen wir so: Das Risiko, einen Fehlkauf zu tätigen, ist im noblen Sportgeschäft geringer. Damit ist aber nicht ausgeschlossen, dass jemand auch mit einem preisgünstigen Modell gut zurecht kommt. Laufschuhe müssen individuell passen. Eine schlanke Frau könnte einen flexibleren Schuh wählen, ein stattlicher Herr einen stabileren. Immer aber muss der Schuh vor den Zehen ein bisschen Platz haben, bequem, aber fest sitzen, lang und schmal sein und in seiner Leistenform dem Fuß entsprechen.

Ärzte Zeitung: Wieviel laufen Sie noch selbst?

Wessinghage: Ich laufe meist fünfmal die Woche, je 30 bis 40 Minuten, das tut mir gut. Ich betreue ja viele Seminare und mache selber mit.

Ärzte Zeitung: Was tun etwa bei Hitze und hohen Ozonwerten?

Wessinghage: Wenn das Signal kommt, dass es zuviel wird, sollte man sich bremsen. Regelmäßiger Sport ermöglicht es, in Dialog mit dem eigenen Körper zu treten und zum Beispiel herauszufinden, welche Tageszeit günstig ist. Ich selbst laufe gern mittags. Auf Ozon achte ich nicht, weil ich nicht merke, ob die Werte höher oder niedriger sind. Anders Patienten, etwa mit COPD: Sie sollten auf den Morgen ausweichen und sich nicht so anstrengen.

Ärzte Zeitung: Haben Sie auch Ernährungstipps für Sportler?

Wessinghage: Wer sich regelmäßig bewegt, braucht keine Diät zu halten und den Jojo-Effekt zu riskieren. Der Spielraum bei der Ernährung wird größer. Ich persönlich esse gern Schokolade, trotzdem liegt mein Gewicht an der unteren Normgrenze. Ich halte auch zusätzliche Vitamine oder Mineralstoffe nicht für erforderlich. Sporttreibende kommen meist von alleine darauf, was sie brauchen. Ihre Vorlieben ändern sich: Man verliert das Verlangen nach fettreichen Lebensmitteln und zieht stattdessen Kohlenhydrate vor. Wenn ich weiß, was mir gut tut, dann bin ich nicht derjenige, der fünf Hamburger verdrückt, sondern derjenige, der sich guten Gewissens mal einen erlaubt.

Zur Person

Dr. Thomas Wessinghage war ein Weltklasseläufer. Er hat den immer noch gültigen deutschen Rekord über 1500 Meter (3:31,58 min) aufgestellt, 1982 wurde er in Athen Europameister über 5000 Meter, 22 Mal erlief er sich den Titel Deutscher Meister. Ab 2002 war Wessinghage Ärztlicher Direktor der Rehaklinik Damp, seit 2008 hat er die Ärztliche Leitung der drei Rehakliniken der Medical Park AG in Bad Wiessee übernommen. Er hält Vorträge und veranstaltet Seminare zu Bewegung, Gesundheit und Motivation. Außerdem arbeitet er als Dozent an der Universität Flensburg sowie als Buchautor. (ars)

Mehr zum Thema

Unabhängig vom BMI

Frauen mit Bauchspeck häufiger infertil

Schwedische Studie

Post-COVID-Condition: Körperliches Training kann sinnvoll sein

Kommentare
Vorteile des Logins

Über unser kostenloses Login erhalten Ärzte und Ärztinnen sowie andere Mitarbeiter der Gesundheitsbranche Zugriff auf mehr Hintergründe, Interviews und Praxis-Tipps.

Haben Sie schon unsere Newsletter abonniert?

Von Diabetologie bis E-Health: Unsere praxisrelevanten Themen-Newsletter.

Das war der Tag: Der tägliche Nachrichtenüberblick mit den neuesten Infos aus Gesundheitspolitik, Medizin, Beruf und Praxis-/Klinikalltag.

Eil-Meldungen: Erhalten Sie die wichtigsten Nachrichten direkt zugestellt!

Newsletter bestellen »

Top-Meldungen
Lesetipps
Ulrike Elsner

© Rolf Schulten

Interview

vdek-Chefin Elsner: „Es werden munter weiter Lasten auf die GKV verlagert!“