Hintergrund

Im Schatten der Finanzmarktkrise passiert der Gesundheitsfonds die letzte Hürde

Gegen die Märchensumme von 500 Milliarden Euro zur Rettung der deutschen Finanzwelt kommt in diesen Tagen in Berlin nichts und niemand an. Nicht einmal eines der Aufregerthemen der vergangenen Monate - der Gesundheitsfonds.

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,, Die Krankenversicherung lebt von der Hand in den Mund. Daniel Bahr Gesundheitspolitischer Sprecher FDP

Von Bülent Erdogan

Leidenschaft will an diesem Freitagmorgen im Deutschen Bundestag nicht mehr aufkommen im vorerst letzten Duell um eines der Kernprojekte der großen Koalition: der Gesundheitsreform. Offenbar haben die Parlamentarier nach der wenige Minuten zuvor gefällten Entscheidung für das gigantische Rettungspaket von 500 Milliarden Euro für die deutschen Banken keine Lust mehr an einem spektakulären Schlagabtausch.

In den Abgeordneten brennt kein Feuer mehr

Dabei geht es auch in der Gesundheitspolitik um ein erkleckliches Sümmchen: 167 Milliarden Euro lassen sich die Deutschen 2009 ihre ambulante und stationäre Gesundheitsversorgung kosten. Doch die Finanzkrise schiebt alle anderen Themen gnadenlos in den Hintergrund. Immerhin bleiben etwa 60 Bundestagsabgeordnete nach der Abstimmung zum Rettungspaket im Plenum, um den nächsten Tagesordnungspunkt zu behandeln: Thema ist der letzte Feinschliff am Mammutwerk Gesundheitsreform und die Höhe des einheitlichen Beitrags zum Gesundheitsfonds. Auf 15,5 Prozent hat die Bundesregierung diesen festgesetzt.

Monatelang haben sich Koalition und Opposition in der Gesundheitspolitik beharkt und bekriegt, einander Unredlichkeit und Verunsicherung vorgeworfen, Ahnungslosigkeit und Unfähigkeit. Doch heute brennt in den Abgeordneten kein Feuer mehr. Für sie geht es nach anstrengenden Tagen und kurz vor dem Wochenende nur noch darum, die anstehende Debattenzeit von 75 Minuten professionell abzuspulen: Den Anfang macht dabei Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD). Zum Glück habe man das deutsche Sozialsystem, wie von vielen Ökonomen gefordert, nicht auf Kapitaldeckung umgestellt, kreist auch sie noch einmal um den Bankencrash der vergangenen Woche.

Den Gesundheitsfonds preist die Ministerin als Segen für die Krankenkassen: Diese hätten mit dem Fonds nun zum ersten Mal eine sichere Kalkulationsbasis für ihre Ausgaben, sagt Schmidt. Gäbe es den Fonds nicht, müsste er geradezu erfunden werden, klopft die Ministerin der großen Koalition auf die Schulter. Denn: "Der Gesundheitsfonds macht das System einfacher, gerechter und fairer", so die Ministerin.

,, Der Fonds macht das System einfacher, gerechter und fairer. Ulla Schmidt Bundesgesundheits- ministerin

Nach 15 Minuten ist aus Regierungssicht alles erklärt, räumt die Ministerin für den FDP-Abgeordneten Daniel Bahr das Pult. Die Kapitalismuskritik Schmidts will dieser nicht unkommentiert stehen lassen. "Die gesetzliche Krankenversicherung lebt von der Hand in den Mund", kontert er. Schmidt verhalte sich wie jemand, der die ganze Zeit über seine Verhältnisse gelebt hat und sich dann über den mokiert, der wie die privaten Krankenversicherer Rücklagen angelegt hat, auch wenn diese mit der Finanzkrise nun geringer ausfielen.

Mit seinen Ausführungen beißt Bahr beim Koalitionswunschpartner CDU/CSU jedoch auf Granit. Für die Union stellt sich deren gesundheitspolitische Sprecherin Annette Widmann-Mauz hinter die Politik Schmidts. Die Forderungen der Kassen nach mehr Geld lehnt sie mit einem Ausflug in die Welt der Konditoren ab: "Ich kann es ja verstehen, wenn einzelne Krankenkassen gern etwas großzügiger kalkulieren wollen, also sozusagen noch ein Sahnehäubchen auf den Kuchen wollen." Aus Sicht der Beitragszahler wäre eine solche Politik gerade in der jetzigen Situation aber unverantwortlich. 2009 erhielten die Kassen zudem elf Milliarden Euro zusätzlich.

Den Gesundheitsexperten der Linksfraktion, Frank Spieth, kann die CDU-Politikerin damit aber nicht überzeugen. Spieth wirft der Koalition vor, die GKV-Lasten mit der Einführung des Zusatzbeitrags weiter Richtung der Arbeitnehmer zu verschieben. Schon heute trügen diese aber 65 Prozent der Kassenausgaben. Insgesamt sieht er die große Koalition auf einer "gesundheitspolitischen Geisterfahrt".

"Der Fonds ist weder fair noch gerecht. Er ist einfach eine Fehlkonstruktion", meint auch die Grüne Birgitt Bender. Sie wirft der Koalition vor, die Kassen nicht ausreichend mit Geld auszustatten. 2009 fehlten drei Milliarden Euro, so Bender. Aber auch ihre Ausführungen ändern nichts daran, dass dieser Freitag im Parlament schon gelaufen ist, bevor er so richtig angefangen hat.

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