Ein Big Bang in der Gesundheitspolitik ist unwahrscheinlich

Spätestens mit der Einführung des Gesundheitsfonds hat die Gesundheitspolitik in Berlin einen zentralen Stellenwert eingenommen. Auch in diesem Bundestagswahlkampf dürfte es hoch hergehen. Die "Ärzte Zeitung" wagt bereits einen Blick über die Wahl hinaus: Wie könnte die Gesundheitspolitik von 2010 bis 2013 aussehen?

Von Bülent Erdogan Veröffentlicht:
Ein Big Bang in der Gesundheitspolitik ist unwahrscheinlich

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Die Spannung steigt. Noch vier Monate sind es bis zur Bundestagswahl. Bleibt es bei Rot-Schwarz? Bekommen wir eine kleine Koalition? Oder wird es gar ein Dreierbündnis? Je nach Wahlausgang erwarten die Ärzte unterschiedliche Bedingungen für ihre Arbeit:

  • Schwarz-Rot: Bei einer Fortsetzung der großen Koalition sind in der Gesundheitspolitik höchstens kleinere Eingriffe zu erwarten. Schon die Gesundheitsreform von 2007 stellte bekanntlich den kleinsten gemeinsamen Nenner dar. Bereits angekündigt ist eine Wiederaufnahme der Sonderförderung von Verträgen zur Integrierten Versorgung durch einen Innovationspool. Dieser Topf könnte 2011 bereitstehen.

Wahrscheinlich ist auch eine Abschaffung der auf Druck der CSU eigens zur bayerischen Landtagswahl 2008 ins Gesetz geschriebenen Monopolstellung des Hausärzteverbandes in der hausarztzentrierten Versorgung nach Paragraf 73b SGB V. Zudem dürfte es zu einem neuen Arzneimittelgesetz kommen, um der Kostenentwicklung und dem inzwischen auch von der Regierung eingeräumten Wirrwarr an Regulierungen Einhalt zu gebieten.

Kritisch könnte es für die SPD 2011 werden, wenn die Kassen das dann wahrscheinlich auf über sieben Milliarden Euro schwere Darlehen des Bundes zurückzahlen müssen. Vielleicht werden die Sozialdemokraten einer Aufhebung der Ein-Prozent-Grenze beim Zusatzbeitrag dann mangels fiskalischer Alternativen doch noch zustimmen. An der grundsätzlichen Strategie, einen größeren Teil der GKV-Ausgaben über Steuern zu finanzieren, hält Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD) aber fest. "Wir brauchen 25 Milliarden Euro, um alle familienpolitischen Leistungen zu bezahlen." Für die Union wäre eine Aufhebung der Ein-Prozent-Grenze beim Zusatzbetrag zumindest eine Chance, um Handlungsfähigkeit zu demonstrieren und Schmidt Paroli zu bieten.

  • Schwarz-Gelb: Glaubt man den Umfragen, könnte es für eine kleine Koalition beider Partner knapp reichen: Aus Sicht der meisten Ärztefunktionäre bietet diese Konstellation die besten Chancen für grundlegende Veränderungen des Systems. Begriffe wie Kapitaldeckung der GKV, Kostenerstattung oder Eigenbeteiligungen haben in dieser politischen Ecke einen guten Klang.

Die FDP hat sich mit ihren gesundheitspolitischen Vorstellungen ohnehin klar auf die Seite der Ärzteschaft geschlagen. In ihren Wahlgrundsätzen fordert die FDP den Totalumbau des Gesundheitssystems: "Wir streben einen Systemwechsel hin zum privaten Krankenversicherungsschutz mit sozialer Absicherung für alle an", sagt Daniel Bahr.

Wenig konkret sind trotz markiger Worte die Vorstellungen der CSU. Immerhin findet sich eine handfeste Forderung: "Wir wollen die gescheiterte Honorarreform durch eine neue Gebührenordnung für Vertragsärzte ersetzen", sagt Bayerns Gesundheitsminister Markus Söder. Mittelfristig setzen die Bayern auf die Vertragshoheit von Haus- und Fachärzten. Die KVen sollen sich dann in erster Linie als Dienstleister verdingen.

Ratlosigkeit hinterlässt derweil das gesundheitspolitische Vakuum innerhalb der CDU. Allerdings zügeln diverse CDU-Abgeordnete den Reformeifer des möglichen Koalitionspartners FDP vorab schon einmal merklich. Dass es in der kommenden Legislatur im Gesundheitswesen erneut zum "Totalumbau" kommt, ist beispielsweise für den Gesundheitsexperten Jens Spahn unrealistisch. Ebenso, dass die CDU noch einmal ihr Konzept der Kopfpauschale auspackt, mit dem sie auch bei der Schwester CSU auf Granit stößt.

Vorstellbar sind eine Rücknahme der mit der Gesundheitsreform 2007 geschaffenen Wettbewerbsbeschränkungen für die PKV, die Abschaffung der Ein-Prozent-Grenze bei den Zuzahlungen und weitere, überschaubare Belastungen für die Versicherten. Klarheit über die künftige Rolle der PKV könnte dabei schon im Juni das Bundesverfassungsgericht schaffen.

  • Rot-Grün: Beide Parteien stehen für das Modell der Bürgerversicherung - und für eine Abkehr vom dualen Versicherungssystem mit GKV und PKV. "Was wir nicht brauchen, ist Luxusmedizin für wenige und Schrumpfmedizin für viele", so Birgitt Bender (Grüne). Unklar ist, ob beide Parteien letztendlich wirklich den Mut haben werden, die GKV-Beitragsbasis auch auf andere Einkommensarten auszudehnen. Schließlich dürfte die Belastung der Bürger durch die Notwendigkeit des Staates, sich nach der Krise wieder zu sanieren, weiter wachsen. Und frei nach einer Herberger-Weisheit gilt: Nach der Bundestagswahl ist vor den Landtagswahlen.
  • Rot-Rot-Grün: Diese Koalition wäre die totale Inkarnation des Bürgerversicherungsgedankens. Allerdings würde die Linke Teile der schwarz-roten Gesundheitsreform und auch der Vorgängerregierung am liebsten komplett zurückdrehen: Zusatzbeiträge, Beitragsrückerstattungen, Wahltarife in der GKV sowie die Praxisgebühr. "Die Privatisierung und die Kommerzialisierung des Gesundheitssystems zementieren die Zweiklassenmedizin in Deutschland geradezu", sagt deren Sprecher Frank Spieth.
  • Jamaica und die Ampel: Aussichtslose Verhandlungen versprechen die Konstellationen einer Jamaica-Koalition (Schwarz-Gelb-Grün) und einer Ampel (Rot-Gelb-Grün). Wahrscheinlich ist unter diesen Koalitionen daher also eher ein Reform-Moratorium, denn ein epochaler Wurf.

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