Für IV-Verträge schlägt die Stunde der Wahrheit

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Rund 6000 Verträge zur Integrationsversorgung stehen auf dem Prüfstand. Ohne mehr Qualität werden es auch Hausarztverträge auf Dauer schwer haben.

Von Bülent Erdogan

,, Für neue IV-Verträge brauchen wir klare Bereinigungsregeln. Dr. Hans-Jürgen Ahrens Vorstandsvorsitzender des AOK-Bundesverbandes

BERLIN. Der Chef des AOK-Bundesverbands, Dr. Hans Jürgen Ahrens, rechnet damit, dass etwa jeder zweite der derzeit circa 6000 Verträge zur Integrierten Versorgung (IV) in den kommenden Jahren von den Kassen nicht mehr verlängert oder gar gekündigt wird. Grund ist das Auslaufen der Anschubfinanzierung in Höhe von jeweils einem Prozent der ambulanten und stationären GKV-Ausgaben Ende dieses Jahres. Dazu kommt, dass viele Verträge nur kleine Volumen haben oder unwirtschaftlich sind (wir berichteten). Derzeit sei unklar, ob es 2009 überhaupt neue Verträge geben werde, sagte Ahrens auf einer Euroforum-Konferenz in Berlin.

Als Vorbedingung dafür forderte Ahrens ab 2009 eine Bereinigung der GKV-Zuweisungen an die KVen um das Honorar der IV-Verträge. Aktuell haben diese ein Volumen von rund 800 Millionen Euro. Integrierte Versorgung zusätzlich zur normalen Vergütung werde es nicht geben.

Insgesamt sieht er nur in einem erweiterten Wettbewerb über Selektivverträge Chancen, Bewegung in das GKV-System zu bringen. So hätten sich abseits der bisherigen Kollektivverträge neue Partner gefunden. Wer dies weiter wolle, dürfe die Tür für die IV allerdings nicht schon wieder schließen. Damit auch im kommenden Jahr IV-Verträge abgeschlossen werden, seien jetzt gemeinsame Anstrengungen von Kassen und deren Partnern oder eine Übergangsregelung der Koalition notwendig, um IV-Leistungen weiter vom normalen GKV-Budget abzugrenzen, so Ahrens.

Scharfe Kritik an den derzeit laufenden Hausarztverträgen nach Paragraf 73b SGB V übte unterdessen der Vorstand des BKK-Landesverbandes Bayern, Professor Jörg Saatkamp. Die bisher geschlossenen Verträge hätten nur zu höheren Kosten, nicht aber zu einer besseren Versorgung der Versicherten geführt, sagte er. Insofern habe es sich bislang um reine Vergütungsprogramme für die Ärzteschaft, nicht aber um Qualitätsprogramme gehandelt.

So verhindere etwa eine ergebnisunabhängige Vergütung der Ärzte durch Zusatzpauschalen eine Veränderung des Versorgungsalltags. Darüber hinaus gingen die Verträge nicht über die gesetzlichen "Minimalanforderungen" an die teilnehmenden Ärzte hinaus.

Als Aspekte "echter Hausarztmodelle" nannte Saatkamp die Koordination der Behandlung und Zusammenarbeit der Versorgungsebenen und Fachgruppen und die Rolle des Hausarztes als Lotse, der über die bedarfsadäquate Versorgungsstufe für den Patienten entscheidet. Allerdings fürchtet er, dass angesichts des Auslaufens der IV-Finanzierung und des insgesamt hohen Spardrucks durch den Gesundheitsfonds für die Kassen kaum noch Spielraum für Qualitätsförderung und Vergütungsdifferenzierung bestehen wird. Saatkamp erwartet, dass Sonderleistungen und Qualitätsprogramme künftig an Wahltarife gekoppelt werden und es einen Trend zu IGeL-Leistungen sowie zu Privatpraxen und Zusatztarifen geben wird. Damit werde der Solidarcharakter der GKV deutlich beschnitten. "Qualität droht zum Luxusgut zu werden", sagte er.

Der Vorstandsvorsitzende der Barmer Ersatzkasse, Dr. Johannes Vöcking, kündigte an, sich mit allen Mitteln gegen den Abschluss ruinöser Hausarztverträge zur Wehr zu setzen und notfalls nach Berlin zu "marschieren". Hintergrund: Bis zum 30. Juni 2009 müssen alle Kassen Hausarztverträge abschließen (wir berichteten). Vöcking zufolge könnte ein unwirtschaftlicher Vertrag auch eine große Kasse in die Pleite treiben.

Seiner Meinung nach haben die Kassen keine Gewähr dafür, dass die Regierung den GKV-Beitragssatz - wie versprochen - zeitnah anpassen wird, wenn dieser künftig weniger als 95 Prozent der Kassen-Ausgaben deckt. Gesetzlich ist das vorgesehen, wenn diese Grenze in zwei aufeinanderfolgenden Jahren unterschritten wird und eine von der Bundesregierung zu erstellende Prognose eine erneute Unterschreitung als wahrscheinlich erscheinen lässt.

Diese Prognose hält Vöcking für manipulationsanfällig. "Ruckzuck" sei man dann weit unter 95 Prozent. Außerdem könne der Gesetzgeber die Deckungsquote senken. Nach Auffassung der Kassen decken die Einnahmen des Gesundheitsfonds bei einem Beitragssatz von 15,5 Prozent nur 98,5 und nicht 100 Prozent der Ausgaben.

Lesen Sie dazu auch den Kommentar: Weniger Ökonomie, mehr Medizin

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