Vom Sprechzimmer auf den Marktplatz

Zwischen Wochenendeinkauf und Mittagessen: Für die Honorarkrise der Ärzte nehmen sich die Menschen im schleswig-holsteinischen Heide Zeit.

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Bald nur noch "außer Dienst"? Demonstrationsplakat in Heide.

Bald nur noch "außer Dienst"? Demonstrationsplakat in Heide.

© Fotos: di

Von Dirk Schnack

Schon seit einer Stunde steht der Mann mit Gehstock mitten in der Heider Innenstadt und hört aufmerksam zu. Am Mikrofon vor ihm wechseln sich die Redner ab. Erst der Bürgermeister, dann die Ärzte. Selbst als KV-Vorstandsmitglied Dr. Ralph Ennenbach tief in die Analyse regionaler Umverteilung einsteigt, bleibt der Rentner noch stehen.

So wie er hören sich mehr als hundert zufällig vorbeikommende Menschen an, was die Dithmarscher Ärzte an diesem Tag über das deutsche Gesundheitswesen zu berichten haben. Die meisten von ihnen werden aufmerksam, weil eine Fernsehkamera surrt, Transparente hoch gehalten werden oder weil eine Praxismitarbeiterin sie auf eine Unterschriftenaktion der Praxen anspricht. Was die Passanten von den Ärzten hören, ist schlimmer, als die meisten von ihnen geahnt haben.

"Solidarität der Ärzte hat Insolvenzen verhindert"

"Nur die Solidarität der Ärzte hat dazu geführt, dass nicht schon flächendeckend Insolvenzen zu beklagen sind", sagt etwa Hausarzt Burkhard Sawade. Der Vorsitzende des Ärztenetzes an der Westküste scheut keine klaren Worte. Entlassungen von Mitarbeitern, Rückgabe der Zulassungen - Sawade mag dies nicht ausschließen, wenn sich die Rahmenbedingungen für die Arztpraxen nicht verbessern. Zugleich macht der Hausarzt aus Meldorf deutlich, dass die Arztpraxen in Deutschland auch ein bedeutender Wirtschaftsfaktor sind: "Wenn jede Praxis nur eine Mitarbeiterin entlässt, ist das wie drei Mal Opel", vergleicht Sawade. Und er lässt keinen Zweifel daran, dass die Arztpraxen den bevorstehenden Wahlkampf nutzen werden: "Wir werden unseren Forderungen in den Warte- und Sprechzimmern Nachdruck verleihen."

Für diese Aussage gibt es auf dem Heider Marktplatz Verständnis und Zustimmung. Sogar Bürgermeister Ulf Stecher hatte zuvor die Bedeutung der Praxen für seine Region betont. Denn trotz eines erfolgreichen und großen Klinikums am Ort steht für ihn fest, dass "niedergelassene Ärzte nicht zu ersetzen" sind. Den Medizinern wünscht er einen "erfolgreichen Kampf" für die Patienten.

Wahljahr ist eine Chance für Veränderungen

Dass dieser Kampf geführt werden muss, steht auch für Dr. Christian Sellschopp fest. "Wir brauchen dringend Veränderungen. Und die brauchen wir jetzt, im Wahljahr 2009", sagt das Vorstandsmitglied der Ärztekammer Schleswig-Holstein. Zugleich beruhigt er Patienten, die wegen der Honorarreform Versorgungsprobleme befürchten. "Die Ärztekammer muss, sie will und sie wird auch weiterhin darauf achten, dass alle notwendigen Auseinandersetzungen nicht zu Lasten der Gesundheit unserer Patienten gehen", sagt Sellschopp.

Ennenbach beschreibt, was die Menschen erwartet, wenn die aktuelle Entwicklung im ambulanten Sektor anhält: Weniger niedergelassene Fachärzte, mehr Versorgungszentren und Ärzte aus Osteuropa. Er mahnt eine Strukturreform des Gesundheitswesens mit stärkerer Eigenverantwortung an, die erkennen lässt, dass jeder Arztbesuch Kosten verursacht. Der Rentner applaudiert. Erst als nach Ennenbach ein Politiker das Wort ergreift, macht er sich, wie viele andere auch, auf den Heimweg. Vermutlich hat er sich von denen seine Meinung schon gebildet.

Medizinisches Qualitätsnetz Westküste im Internet:www.mqw.de

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