"Ein Kinderschutzgesetz kann sinnvoll sein"

Die Meldung eines Verdachtsfalles auf Kindeswohlgefährdung ist für Ärzte eine heikle Sache: Auf der einen Seite sind sie als Mediziner dem Wohl des Minderjährigen verpflichtet. Auf der anderen Seite steht die ärztliche Schweigepflicht. Doch dies ist nur scheinbar ein Gegensatz. Ein Gesetz könnte nun endgültig für eine klare Rechtslage sorgen.

Von Bülent Erdogan Veröffentlicht:
Alles in Ordnung? Schon heute haben Ärzte die Möglichkeit, den Jugendämtern Anzeichen auf eine Kindeswohlgefährdung zu melden.

Alles in Ordnung? Schon heute haben Ärzte die Möglichkeit, den Jugendämtern Anzeichen auf eine Kindeswohlgefährdung zu melden.

© Foto: dpa

BERLIN. Das in der großen Koalition heftig umkämpfte Kinderschutzgesetz, das auch eine Lockerung der ärztlichen Schweigepflicht zur Meldung von Verdachtsfällen auf Kindeswohlgefährdung vorsieht, kann durchaus ein wirksames Instrument zum Schutz von Minderjährigen sein. Das meint Philip Scholz, Referent des Berliner Datenschutzbeauftragten, beim "Tag der Niedergelassenen" auf dem Hauptstadtkongress.

Zwar erlaube die Norm des rechtfertigenden Notstandes nach Paragraf 34 Strafgesetzbuch den Ärzten schon heute, eigentlich durch die ärztliche Schweigepflicht zu wahrende Geheimnisse zu offenbaren - also auch über offensichtliche Kindesmisshandlungen zu informieren. Allerdings sei der Paragraf sehr allgemein formuliert, "sodass ich schon denke, dass es Sinn machen kann, für diesen bestimmten Anwendungsbereich für eine Kindeswohlgefährdung die Voraussetzungen des Paragrafen 34 zu präzisieren", sagte Scholz.

Einen Blankoscheck wollte Scholz einer spezialgesetzlichen Regelung dennoch nicht erteilen. Er warnte vor pauschalen und rigiden Mitteilungspflichten: "Das könnte schon zum Problem werden, wenn tatsächlich etwas passiert, frei nach dem Motto: Der Arzt hat doch das Kind behandelt, hat er denn nichts feststellen können?" Als Folge könnte es dazu kommen, dass Ärzte aus Angst vor Konsequenzen übereilt melden und damit eine für die Behörden nicht mehr nachverfolgbare Flut von falschen Verdachtsfällen schaffen.

Unklar ist derweil, ob das Gesetz, mit dem eine bundesweit einheitliche Regelung des Kinderschutzes angestrebt werden soll, noch in dieser Legislaturperiode verabschiedet wird. Die SPD-Bundestagsfraktion hatte in der vergangenen Woche Änderungsbedarf am Gesetzentwurf aus dem Hause von Bundesfamilienministerin Ursula von der Leyen (CDU) geltend gemacht und das Vorhaben erst einmal auf Eis gelegt.

Von der Leyens Entwurf sah unter anderem vor, dass sich Ärzte bei Verdachtsfällen - zunächst ohne Nennung des Namens des Kindes - an die Jugendämter wenden können. Diese sollten bei Verdachtsfällen verpflichtet werden, sich vor Ort ein Bild zu machen.

Die SPD kritisiert dies als Bespitzelung von Familien: "Wir brauchen ein Gesetz, dass die Hilfe im Einzelfall betont, aber nicht Misstrauen sät. Überbordende Kontrolle hat noch nie dem Kinderschutz gedient, im Gegenteil", so SPD-Fraktionsvize Christel Humme. Sie fordert Änderungen am Gesetz, wenn es das Parlament noch vor der Bundestagswahl passieren soll. Generell sollten Ärzte, die ihre Schweigepflicht brechen wollen, nach den Worten von Scholz diesen Schritt immer gründlich abwägen -und dies auch schriftlich dokumentieren.

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