Der Ärzteprotest wird zum Medienereignis - die Berichte sind meist hart, aber fair

Letzte Woche in "Bild", am Sonntag bei "Anne Will", heute Abend in "Hart, aber fair": die Vertragsärzte und ihre Vergütungsreform finden seit Tagen hohe Aufmerksamkeit in den Medien. Bemerkenswert: Das Echo ist weitaus differenzierter als die Ausein- andersetzung der Funktionäre.

Helmut LaschetVon Helmut Laschet Veröffentlicht:

"Aufruhr bei den Ärzten - das große Abrechnen": unter diesem Titel war der "Süddeutschen Zeitung" gestern die Reform der ärztlichen Vergütung das "Thema des Tages" auf der Seite 2 wert. Zwei Hintergrund-Berichte, ein Interview mit einem Hausarzt und schließlich ein Kommentar des Journalisten und Mediziners Werner Bartens.

Der Ärzte-Protest wirkt. Er wird wahrgenommen, in den Medien sogar an sehr prominenten Stellen, in Seite-1-Aufmachern (siehe "Bild"), zu besten Sendeplätzen (siehe "Anne Will" nach dem "Tatort").

Bemerkenswert: Auch dort, wo Ärzte in ihrem Zorn über ungerecht empfundenes Honorar unzulässig übers Ziel hinaus schießen und Vorkasse verlangen, wird nicht nur die darob entstandene Wut der Patienten artikuliert. "Bild" etwa machte einen Arzt aus Baden-Württemberg, der seine Patienten extra bezahlen lässt, ausfindig und gab ihm Gelegenheit, sich zu erklären - gegenüber rund elf Millionen Lesern.

Ausführlich wird auch in Publikumsmedien die Perspektive des einzelnen Arztes dargestellt, etwa die von Christoph Jaedicke, Hausarzt im baden-württembergischen Emmendingen im Interview mit der "Süddeutschen Zeitung": "Ein 35-Euro-Arzt-Abonnement für drei Monate, soviel verlangt ein guter Frisör für einen einzigen Haarschnitt."

"Noch ein Honorarschock für niedergelassene Ärzte" schreibt die "FAZ" gestern. Sie berichtet über die jüngsten Bescheide zum Regelleistungsvolumen für das zweite Quartal. Und diese RLV fallen noch knapper aus als die ohnehin schon als zu eng empfundenen RLV des ersten Quartals. Die Bescheide, so befürchtet KV-No-Chef Dr. Leonhard Hansen laut FAZ, könnten in der aufgewühlten Debatte um die Honorarreform "wie ein Brandbeschleuniger" wirken. Dass die Wurfgeschosse aus den KVen kommen, sagt Hansen nicht.

Wer sich im Moment Aufklärung von den Urhebern der Vergütungsreform erwartet, wird schwer enttäuscht. Das Problem ist: es gibt nicht einen einzigen Urheber, dem man die Verantwortung zuordnen könnte. Formal hat natürlich das Parlament die Vorgaben für die Vergütungsreform beschlossen. Aber: Das Ministerium hat sie erarbeitet, und das unter intensiver Beteiligung der KBV. Wiederum eine politische Entscheidung unter Beteiligung von Ministerium, KBV, Kassen und dem neutralen Vorsitzenden des Erweiterten Bewertungsausschusses war die Honorarerhöhung um drei Milliarden Euro (2009 zu 2007).

Was jetzt die Probleme ausmacht, das schieben sich die Beteiligten nun gern gegenseitig in die Schuhe. Und diese Probleme analysiert die "Berliner Zeitung" nachvollziehbar: Erstens ist ein großer Teil des Zusatzhonorars schon 2008 bei den Vertragsärzten angekommen, womit im vergangenen Jahr noch niemand gerechnet hatte. Natürlich wird dieses zusätzlich Geld auch in diesem Jahr bezahlt. Aber das Wachstum von 2009 zu 2008 ist deshalb kleiner ausgefallen als erwartet worden war.

Zum zweiten verteilt sich das Wachstum regional unterschiedlich: zugunsten der neuen Bundesländer und zu Lasten der Ärzte im Westen. Hinzu kommen unterschiedliche und schwer kalkulierbare Umverteilungen unter den Fachgruppen und selbst unter den Praxen der gleichen Arztgruppen.

Eine verzweifelte Situation, die für betroffene Ärzte, aber auch für die handelnden Experten entstanden ist. Hätte man sich viel mehr Zeit lassen müssen, wie die "Berliner Zeitung" glaubt? Wohl nicht! Vergessen wird, dass die Vergütungsreform der Ärzte über Jahre vorbereitet worden ist. Keine Reform hat in den parlamentarischen Beratungen derart viele Durchläufe erlebt wie die Gesundheitsreform. KBV und Kassen haben sage und schreibe zwei Jahre Zeit gehabt, die Verhandlungen zu führen. Eher krankt die Reform an Reformunwilligkeit.

Oder an der Illusion, das deutsche Gesundheitssystem sei krank. Das ist die These von Werner Bartens, Mediziner, Journalist und Autor des Ärztehasser-Buchs. Für Bartens ist die Welt immer schlecht: Wird der Arzt nach Pauschalen bezahlt, kriegt der Patient nicht, was er braucht. Wird der Arzt nach Einzelleistungen bezahlt, verschwendet er gigantische Summen für Diagnostik und Therapie. Was Bartens als "Systemlösung" vorschwebt, ist eine Art Paradies: Hohe Pauschalen für ganz wenig Arbeit. Wie in Norwegen. Dumm nur, dass Deutschland kein Öl und keine Fjorde hat.

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